Ein Jahr zog seit seinem Rücktritt ins Land. Doch erst kürzlich gestand Moritz Leuenberger ein, wie er als Politiker zweimal auf dem falschen Fuss erwischt wurde. Zuerst als Zürcher Justizdirektor, als 1993 ein Strafgefangener im Hafturlaub am Zollikerberg eine 20-jährige Pfadfinderin ermordete. «Ich war dermassen unter Schock, dass ich einen halben Tag zu lange gewartet habe, bevor ich mich an die Öffentlichkeit wandte.»
Die zweite grosse Schlappe erlebte er 2003 als Bundesrat – nach Einführung der Südanflüge. Für Leuenberger war das der «kommunikative Super-GAU» seiner Karriere, weil er ständig in der Defensive war. Sein Fehler sei es gewesen, den Gegner zu unterschätzen. Während der Flughafen «systematisch eine Gerüchte-Kampagne steuerte», tat sein Uvek-Stab die Fluglärmgegner bloss als «Zürcher Stürmi» ab. «Das war ein kapitaler Kommunikationsfehler. Man darf die anderen nicht verachten, sie haben immer ein bisschen recht.»
Der Aufschlag
Zur Sprache brachte Moritz Leuenberger diese Fehler, als er Ende November in Zug zum Thema «Kommunikation heisst Gemeinsamkeit» referierte. Er tat es auf Einladung des Harbour-Clubs; das ist ein exklusives Forum mit maximal 100 Mitgliedern, in dem sich die Kommunikationschefs der wichtigsten Schweizer Firmen versammeln.
Dem TA liegt die Rede seit kurzem vor. Lange hält sich Leuenberger darin nicht mit seinen Niederlagen auf. Denn er habe «sukzessive dazugelernt». Sein Erfolgsrezept heisst seither: «Wer Aufschlag hat, gewinnt meist das Spiel.» Oder schärfer: «Es muss sofort zugeschlagen werden.» Sich den Service nehmen zu lassen, könne zu Schlimmerem als Nasenbluten führen – wie die Affäre um Roland Nef und Samuel Schmid zeige. Erprobt hat Leuenberger das Prinzip, als er nur zwölfStunden nach dem Abgang des umstrittenen Post-Chefs Claude Béglé einen Nachfolger präsentierte. Oder als er selber genau dann seinen Rücktritt ankündigte, als ihn niemand erwartete.
Der Konter
Manchmal geht es laut Leuenberger auch einfach darum, einen Aufschlag gut zu parieren: «Postchef Michel Kunz sprach in einer Sonntagszeitung von einer allfälligen Briefkastengebühr. Ich widersprach umgehend öffentlich. Damit war die Idee vom Tisch.» Zumindest in Grenzen halten konnte der heute 65-Jährige das kritische Echo auf den Untersuchungsbericht des niederländischen Luft- und Raumfahrtinstituts NLR zu Skyguide – obwohl dieser «sehr brisante Feststellungen» enthielt. Leuenbergers Trick: Er handelte aus, dass er vorab die Hauptvorwürfe des Berichts zu Gesicht bekam. So konnte er schon deren Behebung verkünden, als die schweren Mängel öffentlich wurden.
Minutiös vorbereitet hat sich der SP-Politiker in der vorletzten Legislatur auch auf eine Intrige im Bundesrat: Der Plan war offenbar, ihm den Bereich Energie wegzunehmen und ins Volkswirtschaftsdepartement zu verschieben. Alles sei bis ins Detail organisiert gewesen, sagt der frühere Uvek-Vorsteher. «Ich erhielt Wind davon. Ich wäre zurückgetreten, wenn das beschlossen worden wäre.» Der Beschluss wurde nie gefällt. Leuenberger ist überzeugt, dass das indirekt auch auf sein selbstsicheres Auftreten zurückzuführen war.
Die List
Selber scheute sich der Zürcher Bundesrat nicht davor, mit einer List politisches Unheil abzuwenden. Etwa die List totaler Transparenz, alles und jedes aufs Internet zu stellen, «um bei einem sonntäglich entdeckten Skandal auf längst Bekanntes zu verweisen». Oder mit einer geschickten Wortwahl zu punkten: Bei der Neat tönen «beschlossene Mehrkosten» einfach besser als Kosten- überschreitungen. Ein Klimagesetz schreckt die Bürger weniger ab als die CO2-Abgabe. Und Via secura klingt harmloser als Vision Zero. Unter List bucht es Leuenberger ebenso ab, den richtigen Zeitpunkt für ein politisches Vorhaben abzuwarten. «Ein Tropfenzählersystem am Gotthard wäre ja schon lange sinnvoll gewesen.» Aber erst nach dem grossen Tunnelbrand habe sich die Gelegenheit geboten, das Verkehrsmanagement mehrheitsfähig zu machen.
Die Bauernopfer
«Der Effekt einer öffentlichen Meinung kann nicht berechnet werden wie beim Billardspiel», sagt Leuenberger. Bisweilen hat er sich selber verrechnet. So machte er sich auf massive Proteste gefasst, weil TeleZüri keine Konzession bekam. Doch diese blieben aus. Stattdessen machten die Hörer von Radio Energy mobil – was der Ex-Medienminister auf eine «übelste Kampagne der Ringier-Medien» zurückführte. Um «den Wellengang zu prüfen», schickte der Politiker darum bei heiklen Geschäften subalterne Beamte vor. Je nachdem habe später der Bundesrat oder ein Amtsdirektor korrigierend eingegriffen. «Ein Bauernopfer zwar, aber wir taten es in gegenseitigem Einverständnis.»
Das Dolmetschen
Wie wichtig Leuenberger die Kunst des Kommunizierens bis heute ist, zeigt sich daran, dass er besagte Rede nur in entschärfter Form ins Internet stellte – ohne Nasenbluten und Schock über den Mord. Den Ex-Bundesratskollegen attestiert er weniger kommunikatives Geschick. So habe Micheline Calmy-Rey «auf bohrende Fragen nach ihren wahren Absichten» einfach Deutsch gesprochen – weil sie den anderen Regierungsmitgliedern unterstellte, sie hätten sie mangels Sprachkenntnissen nicht verstanden.
Und der Bü-Bü-Bündnerfleischerfolg von Bundesrat Merz war aus Leuenbergers Sicht nichts anderes als unterlassenes Dolmetschen: «Er hätte den Text selber bereinigen und übersetzen sollen, statt ihn einfach vorzulesen.»