Das EU-Gericht in Luxemburg hat eine Nichtigkeitsklage der Schweiz im Fluglärmstreit abgewiesen. Es ging um die von Deutschland 2003 erlassene Verordnung, die Anflüge zum Zürcher Flughafen über süddeutsches Gebiet am frühen Morgen und am Abend verbietet.
(sda)/bbu. Die Schweiz unterliegt erneut im Fluglärmstreit mit Deutschland. In ihrer nun abgewiesenen Klage gegen einen Entscheid der EU-Kommission hatte Bern vor allem die Unverhältnismässigkeit der deutschen Massnahmen und die Diskriminierung der Fluggesellschaft Swiss geltend gemacht, die durch die einseitigen Einschränkungen der Anflüge auf den Flughafen Zürich entstehen.
Als Hauptnutzerin des Flughafens Zürich werde die Swiss am stärksten von diesen Massnahmen getroffen. Darin sieht die Schweiz eine Benachteiligung der Lufthansa-Tochter gegenüber ihren Mitbewerbern. Die EU-Kommission war dagegen im Jahre 2003 zum Schluss gekommen, dass die deutschen Massnahmen verhältnismässig und mit dem bilateralen Luftverkehrsabkommen vereinbar seien. Es liege weder eine direkte noch indirekte Diskriminierung vor, hiess es dazu in Brüssel.
«Blosse Änderung der Flugwege»
Nun hat nach rund sieben Jahren das Gericht der EU (EuG) in dem Fall seine Entscheidung gefällt, der ebenfalls zuungunsten der Schweiz ausfällt. In der Urteilsbegründung heisst es, dass die deutschen Massnahmen «keinerlei Verbot des Durchflugs des deutschen Luftraums für Flüge von und nach dem Flughafen Zürich» darstellten. Die Verordnung beschränke sich auf eine «blosse Änderung der betreffenden Flugwege nach dem Start oder vor der Landung».
Die Massnahmen stünden in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit ihnen verfolgten Ziel, der Verringerung der Lärmbelastung in einem Teil des deutschen Gebiets in den Nachtstunden und am Wochenende. Deutschland habe keine andere Möglichkeit der Lärmverminderung. Nach dem bisherigen Verlauf des Rechtsstreits kommt das Urteil des EU-Gerichts nicht überraschend. Auf deutscher Seite hatte man sich im Vorfeld sehr zuversichtlich gezeigt, dass die Klage der Schweiz abgewiesen werden würde.
Urteil kann angefochten werden
Das EuG in Luxemburg ist dem EU-Gerichtshof (EuGH) angegliedert. Es ist zuständig für die Klagen von natürlichen und juristischen Personen gegen die Gemeinschaftsorgane. Der Rechtsstreit mit Deutschland dürfte mit dem Entscheid aus Luxemburg aber noch nicht beendet sein. Das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts kann vor dem EuGH angefochten werden.
Bisher ergebnislose Suche nach Lösungen
Der Fluglärmstreit zwischen der Schweiz und Deutschland schwelt schon seit rund zehn Jahren. Ein fertig ausgehandelter Staatsvertrag zwischen den beiden Ländern wurde im Jahre 2003 vom Nationalrat abgelehnt. Seither werden Lösungen sowohl auf gerichtlicher, aber auch auf politischer Ebene gesucht.
So hatte sich das deutsche Bundesverwaltungsgericht ebenfalls mit dem Fall befasst und geurteilt, dass die Anflugbeschränkungen rechtens seien. Die deutsche Verordnung stehe im Einklang mit der Ermächtigungsgrundlage im deutschen Luftverkehrsrecht. Allerdings setzte das Gericht den Fall im Mai 2005 aus, um erst das Urteil aus Luxemburg abzuwarten.
Lärmanalyse als neues Argument
2008 vereinbarten die Schweiz und Deutschland eine bilaterale Fluglärmanalyse zum Flughafen Zürich. Diese kam Ende Oktober 2009 zum Schluss, dass der Zürcher Flughafen in Süddeutschland keine Fluglärm-Grenzwertüberschreitungen verursache. Die damalige Zürcher Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer verlangte daraufhin von Deutschland den Rückzug seiner Verordnung.
«Noch einige Viertausender zu besteigen»
Doch zur Zeit scheinen sich die Verhandlungen weiterhin in einer Sackgasse zu befinden. Dies zeigte auch eine Äusserung des deutschen Bundespräsidenten Wulff bei seinem Besuch in Bern am Mittwoch: Er erklärte, bei den Verhandlungen im Fluglärmstreit habe er «gemischte Gefühle». Bis zu einer Lösung hätten die Verkehrsminister beider Länder noch einige «Viertausender» zu besteigen. «Aber die Schweizer sind ja dafür bekannt, dass sie Viertausender zu überwinden vermögen» fügte Wulff hinzu.
Seit dem April 2003 dürfen wegen der von Deutschland erlassenen Verordnung Flugzeuge im Anflug auf den Zürcher Flughafen in den frühen Morgenstunden und am Abend süddeutsches Gebiet nicht überfliegen. Die Anflüge erfolgen am Morgen von Süden her über dichtbesiedeltes Gebiet im Nordosten der Stadt Zürich, am Abend von Osten her.
siehe auch:
Anflugbeschränkungen: Bundesrat prüft Rekurs gegen Urteil des EU-Gerichtes (UVEK)
Zürcher fordern: Nicht klein beigeben im Fluglärmstreit (TA)
Deutsche in Zürich sind stärker vom Fluglärm betroffen (10vor10, SF)
Geschenkte Anflugroute (Leserbriefe TA)
EU-Gerichtsurteil (Leserbriefe NZZ)