Was genau zum Absturz und zum Tod der beiden Piloten des Jet-Flugzeugs am Sonntag vor einer Woche in Bever geführt hat, wird zurzeit vom Büro für Flugunfalluntersuchungen (BfU) geprüft. Wie immer bei Unfällen nahe besiedelter Gebiete stellt sich die Frage nach der Sicherheit der Menschen, die dort wohnen und einem solchen Unglück schutzlos ausgeliefert sind. Eine Frage, die auch die Oberengadiner Gemeindepräsidenten beschäftigt hat und an einem Treffen diskutiert worden ist, wie Thomas Nievergelt, Präsident der Flugplatz-Standort-gemeinde Samedan auf Anfrage sagte.
Am letzten Mittwoch hat in Anwesenheit von Peter Müller, Direktor des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (Bazl), ein Treffen in Samedan stattgefunden. Dort war die Standortgemeinde ebenfalls eingeladen und konnte die Anliegen der Region einbringen. Die Hauptforderung: Es muss sichergestellt werden, dass besiedelte Gebiete in Zukunft besser geschützt sind vor an- und abfliegenden Flugzeugen. Erreicht werden soll dieses Ziel mit verschiedenen Massnahmen. Bereits umgesetzt und kommuniziert ist die Verschärfung der meteorologischen Mindestwerte (Sicht und Wolkenuntergrenze) sowie die obligatorische Absolvierung eine Online-Briefings mit Test.
Bis Ende Januar 2011 muss der Flugplatz dem Bazl ein Konzept vorlegen, zur Durchführung von Einweisungsflügen. Sobald dieses in Kraft tritt, müssen Piloten, die Samedan anfliegen, zwingend einen solchen Einweisungsflug absolviert haben. Weiter sollen bis im Frühjahr die An- und Abflugkarten mit den Flugwegen überarbeitet werden.
Nievergelt ist froh, wenn diese Massnahmen umgesetzt werden. «Dann sind wir bezüglich Sicherheit einen Schritt weiter.» Ladina Meyer, Gemeindepräsidentin von Bever, appelliert auch an die Eigenverantwortung der Piloten. «Was nützen klar defi- nierte Anflugschneisen, wenn sich die Piloten nicht daran halten?», stellt sie die rhetorische Frage.
Aus den Unfällen lernen
Von einem «erhöhten Gefahrenpotenzial» spricht der St.Moritzer Peter R. Berry, wenn Flugzeuge bei schlechter Sicht Samedan anfliegen. Er verweist neben dem Unglück vor gut einer Woche auch auf die beiden Unfälle im Februar 2009, die sich innerhalb nur weniger Tage ereignet haben. Am 6. Februar kam das Flugzeug erst hinter dem Pistenrand zum Stillstand, Personen kamen keine zu Schaden. Sechs Tage später kollidierte ein Jet nach dem Aufsetzen mit einem Schneewall, der Pilot und der Copilot starben. Für Berry, der selber Pilot ist, sind diese Unfälle lehrreich, weil die Ursachen, die zum Unglück geführt haben, vergleichbar seien. Zum einen was die kritischen meteorologischen Bedingungen betrifft, zum anderen die ungenügende Flugvorbereitung respektive Fehler der Piloten während dem Landeanfluges auf Samedan. «Beim ersten Unfall befand sich das Flugzeug in nur 200 Meter über Bever und Celerina in absolut kritischer Fluglage. Nicht auszudenken, was ein Absturz über einem der Dörfer für Folgen gehabt hätte», sagt er.
Im Gegensatz zu früher werde der Flugplatz heute viel länger offen gehalten. Wenn vom Kontrollturm aus nur noch die beiden Postenenden sichtbar seien, reiche das bei Weitem nicht aus für einen sicheren Anflug von so genannten «Kleinflugzeugen», die in Tat und Wahrheit Jets mit einem Gewicht von gegen 20 Tonnen seien. Er zitiert diesbezüglich aus einem der Untersuchungsberichte, wo der Flight Information Service Officer (FISO) vom Kontrollturm aus den Piloten auf ein Loch in der Wolkendecke über dem Flugplatz aufmerksam macht und ihm rät, bis über das Flugfeld zu fliegen und dort zu versuchen, ins Tal reinzufliegen. Dies obwohl der Pilot von sich aus Zürich als Ausweichflughafen angesprochen habe.
Unter Erfolgsdruck?
Wer die Untersuchungsberichte liest (www.google.ch Flugunfall 2084 respektive 2074), bekommt das Bild vermittelt von Cockpit-Crews, die mit der Situation überfordert waren, teils nicht wussten, wo genau sie sich befanden, Informationen des FISO des Flugplatzes Samedan ignorierten und Fehler begingen. Sowohl die FISO wie auch die Piloten scheinen unter erheblichem Erfolgsdruck zu stehen.
Für Berry ist klar, dass der wirtschaftliche Druck mit dazu beiträgt, dass es zu diesen Unfällen kommt. Die Mitarbeiter des privat betriebenen Flugplatzes würden das spüren, weil jede Landung mit Einnahmen verbunden sei. Die Piloten ihrerseits stehen gemäss Berry «unter massivem Druck» ihrer Auftraggeber, die Flüge durchzuführen.
«Sicherheit hat oberste Priorität»
«Die Sicherheit hat bei uns oberste Priorität und sie steht immer vor den wirtschaftlichen Interessen», entgegnet Flugplatz-Mediensprecher Andrea Parolini. Die Auflagen, wie sie nun das Bazl in Zusammenarbeit mit dem Engadin Airport erlassen haben, seien ganz klar verbunden mit Einschränkungen bezüglich der Wirtschaftlichkeit. Wie sich das konkret in der Betriebsrechnung niederschlagen wird, könne heute noch nicht gesagt werden. «Diese Berechnungen stehen nicht im Vordergrund. Für uns gilt der Grundsatz ‘Safety First‘. Die Sicherheit der Piloten und der Region steht im Vordergrund.»
Kommentar VFSN: Die Bevölkerung im touristisch bedeutenden Engadin soll geschützt werden, selbst wenn es auf Kosten der Wirtschaft geht. Bei uns ist es umgekehrt: Aus wirtschaftlichen Gründen werden dicht besiedelte Gebiete gefährdet (der einzige Grund für die Einführung der Südanflüge war die Wirtschaft). Zudem werden wenn das Wetter besonders schlecht ist, oder in Notfällen (Jets mit Problemen) die Flugzeuge über das dichtes besiedelte Gebiet geführt.