Der Staatsvertrag über den Fluglärm ist unter Dach und Fach, am Dienstag wird die Vereinbarung von Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und seiner Schweizer Kollegin Doris Leuthard (CVP) in Bern unterzeichnet. Der erhoffte Frieden mit den Schweizer Nachbarn ist aber nicht in Sicht. Auf beiden Seiten des Rheins formiert sich Widerstand gegen das ausgehandelte Papier. Wenige Tage vor der Unterzeichnung haben alle 32 Bürgermeister im Kreis Waldshut eine Resolution verabschiedet, in der sie begründen, warum sie den Vertrag ablehnen.
Das ist auch eine schallende Ohrfeige für Landrat Tilman Bollacher, der in der Verhandlungskommission saß und den Vertrag für einen Kompromiss hält, "den man mittragen kann".
Mit ihrer zweiseitigen Entschließung wollen sich Bürgermeister nicht begnügen. Sie lassen derzeit prüfen, ob sie mit juristischen Mitteln gegen den Staatsvertrag vorgehen können, sagt Volker Jungmann (SPD), Bürgermeister der Gemeinde Klettgau, der die Runde organisiert hatte. Ein entsprechendes Gutachten soll bereits in Auftrag gegeben worden sein.
Zudem appellieren sie an die Bundestagsabgeordneten, dem Gesetz nicht zuzustimmen. "Wir fordern vom Bundestag und vom Bundesrat eine umfassende Beratung aller Aspekte und die Ablehnung des Zustimmungsgesetzes zum Staatsvertrag, von unseren Abgeordneten und den für uns zuständigen Amtsträgern einen unverzüglichen und wirksamen Beitrag zum dringend gebotenen Schutz unserer Heimat", heißt es in der Erzinger Erklärung.
Der Staatsvertrag gefährde die international bedeutende Tourismusregion Südschwarzwald, der das Bundesverwaltungsgericht, die EU-Kommission und das Europäische Gericht in Luxemburg eine besondere Schutzwürdigkeit zugesprochen habe. Zudem bürde das Abkommen den Gemeinden und Städten im Kreis Waldshut einen weit überproportionalen Anteil der Lasten der Flugbewegungen auf, deren Nutzen nur dem Flughafen Zürich und der Luftfahrt zugutekomme. Die Bürgermeister wollen sich dagegen wehren, dass einem weiteren Ausbau des expandierenden Airports in Zürich laut Staatsvertrag von deutscher Seite aus nichts mehr im Wege steht. "Wir wollen keinen Flughafen der durch den Staatsvertrag zulässigen Größenordnung".
Sorge bereitet ihnen auch, dass die Flughöhen von und nach Zürich gesenkt werden. An- und Abflüge würden – anders als beim Flughafen Frankfurt – ohne zeitliche und zahlenmäßige Begrenzung in einer Höhe gestattet, die für eine Tourismusregion nicht akzeptabel sei, heißt es in der Resolution. Weil Deutschland auf eine Begrenzung der Flüge verzichtet habe und künftig auch Abflüge über deutsches Gebiet möglich seien, würde die Region weitere belastet.
Zwar beginne die Nachtruhe bereits um 20 Uhr, statt wie bisher um 21 Uhr. Dies gelte aber nur für Anflüge auf die Pisten 14 und 16. Anflüge auf andere Pisten sowie alle Abflüge seien rund um die Uhr in weit niedrigerer Höhe als bisher zulässig. Zudem dürfe die Schweiz rund um die Uhr und ohne zahlenmäßige Limitierung Anflüge auf die Pisten 14 und 16 auf Schweizer Gebiet entlang der deutschen Grenze einführen.
Erbost sind die Bürgermeister auch über die Art der Verhandlungen. Durch die ihrer Ansicht nach unnötige Eile, Geheimhaltung, vorzeitige Fixierung des paraphierten Vertragstextes und fehlende Diskussionsmöglichkeiten fühlten sich die Bürger ohnmächtig. Zudem hätten die Gemeinden bei Staatsverträgen nur geringe Einflussmöglichkeiten. "Dies wird die Staatsverdrossenheit fördern."
Dicke Luft herrscht auch in der Schweiz. Der Kampf der Regionen um die Verteilung des Fluglärms sei voll entbrannt, schreibt die Neue Zürcher Zeitung über den ersten Gipfel zum Fluglärm, bei dem die betroffenen Kantone ihre Positionen darlegten. Das Problem: In acht Jahren muss die Schweiz 20\'000 zusätzliche Flüge über ihrem Territorium abwickeln, aber alle wehren sich gegen die Belastungen.Das Treffen habe die immer größer werdenden Gräben verdeutlicht, schrieb die NZZ. Die Kantone Aargau, Thurgau und Schaffhausen hätten sich gegen den Süden Zürichs verbündet und forderten Gleichbehandlung.
Um möglichst wenige Menschen zu belasten, will der Flughafen Zürich den dichtbesiedelten Zürcher Süden schonen. Stattdessen sollen die Anflüge aus dem Osten ausgebaut und der gekröpfte Nordanflug eingeführt werden. Dabei fliegen die Flugzeuge beim Anflug nach Zürich entlang des Rheins auf Schweizer Gebiet, bevor sie in die Anflugschneise eindrehen. Für den Kanton Aargau ist dies inakzeptabel. Der Aargau sei schon heute durch Landungen und Starts stark belastet.
Ob der gekröpfte Nordanflug tatsächlich komme, sei ungewiss, schrieb dieser Tage Doris Leuthard der ÖDP im Kreis Waldshut. "Erst wenn der Flughafen Zürich ein konkretes Gesuch gestellt habe, werde das Bundesamt für Zivilluftfahrt prüfen, ob die Voraussetzungen gegeben sind." Die Prüfung werde Jahre in Anspruch nehmen.
Bleibt die Frage, warum in Frankfurt oder Berlin Tausende lautstark und medienwirksam gegen den Fluglärm protestieren, im Kreis Waldshut aber bis heute Ruhe herrscht? "Die Menschen hier sind leidensfähig", sagt Bürgermeister Jungmann und macht aus seinem Bedauern keinen Hehl. Viele würden als Grenzgänger in der Schweiz arbeiten und wollten sich deshalb nicht öffentlich positionieren.