Wie entwickelt sich die Zürcher Verkehrspolitik in den nächsten Jahren? Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker (SVP) hat, insbesondere in der Flughafenpolitik, ein schweres Erbe angetreten.
Interview Martina Keller-Ullrich und Reto Heinzel (SDA)
Ernst Stocker, wenn Sie eine erste kurze Zwischenbilanz nach Ihrem Wechsel vom Stadtpräsidenten zum Regierungsrat ziehen: Wie ist Ihnen der Einstieg ins neue Amt geglückt?
Ob er geglückt ist, müssten Sie eigentlich andere fragen. Aus meiner Sicht kann ich jedenfalls sagen, mir geht es gut. Aber es ist schon eine Umstellung für mich. Ich war ja nie ein reiner Büromensch, sondern habe neben der Politik immer zu rund 20 Prozent in der Landwirtschaft gearbeitet.
Waren das erwartete Veränderungen, die da auf Sie zugekommen sind, oder gab es auch Überraschungen?
Überraschend für mich ist, welch gute Unterstützung man hat. Das ist ganz anders als in einer Gemeinde. Unangenehme Überraschungen gab es bisher keine, aber ich bin natürlich gewappnet.
Welches sind Ihre anspruchsvollsten Geschäfte?
Grossen Respekt habe ich vor der Flughafendiskussion, die mit der Richtplanauflage jetzt dann weitergeht. Den gordischen Knoten in der Lärmfrage zu durchschlagen, wird anspruchsvoll sein.
Im Süden des Flughafens hat man bekanntlich ganz andere Positionen als im Osten. Wie ist es möglich, im Kanton Einigkeit zu erreichen?
Unser vordringliches Ziel muss es sein, dass es möglichst wenig lärmgeplagte Menschen gibt. Basis dafür bilden die Raumplanung und die verschiedenen Betriebsvarianten im Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL). Das sind die Grundlagen, an die ich mich halte.
Der Grenzwert im Zürcher Fluglärm-Index (ZFI) wurde zwei Jahre nach Einführung bereits überschritten. Haben Sie schon Massnahmen entwickelt, die Sie dem Kantonsrat vorschlagen werden?
Da sind wir zurzeit dabei, das braucht aber noch etwas Zeit. Im Rahmen des ZFI-Monitoringberichts für das Jahr 2009 werden wir im Herbst Konkreteres sagen können.
Trotzdem halten Sie den ZFI für ein brauchbares Instrument?
Ich masse mir nicht an, den ZFI in Frage zu stellen, schliesslich hat das Volk darüber abgestimmt. Man muss nur entscheiden, wie man ihn einstuft: Ist er bloss ein Monitoring-Instrument oder eine Beschränkung? Da gehen die Meinungen auseinander.
In welche Richtung tendieren Sie denn: Monitoring oder Beschränkung?
Der ZFI ist ein Monitoring-Instrument. Er verpflichtet die Behörden je
doch, Massnahmen zu ergreifen, wenn der Richtwert überschritten wird.
Neben dem Flug- sind Sie auch für den Strassen- und Schienenverkehr zuständig. Wie lassen sich Finanzierung und Qualität sicherstellen?
Wir sind gerade dabei, für den Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) neue Tarifgrundsätze und Rahmenkredite festzulegen. An der Qualität des öffentlichen Verkehrs wollen wir nichts ändern. Das hat natürlich seinen Preis. Aber das ist es auch wert.
Sieht es denn beim Strassenverkehr genauso rosig aus?
Die Westumfahrung hat die Stadtzürcher Quartiere um rund 30 Prozent entlastet. Trotzdem gibt es noch Probleme. Unser wichtigstes Anliegen ist die dritte Röhre beim Gubristtunnel. Da fahren fast 100 000 Autos täglich durch. Das ist eine der am stärksten befahrenen Strassen in der ganzen Schweiz.
Noch vor Ihrem Amtsantritt hat Sie der Bundesrat in den Bankrat der Schweizerischen Nationalbank gewählt. Sind Sie denn kompetent für diese Aufgabe?
Als Bundesrat Merz mich angerufen hat, habe ich ihn auch gefragt, ob ich der Richtige für diesen Posten sei. Er meinte, selbstverständlich, schliesslich sei ich ja der Vertreter der zweitgrössten Volkswirtschaft in diesem Land, nach dem Bund. Man darf sich das nicht alles so abstrakt vorstellen. Es ist natürlich schon eine Herausforderung, aber für Sachentscheide ist ja das Präsidium zuständig und nicht der Bankrat. Dieser ist eher eine Art Sparringpartner des Präsidiums für die wirtschaftliche und politische Einschätzung.
Ihr Terminkalender ist nun sicher noch wesentlich dichter gedrängt. Wo finden Sie den Ausgleich zur Politik?
Also wenn mal ein Termin ausfällt, gehe ich bei diesem Wetter mal in die Limmat oder in den See zum Schwimmen. Ausserdem versuche ich, meine Freundschaften zu pflegen. Das ist mir sehr wichtig. Ich schaue auch, dass ich in meiner Heimatgemeinde Wädenswil an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen kann. Am Wochenende gehe ich vielleicht auch einoder zweimal in den Stall zum Melken. Meine Frau sagt auch immer, das sei gut, damit ich nicht abhebe hier in Zürich.
Sie sind jetzt ja seit rund einem Vierteljahrhundert in der Politik tätig. Welches Verhältnis haben Sie in dieser Zeit zur Macht entwickelt?
Sicher hat man als Regierungsrat Macht, aber wir leben ja in einer Demokratie. Meine Maxime ist: Staatliches Handeln muss verhältnismässig sein. Mich beschäftigt viel mehr die Verantwortung und wie man den Ansprüchen gerecht werden kann. Der Staat hat ja immer die Tendenz, dass er überreagiert und überorganisiert. Man kann aber auch versuchen, manche Dinge zu vereinfachen und Gesetze wieder abzuschaffen. Das ist natürlich schwierig, denn in der Schweiz neigen wir ja eher zum Perfektionismus.
Wo sehen Sie den Kanton Zürich in 25 Jahren?
Die Problematik wird sein, auf dem beschränkten Raum ein Umfeld zu schaffen, mit dem die hohe Lebensqualität weiterhin garantiert werden kann. Auch dem Bildungsbereich müssen wir Sorge tragen, denn das ist unser Rohstoff. Angesichts der wachsenden Konkurrenz aus Asien müssen wir in Europa auf die Hinterbeine stehen. Das ist mit Risiken verbunden, birgt aber auch Chancen.
AvU, 11.08.2010, Seite 11