Man solle nicht immer nur das Trennende in den Mittelpunkt stellen, sondern auch das Verbindende zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz hervorheben, sagte der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann vor seinem Besuch in Bern Anfang Mai, wo er gleich von vier Mitgliedern des Bundesrats, also der Schweizer Regierung, empfangen wurde. Aber außer den nackten Wirtschaftsdaten – ein Drittel der Schweizer Exporte nach Deutschland gehen nach Baden-Württemberg, 25 Prozent der Schweizer Importe aus Deutschland kommen von dort – scheint es derzeit nicht viel Verbindendes zu geben. Der seit Jahren währende Streit um die Lärmemissionen des Flughafens Zürich und der jüngste Streit um das Steuerabkommen zwischen beiden Ländern sorgen für immer neue, von einigen Medien und Politikern beidseits der Grenze geschürte Wellen nationalchauvinistischer Emotionen.
„Die Schweizer", „die Deutschen" schallt es von hüben und drüben. Als stünden hinter dem Streit nicht jeweils handfeste wirtschaftliche und politische Interessen, feiern die Nationalstaaten fröhliche Urständ‘. Wenn ein Mitglied der kantonalzürcher Regierung im Streit um den Flughafen vorschlägt, die Arbeit der 55\'000 Grenzgänger im Großraum Zürich zu erschweren, ist das nicht nur völlig inakzeptabel, er erweist damit auch der Schweizer Wirtschaft einen Bärendienst.
Und wenn der Möchtegern-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, dessen einziger demokratischer Leistungsausweis in seiner Abwahl als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident besteht, von der Kavallerie spricht, die er gegen die Schweiz losschicken möchte und im Gespräch mit dieser Zeitung äußert, es gehe im Steuerstreit mit der Schweiz „um die Souveränität der Bundesrepublik", um die „Durchsetzung ihrer Gesetze gegenüber deutschen Steuerbürgern", dann klingt doch gleich der obrigkeitsstaatliche Kasernenhofton durch, den man von seinesgleichen kennt.
Im Fluglärmstreit kann Herr Kretschmann nichts entscheiden, aber die Entscheidung des zuständigen Bundesverkehrsministers beeinflussen. Die Fluglärmgegner beidseits der Grenze aber sollten sich zusammentun, statt sich für die Ziele der einen oder anderen Seite instrumentalisieren zu lassen. Weniger Fluglärm sei ihnen herzlich gegönnt, sie mögen dann aber bitte auch in Kauf nehmen, dass sie nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit und Spottpreisen nach Mallorca düsen können.
Im Übrigen spielt die Politik auch hier mit gezinkten Karten. Ganz anders als in Südbaden verhallen dort, wo die Flughäfen auf deutschem Territorium liegen, die Proteste der viel stärker als im Südschwarzwald vom Lärm geplagten Bevölkerung um den Flughafen Frankfurt und den neuen Großflughafen Berlin häufig ungehört. Und die wirtschaftlichen Gewichte auf dem Flughafen Zürich haben sich seit Ausbruch des Streits um die An- und Abflüge verschoben: Drei der vier größten Fluggesellschaften sind dort jetzt in deutscher Hand: Swiss, Lufthansa und Air Berlin, auf die zwei Drittel der Flugbewegungen entfallen. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn die Politiker in Berlin dem nicht Rechnung trügen.
Die Front des Schweizer Bankgeheimnisses wankt zum Glück beträchtlich. Aufgebrochen wurde sie leider, wie in vergleichbaren Fällen der Vergangenheit, wieder nur durch das Ausland. Die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung kann selbst ein Schweizer Wirtschaftsanwalt nicht plausibel erklären. Und die Mehrheit der Schweizer Steuerzahler ist gegen Steuerhinterziehung. In der Stadt Zürich wurde die (viel zu niedrige) Pauschalbesteuerung reicher Ausländer mittlerweile per Volksentscheid abgeschafft. Deutsche Politiker aber sollten auch überlegen, warum so viele ihrer Landsleute ihr Geld in die Schweiz bringen oder gleich selber dort Arbeit finden. Die Busfahrerin aus Singen, die nach eigener Aussage 1500 Euro netto monatlich verdiente (der Durchschnittsbruttolohn liegt bei 2500 Euro) hat nach Zürich gewechselt. Dort verdienen Buschauffeure im Schnitt 7200 Franken. Demokratie und Lebensstandard hängen im günstigen Fall eben doch miteinander zusammen.