«Mayday» von Europas Airlines (NZZaS)

Publiziert von VFSNinfo am
Die europäische Flugindustrie schreibt seit Jahren Milliardenverluste. Um zu überleben, streichen die Gesellschaften jetzt 20 000 Arbeitsplätze. Wer bleiben kann, muss mehr arbeiten.

Von Birgit Voigt

Da waren es nur noch drei. Letzten Donnerstag kam die offizielle Bestätigung aus den USA: American Airlines, derzeit unter Gläubigerschutz, schliesst sich mit US Airways zusammen. Auf dem Papier entsteht die weltgrösste Fluggesellschaft.

1978 haben die Amerikaner ihre Airline-Industrie dereguliert. Seither sind rund zwei Dutzend Fluggesellschaften verschwunden, die meisten gingen vorher durch Konkursanmeldung (Chapter 11), wurden übernommen, haben Personal abgebaut und Pensionsverpflichtungen abgeschrieben. Übrig geblieben sind noch drei Riesen: United, Delta und American. Sie sind die letzten Dinosaurier, die den Wettbewerb mit einer ganz neuen Art von Fluggesellschaft überlebt haben: dem Lowcoster. Das Urmodell dieser Betriebsform entwickelte die US-Fluggesellschaft Southwest Airlines. Sie hat in den letzten dreissig Jahren wesentlich dazu beigetragen, dass Fliegen heute fast so billig wie Busfahren ist.

In Europa stecken die traditionellen Fluggesellschaften im gleichen Überlebenskampf. Das grosse Fressen geht langsamer vonstatten als in den USA, weil Übernahmebeschränkungen zum Schutz nationaler Interessen die Konsolidierung bremsen. Trotzdem: Auch hier schliessen sich immer mehr Unternehmen zusammen. In den letzten Jahren zum Beispiel British Airways mit Iberia, Air France mit der niederländischen KLM. Die Lufthansa wuchs durch Übernahmen von Swiss, Austrian und Brussels Airlines in Belgien. Was dabei immer ausgeklammert wurde: eine profitable Strategie für den Europamarkt zu entwickeln. Auch hier diktieren inzwischen Lowcost-Airlines wie Ryanair und Easy Jet die Preise.

Keiner hat im Kampf um billige Tickets und volle Flugzeuge die Kosten derart heruntergeknüppelt wie der umstrittene Chef von Ryanair, Michael O’Leary. Hier macht der Kunde wirklich alles selbst, bezahlt für jede Handreichung. Die Einheitsflotte fliegt Tag und Nacht, die Angestellten haben oft Billigverträge über Leiharbeitsfirmen. Dazu zahlen immer wieder Regionalflughäfen «Marketingbeiträge» an Ryanair, damit sie in deren Streckennetz kommen. Die EU-Kommission lässt in mindesten 15 Fällen gegen Ryanair wegen unerlaubter Beihilfe ermitteln. Doch das Resultat kommt an: Billigtickets für die Kunden und gute Gewinne für die Aktionäre lassen seit Jahren den Kurs von Ryanair steigen.

Nicht ganz so knallhart arbeitet Konkurrentin Easy Jet: Doch auch diese rein auf den Europaverkehr ausgerichtete Lowcost-Airline schreibt mit 396 Mio. € Gewinn 2012 erneut tiefschwarze Zahlen, wächst trotz Wirtschaftskrise und hohen Treibstoffkosten profitabel. Die beiden Gesellschaften sind in Europa inzwischen bei den Passagieren gleichauf mit Lufthansa oder Air France.

Die Airline-Manager der Traditionsgesellschaften trauten sich bisher aber kaum, die Privilegien der gut organisierten Piloten anzutasten. Damit flogen zwar alle schon lange Verluste ein, doch die Löcher wurden mit profitableren Langstrecken ausgeglichen. Christoph Franz, Konzernchef der Lufthansa, sagte selbst kürzlich: «Der gesamte Lufthansa-Europaverkehr hat seit Jahren Verluste gemacht. Doch wir haben jetzt den Punkt erreicht, wo wir die Verluste nicht mehr durch das interkontinentale Langstreckengeschäft kompensieren können.»

Die Association of European Airlines vertritt als Verband 33 Fluggesellschaften. AEA schätzt die gesammelten Verluste der Mitglieder seit 2008/ 2009 auf 4,1 Mrd. €. 2013 ist für viele der etablierten Gesellschaften die letzte Chance, das Steuer herumzureissen. Mit den seit 2011 gleichbleibend hohen Ölpreisen (Lufthansa rechnet allein für 2012 mit 1 Mrd. € an zusätzlichen Kosten) und einem stetig verschärften Wettbewerb auf den Langstrecken durch die Armadas der Golfstaaten können die Europäer ihre Defizite auf dem Heimmarkt nicht mehr finanzieren.

Dazu kommt erschwerend, dass die Politik die Rahmenbedingung ständig erschwert: Neue Steuern belasten, sinnvolle Strukturverbesserungen wie ein einheitliches Luftüberwachungssystem (Single European Sky) werden dafür seit Jahrzehnten verschleppt.

Lufthansa und Air France haben beide konzernweite Restrukturierungsprogramme aufgelegt, die Einsparungen in Milliardenhöhe bringen sollen. Über 8000 Stellen fallen in den nächsten zwei Jahren weg. Beide wollen dabei einen guten Teil ihres defizitären Europaverkehrs auf Gesellschaften übertragen, die mit günstigeren Arbeitskosten und höherer Produktivität das Modell der Lowcoster nachahmen.

Air France stellte letzte Woche ihre neue Regionalgesellschaft vor. Unter dem Namen «Hop!» fasst man drei regionale Töchter zusammen – auf den ersten Blick ändert sich aber kaum mehr als der Farbanstrich. Bei Lufthansa fliegt ab Sommer 2013 Germanwings alle innereuropäischen Ziele an, die nicht über die beiden Lufthansa-Zentren Frankfurt und München führen. Franz gibt sich in Richtung Arbeitnehmer kompromisslos: «Die Verluste werden aufhören!», sagt er und droht unverblümt, sonst werde das Feld den Wettbewerbern überlassen.

In Skandinavien kämpft SAS ebenso gegen den Konkurs an wie LOT in Polen. In Spanien hat Besitzerin British Airways Iberia einen drastischen Umbau verordnet. Der Kampf mit den Mitarbeiter-Vertretern ist voll entbrannt. Die Angestellten der österreichischen AUA haben es schon erlebt: Eigentümerin Lufthansa hat sie 2012 gezwungen, auf die Verträge der Billigtochter Tyrolean umzusteigen.

Für die Konsumenten sind diese Entwicklungen im Moment noch positiv. Die Einstiegspreise bleiben tief. Dafür werden die Passagiere aber auch mit einem stetigen Anstieg bei den Extrakosten rechnen müssen. Ryanair ist auch hier Vorbild, lässt sich für jeden Koffer, jedes Sandwich, jede Sitzplatzreservation gesondert bezahlen. Das Modell soll Schule machen.

NZZ am Sonntag, 17.02.2013, Seite 29