Lärmgeplagte Hausbesitzer warten jahrelang auf ihre Entschädigung, weil die Eidgenössische Schätzungskommission am Anschlag ist. Zudem ist sie finanziell vom Flughafen abhängig.
Zürich – Viele Hausbesitzer, die mit dem Flughafen über eine Fluglärmentschädigung streiten, landen früher oder später bei der Eidgenössischen Schätzungskommission 10. Bis ein Gesuch dort behandelt wird, kann es dauern. Derzeit sind rund 1800 Fälle hängig. Manche davon warten seit zehn, zwölf Jahren auf eine Erledigung. Das liegt nicht nur daran, dass die Verfahren kompliziert und langwierig sind, sondern auch an den widrigen Umständen: Die Kommission ist überlastet, schlecht bezahlt und finanziell vom Flughafen abhängig.
Lena Ruoss, die Präsidentin der Kommission, kritisiert die Situation als unhaltbar: «Der Bund gibt vor, wie Enteignungsverfahren zu regeln sind, und bestimmt dafür eine Gerichtsinstanz – aber er weigert sich, die Mitarbeiter angemessen zu entschädigen und die Infrastruktur zu finanzieren.» Mehr als einmal sind Ruoss und ihr Vorgänger beim Bundesverwaltungsgericht, dem die Kommission unterstellt ist, vorstellig geworden. Mit wenig Erfolg.
Stundenlohn von 58 Franken
Bei den Entschädigungen hatte das Bundesverwaltungsgericht überhaupt kein Gehör. Manche Fachleute wie Ökonomen, Juristen oder Schätzer, die für die Kommission tätig sind, erhalten pro Stunde 58 Franken. «Fachleute wollen für ein solches Honorar nicht arbeiten», sagt Ruoss, «oder ziehen besser bezahlten Mandate vor, bevor sie einen Auftrag für uns erledigen.» Zum Vergleich: Anwälte berechnen in Zürich Stundenansätze von bis zu 600 Franken. Ruoss fürchtet, dass die schlechte Entlöhnung auch auf die Qualität der Arbeit schlägt.
Der Regierungsrat teilt die Kritik. Baudirektor Markus Kägi und Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker (beide SVP) sind beim Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) vorstellig geworden. «Das ordnungsgemässe Funktionieren der Kommission ist grundsätzlich infrage gestellt», sagt Thomas Maag, Sprecher der Baudirektion. «Die per 1. Januar 2013 fällige Neuwahl qualifizierter Mitglieder wird durch die tiefen Honoraransätze stark erschwert oder gar verunmöglicht.» Auch seien weitere Verzögerungen bei den hängigen Verfahren absehbar. Zudem befürchtet die Baudirektion, dass andere Enteignungsverfahren, etwa für Bahnbauten, verschleppt werden könnten.
Nicht einmal ein Büro
Immerhin verspricht der Bund in diesem Punkt nun Besserung. Wie UvekSprecherin Annetta Bundi sagt, werden die Ansätze überprüft. Wann eine Neuregelung zu erwarten ist, konnte sie aber nicht sagen. Das brauche Zeit.
Die niedrigen Honorare sind nur ein Teil des Problems. Der andere Teil ist die Tatsache, dass die Schätzungskommissionen nicht für eine grössere Zahl von Fällen ausgerichtet sind. «Üblicherweise hat man überschaubare Fälle, die ein Anwalt problemlos nebenher in seiner Kanzlei erledigen kann», sagt Ruoss. «Bei 1800 hängigen Fällen geht das nicht. Dafür kann man nicht einfach die Infrastruktur einer Kanzlei mitbenutzen.»
Dennoch hatte die Kommission jahrelang kein eigenes Büro. Erst im März 2010 – elf Jahre nachdem sie ihre Arbeit in Sachen Fluglärmentschädigung aufgenommen hatte – wies die Aufsichtskommission des Bundesverwaltungsgerichts die Schätzungskommission an, Büroräume in ausreichender Grösse zu mieten, Mobiliar zu kaufen sowie einen Archivraum einzurichten.
Gelöst ist das Problem damit aber keineswegs. Im Gegenteil. Denn das Gesetz sieht vor, dass der Enteigner – in diesem Fall der Flughafen – die Kosten für ein Enteignungsverfahren zu zahlen hat. Dazu gehören im Fall von Ruoss’ Kommission nach Ansicht des Gerichts auch die Kosten für Büromiete, Arbeitsmaterial und Möbel. «Das führt zu einer Abhängigkeit vom Flughafen», sagt Ruoss. «Ich muss, etwas überspitzt gesagt, mit dem Flughafen um jede Tonerpatrone für den Drucker kämpfen.»
Der Bund sieht kein Problem
Der Flughafen wehrt sich gerichtlich gegen einen Teil der ihm aufgebürdeten Kosten, die seit März 2010 durch den Ausbau entstanden sind und die gegen 1 Million Franken betragen. «Wir zahlen primär für das, was mit den Entschädigungsverfahren in direktem Zusammenhang steht», sagt Flughafensprecherin Jasmin Bodmer. «Das sind zum Beispiel Honorare und der Archivraum. Anders sieht es bei den Büroräumen aus, die ja auch für andere Fälle gebraucht werden.» Erste Gerichtsentscheide geben dem Flughafen Recht. Mit der Folge, dass der grösste Teil der Kosten für Büromöbel an Ruoss hängen bleibt. Sie überlegt sich, ihr Mandat abzugeben.
Die Chancen, dass der Bund ein Einsehen hat, sind gering. Gemäss Sprecherin Annetta Bundi sieht das Uvek keinen Handlungsbedarf: «Die beim Enteignungsverfahren anfallenden Kosten sind nach geltendem Recht dem Enteigner zuzuweisen. Es sollen grundsätzlich jene Stellen für die Kosten aufkommen, welche die Enteignungen verursachen, und nicht die Allgemeinheit. Das ist vom Gesetzgeber so gewollt.»
Tages-Anzeige5, 20.09.2012, Seite 15