Von Liliane Minor
Die Überraschung war perfekt, als Bundesrätin Doris Leuthard und der deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer Anfang Jahr die Lösung für den Fluglärmstreit präsentierten. Woran andere sich jahrelang die Zähne ausgebissen hatten, schien plötzlich geregelt. Nur ein halbes Jahr später, im Juli, legten die beiden einen fertigen Vertrag vor.
Doch inzwischen zeigt sich immer mehr, dass das Werk zwar schön aussieht, aber den harten politischen Auseinandersetzungen nicht standhalten wird. In den Parlamenten beider Länder droht ein Nein.
Das liegt nicht einmal am Vertrag selbst. Dieser wäre durchaus ein brauchbares Gerüst, auf dem sich ein Flugbetrieb aufbauen liesse und mit dem beide Seiten leben könnten. Bloss ist dieses Gerüst nicht stabil. Schon ein paar kritische Fragen bringen es ins Wanken. Der Sturm der Entrüstung, der sich jetzt zusammenbraut, könnte es einstürzen lassen. Stabilität brächte nur eines: eine gemeinsame Position zur Frage, was dieser Vertrag konkret bringt. Aber davon sind beide Seiten meilenweit entfernt.
Am deutlichsten zeigt sich das an der Uneinigkeit in der Frage, wie viele Anflüge über Deutschland mit dem neuen Vertrag noch möglich sind. Das ist geradezu grotesk. Immerhin sassen neben den Politikern auch Experten am Verhandlungstisch. Diese müssen doch gewusst haben, wie sich der Vertrag auswirkt. Oder unterschrieben beide Seiten, ohne sich im Klaren zu sein, was die Folgen sind?
Ein anderes Beispiel ist die Tatsache, dass der Flughafen nur Wochen nach Vertragsabschluss eine neue Anflugroute aus dem Hut zauberte, von der bislang nie die Rede war: den gekröpften Nordanflug von Osten her.
Auch das wirft Fragen auf. Hatte der Flughafen die neue Route schon früher im Auge? Wer wusste davon? Oder ist der neue Anflug eine Hauruckübung? Und wenn dem so wäre – welche weiteren Hauruckübungen folgen noch?
Was heute gilt, ist morgen alt
Sicher ist: Für den Vertrag sind solche Vorgänge verheerend. Denn in der Fluglärmfrage ist die Atmosphäre von Misstrauen geprägt.
Man kann es den Menschen nicht verdenken. Sie haben in jahrelanger, leidvoller Erfahrung gelernt, dass Zusicherungen und Versprechen der Flughafen-Verantwortlichen oft nicht lange halten. Was heute gilt, kann morgen schon ganz anders sein. Kein Wunder, wollen sie ganz genau wissen, was auf sie zukommt.
Zwei Machertypen am Werk
Fragt sich, ob Doris Leuthard und Peter Ramsauer diese heikle Stimmung unterschätzt haben. Ein Fehler, der Profipolitikern nicht passieren sollte. Nicht umsonst schwelt der Streit schon seit Jahren. Das hätte den beiden Warnung genug sein müssen, dass hier mit besonderer Sorgfalt ans Werk gegangen werden muss und Einigkeit in jedem Punkt zentral ist.
Weil sie bisher beides vermissen liessen, liegt der Verdacht nahe, dass letztlich ein anderer Mechanismus entscheidend war: Zwei Machertypen wollten medienwirksam beweisen, wie schnell sich Probleme lösen lassen, wenn die Richtigen zusammensitzen. Ob das, was sie zusammengezimmert und hübsch verkleidet haben, Bestand hat, war dabei zweitrangig.
Politisch ist das gefahrlos. Wird der Vertrag abgelehnt, lässt sich die Verantwortung an die Parlamente abschieben. Kommt er durch, heimsen die beiden Minister die Lorbeeren ein. Ausbaden müssen den Vertrag dann andere.
Tages-ANzeiger, 25.10.2012, Seite 9