Winfried Hermann, Verkehrsminister von Baden-Württemberg, hält die Absichtserklärung von Davos zum Fluglärmstreit für einseitig – zulasten Süddeutschlands. Er fühlt sich übergangen und befürchtet mehr Lärm in der Region Schwarzwald.
Interview: Andreas Schürer
Herr Hermann, Sie fordern, dass Ihre Landesregierung an den Verhandlungen über den Fluglärm-Staatsvertrag mit der Schweiz beteiligt wird. Haben Sie schon Signale erhalten, ob Sie tatsächlich dabei sein werden?
Wir haben positive Signale, aber noch keine förmliche Zusage. In einem Brief an den Bundesverkehrsminister Ramsauer hatte ich diese Forderung bekräftigt. Zudem hat auch der Landtag über alle Parteigrenzen hinweg festgehalten, dass ein Einbezug Baden-Württembergs zwingend sei.
Sie kritisierten Ramsauer, weil er Ihre Regierung vor der Unterzeichnung der Absichtserklärung von Davos nicht informiert hatte. Sie müssten ihn bejubeln: Er hat der Schweiz schon vor den Verhandlungen Konzessionen abgerungen, ohne eigene Zugeständnisse zu machen.
So kann man die Absichtserklärung nur in der Schweiz lesen. In Baden-Württemberg herrscht die Wahrnehmung vor, dass vor allem die deutsche Seite Zugeständnisse macht. Dass Ramsauer dabei ohne Absprache mit Baden-Württemberg vorging, ist nicht in Ordnung. So darf der Bund nicht mit den Ländern umspringen. An einer Sitzung des für den Flughafen Zürich zuständigen Deutschen Fluglärmbeirats kurz vor dem Treffen der Verkehrsminister in Davos hat leider kein Vertreter des Bundes teilgenommen. Die Schweiz ist uns diesbezüglich einen Schritt voraus – da spricht sich die Zentrale mit betroffenen Regionen ab.
Die Absichtserklärung ist noch vage, das stimmt. Aber Zugeständnisse von Deutschland sind beim besten Willen nicht auszumachen.
Die Vorgabe für die Verhandlungen ist, die heutige Durchführungsverordnung beziehungsweise die geltenden Beschränkungen des süddeutschen Luftraums im Sinne des Lärmschutzes anzupassen. Die Lärmbelastung der Bevölkerung in Baden-Württemberg soll also reduziert werden. Von der Zahl der Flugbewegungen ist aber in der Erklärung keine Rede, dafür ist der seltsame Punkt enthalten, dass deutsche Taxifahrer am Flughafen Zürich nicht diskriminiert werden sollen. Diese Benachteiligung ist zwar tatsächlich ein Ärgernis, hat aber nichts mit der Fluglärmfrage zu tun. Bei uns entsteht so der Verdacht, dass Ramsauer zugunsten der deutschen Taxifahrer mehr Lärm über Süddeutschland in Kauf nehmen wird.
Von Flugbewegungen ist in der Erklärung von Davos sehr wohl die Rede: Die Schweiz verpflichtet sich, die Zahl der Anflüge über Süddeutschland zu reduzieren.
Ja, das stimmt, aber eine Zahl fehlt, das Davoser Dokument ist sehr unpräzise. Auch eine Reduktion der Anflüge auf 100\'000 pro Jahr würde der Absichtserklärung gerecht, wäre für uns aber inakzeptabel. Die Menschen in Süddeutschland sind verärgert, weil heute rund 105\'000 der jährlichen 140\'000 Anflüge über den Schwarzwald abgewickelt werden. Für uns ist zentral, dass diese Zahl merklich reduziert wird, auf maximal 80\'000.
Die von Angela Merkel und Pascal Couchepin beauftragte Lärmanalyse zeigt allerdings klar, dass die Schweiz heute schon die Hauptlast des Flughafens Zürich trägt – von Lärm ab 45 Dezibel sind rund 25 000 Deutsche und 500 000 Schweizer betroffen. Die Forderung nach Verschärfungen ist eine reine Machtdemonstration.
