Andreas Schürer
Thomas Morf ist aufgeregt. «Wenn das kommt», sagt der Präsident des Vereins «Flugschneise Süd - Nein», «wird es infernalisch.» Es komme ihm vor wie in der Zeit vor den ersten Süd-anflügen: Keiner realisiere, was drohe. Morf meint: «Wir müssten uns wehren, weil Matthäi am Letzten schon fast vorbei ist - doch es ist mir bis jetzt noch nicht gelungen, die Leute aufzurütteln.»
Tatsächlich ist es ruhig geworden um die Südschneiser. Abgesehen von vereinzelten Leserbriefen ist kaum mehr Widerstand wahrnehmbar. Katharina-Kull-Benz, Gemeindepräsidentin in Zollikon, sagt: «Viele haben resigniert.» Auch Morf stellt fest: «Man denkt, nach acht Jahren seien wir mürbegemacht - und jetzt wollen die Flughafen-Turbos einen Schritt weitergehen.»
«Keiner wehrt sich»
Morfs Schreckensszenario hat einen Namen: Südstart straight - Südstarts tagsüber über das Zürcher Oberland respektive über Zollikon, Küsnacht, Herrliberg und dann weiter über das linke Seeufer, in Kombination mit Nordanflügen. Diese direkten Südstarts sind in den drei übrig gebliebenen Betriebsvarianten des Flughafens im Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) enthalten, den der Bundesrat voraussichtlich nächstes Jahr definitiv verabschieden wird. In dem Objektblatt, das im SIL enthalten ist, definiert der Bund den Rahmen für den künftigen Betrieb des Flughafens. Ein wichtiger Eckpfeiler im Objektblatt Zürich, welches das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) dem Bundesrat beantragt, sind Südanflüge auch ausserhalb der deutschen Sperrzeiten sowie die bis jetzt nicht zugelassenen Südstarts straight - beides allerdings nur bei ungünstigen Wetterverhältnissen (Nebel- oder Bisenlage).
Dass das Bazl Südstarts straight möglich machen will, ist schon seit 2008 bekannt, im Schlussbericht im August 2009 waren sie dann tatsächlich auch im SIL enthalten. Was Morf erstaunt: «Die Fakten sind bekannt - doch keiner wehrt sich.»
Andere sind gelassener
Allerdings: So schwarz wie Morf malen nicht alle. Richard Hirt, Präsident des Fluglärmforums Süd, das 32 Gemeinden vertritt, meint: «Auf den SIL haben wir zwar keinen Einfluss mehr - aber über den Süden wird nicht das Chaos hereinbrechen.» Im SIL sei erwähnt, dass die Südstarts nicht zur Kapazitätssteigerung des Flughafens genutzt werden dürften, sondern nur zur Entlastung bei ungünstigen Wetterverhältnissen. Hirt meint: «Ich habe noch das Vertrauen in staatliche Organisationen, dass solche verbindliche Aussagen auch eingehalten werden.» Zudem habe der Zürcher Regierungsrat, dessen Stimme in Bern sicherlich Gewicht habe, seine ablehnende Haltung gegenüber diesen Südstarts unmissverständlich kundgetan.
Auch in den Gemeindehäusern in der betroffenen Region ist keine Panik auszumachen. Küsnachts Gemeindepräsident Max Baumgartner lässt verlauten, dass der Gemeinderat das Thema Südstarts noch gar nicht ausführlich besprochen habe. Auch Meilens Gemeindepräsident Christoph Hiller hält das Thema noch für sehr diffus: «Es ist zu früh, um etwas Dezidiertes zu sagen.» Zollikons Gemeindepräsidentin Katharina Kull-Benz zählt darauf, dass im Zürcher Kantonsrat in der Debatte über den Richtplan, der mit dem SIL harmonisiert werden muss, noch etwas bewegt werden kann. Sie kritisiert: «Im SIL werden nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft - vor allem modernere Anflugverfahren, die zum Beispiel gekröpfte Nordanflüge ermöglichen, sind kaum berücksichtigt.»
«Es ist eins vor zwölf»
Morf hält die Gelassenen für naiv [Anmerkung VFSN: Falschaussage in Zürichsee-Zeitung]. Die Erläuterung im SIL, dass Südstarts straight nur bei Nebel und Bise zugelassen seien, biete grossen Interpretationsspielraum - es sei so gut wie sicher, dass der Flughafen die vom Lufthansa-Konzern geforderten Südstarts straight nutzen werde, um die Kapazität zu vergrössern. Grund: Wenn keine Pisten verlängert werden, sind Landungen von Norden in Kombination mit Südstarts die einzige Möglichkeit, um die Stundenkapazität in den Spitzenzeiten zu maximieren. Für den Süden habe dies fatale Folgen, da die Starts mindestens doppelt so laut seien wie die Landungen. Morf sagt: «Wer jetzt nicht begreift, dass es einen breiten Widerstand braucht, damit der Bundesrat die Südstarts straight noch kippt, der schläft und wird böse erwachen - es ist eins vor zwölf.»