Die Swiss befindet sich auf dem Steigflug und meldet sehr gute Auslastungszahlen. Unterschätzt wird dabei der Hub Zürich, der eigentlich ein Drehkreuz ohne natürlichen Passagierstrom ist.
Sepp Moser
Sie präsentiert blendende Verkehrszahlen, sie sammelt Auszeichnungen zuhauf, sie ist die Mustertochter im Konzern, und ihr Chef droht kaum verhohlen mit dem Abzug ins Ausland, sollten nicht die Einschränkungen auf dem Flughafen Zürich gelockert werden. Kurzum: Sie strotzt vor Selbstbewusstsein, die Swiss. Man mag es ihr und ihren Mitarbeitern gönnen. Doch man darf sich auch fragen, wie es mit der Nachhaltigkeit dieses frappierenden Airline-Erfolges steht.
Die offizielle Lesart ist diese: Die Swiss ist die beste Fluggesellschaft Europas. Zürich-Kloten ist der passagierfreundlichste Flughafen des Kontinents, zudem verkehrstechnisch ideal in dessen Mitte gelegen. Beides zusammen macht Zürich zum natürlichen Standort für ein Anschlusssystem (Hub), welches Kurzund Langstrecken miteinander verknüpft. Damit ist es auch zu erklären, weshalb 60 bis 70 Prozent der Swiss-Langstreckenpassagiere in Zürich umsteigen und nicht ein oder aussteigen. Dieser Umstand garantiert den Erfolg der Swiss.
Zürich im Abseits
Genaue Analysen stellen diese Sichtweise jedoch in Frage. Die Verkehrsströme laufen nicht über Zürich; Europas natürliche Hubs sind London, Paris, Frankfurt, Madrid und Amsterdam. Zürich ist mit dem heutigen Umsteigesystem der Swiss ein Hub ohne Markt oder, wie es in der Branche bisweilen zu hören ist, ein Hors-sol-Hub.
Der Grossteil der Umsteigepassagiere wechselt das Flugzeug nicht deshalb hier, weil es durch kürzere Reisezeit oder ein dichteres Flugangebot Sinn macht, sondern entweder weil Zürich ein sauberer, bequemer Flughafen ist – oder, wohl mehrheitlich, weil der Flug über Zürich billiger ist als die schnellere Reise auf einem anderen Weg. Anders gesagt: Der Swiss-Hub in Zürich boomt, weil die Swiss ihre Umsteigepassagiere durch extrem tiefe Tarife anlockt und so buchstäblich kauft. Das trifft gemäss dem Komitee Weltoffenes Zürich für alle Swiss-Langstrecken zu, ausser für jene nach New York, Bangkok und Dubai. In Fachkreisen gilt zudem noch Hongkong als sinnvolle Destination. Alle anderen Swiss-Langstrecken, also 21 von 25, können nur dank Billigtarifen und Umsteigepassagieren – zum Teil sind es 90 und mehr Prozent aller Reisenden – aufrecht erhalten werden. Einer echten Nachfrage entsprechen sie nicht.
Dennoch rentiert das Geschäft, wie die Zahlen beweisen. Von den sieben Passagier-Airlines im Lufthansa-Konzern ist die Swiss die rentabelste und neben der Germanwings die einzige, die einen Gewinn erarbeitet. Alle anderen sind defizitär. Ein Widerspruch? – Nein, Logik. Erstens ist die Rechnung nicht nachprüfbar, denn die Swiss publiziert seit der Dekotierung ihrer Aktie keine umfassenden Geschäftsberichte mehr. Allein schon aus steuerlichen Gründen hat die Lufthansa ein Interesse an hohen Gewinnen in der Schweiz. Aber dieser Punkt ist nicht entscheidend.
Zweimal saniert
Wichtiger sind die günstigen Produktionskosten der Swiss. Wenn man Swissair und Swiss als eins betrachtet (was faktisch korrekt ist, nicht aber formell, denn die Swiss ist die ehemalige Crossair, nicht die auferstandene Swissair), so stellt man fest, dass das Unternehmen zweimal fundamental saniert worden ist. Einmal nach dem Kollaps der Swissair, als Steuerzahler und Private 4 Milliarden Franken investierten. Und ein zweites Mal anlässlich der Übernahme des Betriebs durch die Lufthansa im Jahr 2005, als die Airline erneut kurz vor dem Ruin stand.
Vorgezogene Krise
In beiden Fällen wurden die Kosten und vorab die Löhne im oberen Bereich massiv reduziert – und zwar zu einem Zeitpunkt, als alle anderen Airlines noch florierten. Die Swiss hatte also ihre Krise bereits hinter sich, als die Konkurrenten sie ab 2008 erst zu spüren bekamen. Und dank diesem Vorsprung kann sie bis heute ein eigentlich sinnlos grosses Netz profitabel betreiben.
Den Takt vorgeben
Es ist kein Zufall, dass Germanwings, die andere erfolgreiche Lufthansa-Airline, ebenfalls extrem tiefe Produktionskosten ausweist. Das ist die Funktion der beiden Konzern-Töchter: als Billigairlines sollen sie den anderen Familienmitgliedern den Takt vorgeben. Überdies hat die Swiss die Aufgabe, als Streikreserve bereitzustehen, wenn in Deutschland die Gewerkschaften Probleme machen. Bereits zweimal hat sie diese Funktion auch wahrgenommen.
Das Geschäftsmodell der Swiss mit dem viel zu grossen Langstreckennetz steht und fällt also mit den Betriebskosten, lies: mit den Löhnen des Personals. Hier droht Gefahr. Die Swiss-Piloten fordern immer lauter gleiche Löhne wie ihre Lufthansa-Kollegen und sprechen, wenn auch verklausuliert, von Streik. Das Management hat also tatsächlich Grund zur Sorge. Aber nicht wegen der Flugeinschränkungen in Zürich, sondern wegen der Lohnforderungen.
Glatttaler, 30.10.2010, Seite 19