Die Schweiz und Deutschland streben im Fluglärmstreit einen Staatsvertrag an. Die am Samstag unterzeichnete Absichtserklärung beurteilen Zürcher Parlamentarier aber als einseitig zulasten der Schweiz.
Andreas Schürer
Mit einem Monat Verspätung haben sich die Schweizer Verkehrsministerin Doris Leuthard und ihr deutscher Amtskollege Peter Ramsauer auf die Grundzüge einer Lösung im Streit um den Betrieb des Flughafens Zürich geeinigt. Ursprünglich war geplant, bis Ende 2011 die Stossrichtung festzulegen. Die Positionen lagen aber derart weit auseinander, dass dieses Ziel nicht erreicht werden konnte. Dass der Inhalt der Absichtserklärung, die Leuthard und Ramsauer nun am Samstag in Davos unterzeichnet haben, noch vage ist, überrascht vor diesem Hintergrund nicht. Die Erklärung zeigt aber die Fronten auf: Ramsauer pocht auf eine messbare Beschränkung der Anflüge über Süddeutschland, Leuthard verlangt, dass auch die effektive Lärmbelastung berücksichtigt wird.
Konziliante Schweiz
Bis im Sommer 2012 soll die Absichtserklärung in einen Staatsvertrag weiterentwickelt werden, der dann von beiden Staaten ratifiziert werden muss, wobei in der Schweiz das Parlament das letzte Wort haben wird. Die wichtigsten Eckwerte, auf die sich Leuthard und Ramsauer geeinigt haben, sind:
- Die Zahl der Lärmbetroffenen soll vermindert werden, wobei die Kapazitätsbedürfnisse des Flughafens gewahrt werden müssen.
- Die Zahl der Betriebsstunden über Süddeutschland und die Zahl der Anflüge auf den Flughafen Zürich über deutsches Gebiet werden reduziert.
- Sollte der Fluglärm über deutschem Gebiet aufgrund des technischen Fortschritts abnehmen, wird eine Anpassung des Staatsvertrags angestrebt.
- Die Schweiz gewährleistet, dass gewerbliche Fahrten von deutschen Taxis zum und vom Flughafen Zürich ohne Diskriminierungen erfolgen können.
- Die Schweiz räumt der betroffenen deutschen Bevölkerung bezüglich Bau-, Betriebs- und Konzessionsverfahren die gleichen Rechte wie der einheimischen Bevölkerung ein.
- Die beiden Staaten prüfen, ob der massgebliche Luftraum gemeinsam bewirtschaftet werden kann; heute nimmt diese Aufgabe die schweizerische Flugsicherung Skyguide wahr.
Analyse nicht berücksichtigt
Die Liste zeigt: Zu konkreten Konzessionen ist bis jetzt vor allem die Schweiz bereit. Laut Peter Müller, Direktor des Bundesamts für Zivilluftfahrt, war es ein zäher Kampf, um nur schon die vage Formulierung in die Absichtserklärung aufzunehmen, dass im Falle eines technischen Fortschritts Anpassungen anzustreben seien. Keinen Eingang fand hingegen die von beiden Staaten in Auftrag gegebene Analyse, die ergeben hat, dass in Süddeutschland kein rechtlich relevanter Lärm anfällt. Für Müller ist diese Nichtberücksichtigung ärgerlich. In den Verhandlungen müsse sich nun aber auch Deutschland bewegen und den zähen Widerstand zumindest teilweise aufgeben. Er sagt: «Wir sind bereit, über Zahlen zu reden, obwohl wir das nicht gut finden – aber die Lärmbelastung muss im Staatsvertrag auch berücksichtigt werden.» Keine Option ist für Müller ein Modell, das eine in Stein gemeisselte Zahl vorsieht, welche die Flugbewegungen beschränkt.
Ähnlich fällt die Reaktion von Zürcher Parlamentariern aus. Unisono begrüssen sie zwar, dass mit der Absichtserklärung eine Entkrampfung in diesem lange blockierten Dossier erzielt werden konnte. Die Skepsis ist aber gross. Max Binder, SVP-Nationalrat und Präsident des Komitees Pro Flughafen, sagt: «Grundsätzlich muss der Staatsvertrag auf der Lärmbelastung und nicht auf Bewegungszahlen beruhen.» Wenn es im Sinne eines Kompromisses auf eine Kombination beider Elemente hinauslaufe, dürfe die Lärmbelastung nicht derart vage berücksichtigt werden wie in der Absichtserklärung, sie müsse vielmehr «konkret und verbindlich» in eine Lösung eingebaut werden.
An einer fixen Richtgrösse ist im Jahr 2002 bereits der von Moritz Leuenberger ausgehandelte Staatsvertrag gescheitert. Dieser hätte Deutschland zugesichert, dass die Zahl der Anflüge über süddeutsches Gebiet 100 000 pro Jahr nicht übersteigt. Heute finden rund 105 000 Überflüge statt, Deutschland fordert eine Reduktion auf 80 000. Thomas Hardegger, SP-Nationalrat und Vertreter des Schutzverbandes der Bevölkerung rund um den Flughafen, sieht die Schweiz in einer schwachen Verhandlungsposition. «Wenn man, wie in der Absichtserklärung geschehen, schon vor den Verhandlungen derart viele Konzessionen eingehen muss, ist das bitter.» Die Gefahr sei gross, dass die Zürcher Bevölkerung mehr Lasten übernehmen müsse, vor allem der Osten: «Alles läuft auf eine Verlängerung der Piste 28 und somit auf mehr Ostanflüge hinaus.» Dies befürchtet auch GLP-Nationalrat Martin Bäumle. Wenn der Staatsvertrag aber quasi einen solchen Pistenausbau voraussetze, werde der Widerstand massiv sein – es sei völlig unsinnig, ungeachtet der Bevölkerungsstruktur den Fluglärm auf die Regionen zu verteilen.
Im Parlament werde ein einseitiger Staatsvertrag nicht durchkommen, meint Bäumle. Ins gleiche Horn bläst Filippo Leutenegger, FDP-Nationalrat und Präsident des Arbeitskreises Flugverkehr, der auf parlamentarischer Ebene die betroffenen Kantone auf eine Linie bringen soll. Er sagt: «Wenn wir kurzfristig einen Bewegungsplafond über Süddeutschland ertragen müssen, dann nur mit der Perspektive, dass diese Zahl laufend angepasst wird, wenn aufgrund des technologischen Fortschritts die Lärmbelastung sinkt.»