Es geht nicht um Macht, sondern um Lärm – und dieser ist eben nicht allein in Dezibel und in Tabellen zu fassen. Rund drei Viertel der Anflüge auf Zürich werden über Süddeutschland geführt. Sie sind eine Belästigung für die Region, Lärmanalysen hin oder her. Die Leute fühlen sich nun bedroht, weil die Schweiz an den Sperrzeiten am frühen Morgen und am späten Abend kratzen will. Dagegen wehren wir uns.
Trotzdem: Ist es nicht absurd, über Lärm zu klagen, aber Lärm nicht zum Massstab zu nehmen?
Lärm ist immer auch ein Einzelereignis und nur unzureichend in einer gemittelten Statistik in Dezibel erfassbar. Die Schweiz muss zur Kenntnis nehmen, dass sich Süddeutschland in der Stuttgarter Erklärung partei- und stufenübergreifend darauf geeinigt hat, dass eine Lösung nur über die Zahl der Anflüge gefunden werden kann. Im Übrigen wendet die Schweiz beim Flughafen Basel im Verhältnis zu Frankreich dasselbe Verfahren mit einer Zählung von Anflügen an, das sie im Verhältnis zu Deutschland beim Flughafen Zürich kritisiert.
Ihre Haltung ist also so: Entweder die Schweiz setzt die Forderungen Süddeutschlands wortgetreu um – oder dann werden diese einseitig verordnet?
Die Schweiz braucht sich nicht zu beklagen: Sie hätte im Jahr 2002 die Möglichkeit gehabt, einen fairen Staatsvertrag zu ratifizieren. Zuvor hatte die Schweiz jahrelang Einwände von Süddeutschland ignoriert – bis die Bevölkerung rebelliert hat und die Politik zum Handeln gezwungen war. Mit den Klagen gegen die einseitigen Verordnungen ist die Schweiz übrigens beim Europäischen Gericht abgeblitzt. Das Vorgehen Deutschlands ist also rechtens.
Eine Lösung setzt Kompromissbereitschaft voraus. Sonst verhärten sich die Fronten zwischen zwei an sich befreundeten Regionen, was allen schadet.
Es ist auch nicht in unserem Interesse, dass wir eine Art Fluglärmkrieg führen. Ich sehe aber auch, dass wir zwei nur schwer vereinbare Positionen haben . . .
. . . was ja gerade erfordert, dass man sich aufeinander zubewegt, wie das die Schweiz tut, indem sie im Staatsvertrag sowohl die Zahl der Anflüge als auch die Lärmbelastung berücksichtigen will.
Für die Landesregierung sind die Stuttgarter Erklärung und damit die Forderungen nach einer Reduktion der Anflüge auf 80\'000 pro Jahr und nach Beibehaltung der heutigen Sperrzeiten bindend. Die Verhandlungen führt aber die Bundesregierung. Bund und Land haben natürlich auch das Interesse an einer fairen Lösung und guten nachbarschaftlichen Beziehungen.
Auch für Sie dürfte klar sein, dass der Flughafen Zürich für Süddeutschland eine wichtige volkswirtschaftliche Bedeutung hat. Trotzdem bekämpfen Sie ihn – da entsteht in der Schweiz der Eindruck, dass Sie vor allem keinen Ärger mit den lauten und gut organisierten Bürgerbewegungen haben wollen.
Wir bekämpfen doch nicht den Flughafen Zürich. Wir setzen uns dafür ein, dass die Belastungen der Anwohnerinnen und Anwohner reduziert werden. Es ist aber nicht so, dass sich ganz Süddeutschland gegen den Flughafen stellt. Namentlich die angrenzende Industrie- und Handelskammer weist regelmässig auf seine Bedeutung auch für unsere Region hin. Zudem sind wir ja bei weitem nicht die Einzigen, die sich gegen Fluglärm wehren. Die Schweizer Bevölkerung im Süden des Flughafens zum Beispiel wehrt sich auch lautstark – sie will den Lärm einfach nach Deutschland abschieben. Und in Süddeutschland wehrt man sich gegen Schweizer Fluglärmexport.