Kantone und Bund müssten nun zusammenstehen und eine gemeinsame Strategie fahren, zitierte die «SonntagsZeitung» den Zürcher FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger: «Der Flughafen Zürich ist bereits in einer schwierigen Ausgangslage. Jetzt wird der Druck weiter zunehmen.» Und auch Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker mutmasste, dass der Wechsel zu einer grün-roten Regierung in Stuttgart «sicher keine Erleichterung» werde.
Der Grund war der Koalitionsvertrag der neuen rot-grünen Regierung in Stuttgart, in dem auch der Fluglärmstreit zur Sprache kommt. Darin heisst es, dass sich die neue Regierung für die Interessen der südbadischen Grenzregion engagieren werde. «Wir unterstützen die in der ‹Stuttgarter Erklärung zum Flugverkehr› festgeschriebenen Positionen und sind für die uneingeschränkte Beibehaltung des Nachtflugsverbots.»
Was nach harten Bandagen und den altbekannten Forderungen klingt, ist freilich schon die entschärfte Version, wie Winfried Hermann, der mögliche neue Verkehrsminister von Baden-Württemberg, gegenüber der «NZZ am Sonntag» sagte. Der Entwurf des Koalitionsvertrages habe noch die Zahl von 80\'000 Flugbewegungen enthalten, die schon der streitbare Landrat Tilmann Bollacher im betroffenen Landkreis Waldshut als Maximum genannt hatte, ebenso wie die konservative CDU in dieser Region.
Vorsichtige Zuversicht bei den Unterhändlern
Und doch sind die Fachleute vom Bazl, das in einer Arbeitsgruppe als einzige Schweizer Instanz regelmässig und intensiv mit den gegnerischen Interessenvertretern im Austausch steht, weniger pessimistisch als manche Politiker. «Generell sind wir, was die Gespräche mit Deutschland angeht, vorsichtig optimistisch», teilt Sprecher Anton Kohler gegenüber Tagesanzeiger.ch/Newsnetz auf Anfrage mit – im vollen Wissen darum, dass die Positionen teilweise noch weit auseinander liegen.
Weshalb? Details zu den Gesprächen gibt das Bazl während des heiklen Verhandelns nicht preis und nennt nicht einmal die Namen der eigenen Unterhändler – zumal der Bundesrat das Amt zu wirklichen Verhandlungen noch gar nicht ermächtigt hat. Doch allein die Tatsache, dass der Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg, die umstrittene Zahl «80\'000» eben nicht mehr enthalte, ist für Kohler ein Hinweis darauf, dass auf der deutschen Seite die nötige Flexibilität vorhanden sein könnte.
Das gebe dem Gegenüber schliesslich auch Verhandlungsspielraum für eine mögliche Lösung, die weniger auf eine einzelne Zahl hinziele, sondern auf eine tatsächliche Verbesserung. «Wir wollen vor allem den Lärm reduzieren», sagt Kohler, «wir denken, dass wir ein gutes Konzept vorgelegt haben.» Und er glaubt, dass ein gewisser Optimismus «durchaus begründet» ist.
Status quo mit Folgen für die Schweiz
Schliesslich sind die Folgen eines möglichen Scheiterns der Gespräche den Beteiligten klar. «Ein Kontingent von 80\'000 Nordanflügen wäre für die Schweiz mit grössten Nachteilen verbunden», heisst es in einer Stellungnahme des Bazl. Zum Vergleich: 2010 fanden 100\'251 Landungen von Norden her statt, und im Jahr zuvor waren es mehr als 96\'000.
Bei einer Limitierung auf die 80\'000 müssten überzählige Flüge von Osten oder Süden her landen oder sogar gestrichen werden, heisst es in der Stellungnahme weiter. Und laut den Szenarien, die im Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt untersucht wurden, würde nur schon ein Einfrieren des heutigen Status quo im Zürcher Flugbetrieb der Volkswirtschaft Schäden in Höhe von mehreren Milliarden pro Jahr zufügen.
Gespräche intensiver geführt als früher
Ganz abgesehen davon, dass die heutigen Überflüge über Schweizer Wohnareale für alle Beteiligten ein gewaltiges Problem sind. «Es wird über dichtest besiedeltes Gebiet geflogen», sagt Sonja Zöchling Stucki, Sprecherin der Flughafen Zürich AG. Und gesteht ein, dass die Geduld beim Betreiber durchaus schon strapaziert ist: «Wir würden sicher nicht Nein sagen, wenn es ein bisschen schneller ginge.»
Auch Deutschland offenbar nicht, wie eine Nachfrage im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zeigt. Wie bei den Schweizer Behörden weigern sich die Fachleute dort, Auskunft zu den Details der Gespräche zu erteilen. Doch der Sprecher Ingo Strater betont die Ernsthaftigkeit des Interesses an einer Lösung – auf beiden Seiten. «Das sieht man auch schon daran, dass die Fachgespräche zuletzt häufiger als früher stattgefunden haben», sagt er.
Zumal die Gespräche bis zum Jahresende abgeschlossen werden sollen. Was dabei herauskommen wird, lässt sich bislang allenfalls erahnen. Im SIL-Prozess zum Flughafen Zürich hatten sich zuletzt drei Varianten herauskristallisiert, über die der Bundesrat noch entscheiden muss: «Variante E-DVO», die etwa dem heutigen Betrieb entspricht – durch die deutschen Anflugbeschränkungen für morgendliche und abendliche Anflüge. «Variante E-optimiert» entspricht dem Betrieb bei einem Wegfall der Sperrzeiten – eine Lösung, mit der selbst kühnste Optimisten kaum rechnen dürften.
Ausbau der Pisten 28 und 32 als Lösung?
Bleibe noch «Variante J-optimiert» – eine Mischlösung, die zum Teil dem heutigen Betrieb entspricht, zusätzlich aber tagsüber Anflüge von Osten vorsieht und das deutsche Grenzgebiet in dieser Zeit entlasten würde. Also der Versuch eines Kompromisses, der beide Seiten weniger ärgern dürfte als bisher – doch er würde auch Verlängerungen der Piste 28 im Westen und der Piste 32 im Norden nötig machen.
In jedem Fall und bei jeder möglichen Lösung: Heftige Opposition ist den Politikern und Flughafenbetreibern garantiert, wie Bazl-Sprecher Kohler weiss. Doch auch dies ist letztlich fair: Die Baden-Württemberger Landespolitiker werden ihren renitenten Bewohnern der Grenzregion den Kompromiss schliesslich ebenfalls sehr, sehr gut erklären müssen.
siehe auch:
STUTTGART ATTACKIERT KLOTEN (SoZ)
Der Forderungskatalog des grün-roten Stuttgart (SoZ)
Grüne Turbulenzen um Anflüge (Südkurier)