Für den Streit um die Zürich-Flüge durch den süddeutschen Luftraum könnte dies erhebliche Konsequenzen haben. Das Schweizer Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) hatte während des Vulkanausbruchs am 20. April der Schweizer Flugsicherung Skyguide grünes Licht gegeben, um den süddeutschen Luftraum so zu nutzen, wie es das Schweizer Reglement verlangte: Zürcher An- und Abflüge durften weiterhin nach Instrumentenflugregeln vorgenommen werden, während es über Deutschland aus Sicherheitsgründen ein eingeschränktes Flugverbot auf Sicht gab.
Wie das Bazl gegenüber dieser Zeitung erklärte, habe man das deutsche Verkehrsministerium zuvor über diesen Schritt „informiert". Dagegen hatte der zuständige Staatssekretär im Verkehrsministerium, Jan Mücke (FDP), noch erklärt, das Schweizer Bazl habe „von sich aus frühzeitig telefonischen Kontakt mit dem zuständigen Fachreferat im BMVBS aufgenommen und die im vorliegenden Fall auch von der Deutsche Flugsicherung befolgten ICAO-Verfahren im deutschen Luftraum angewandt".
Das Bundesverkehrsminsiterium stützt jetzt die Rechtsauffassung der Schweiz und stellt fest: Teile des Süddeutschen Lauftraums unterliegen allein den Schweizer Bestimmungen. Das Ministerium erklärte auf eine Anfrage dieser Zeitung: „Bei dem von Skyguide betreuten Bereich über Deutschland handelt es sich nach Auffassung der Bundesregierung um ein durch jahrzehntelange Praxis begründetes völkerrechtliches Servitut. Innerhalb des in Anspruch genommenen Servituts gilt schweizerisches Recht."
Damit widerspricht Berlin der bislang geltenden Rechtsauffassung, dass im deutschen Luftraum nur deutsches Recht gilt, selbst dann, wenn eine ausländische Flugsicherung dafür zuständig ist. So hatte das Landgericht Konstanz im Juli 2006 in seinem Urteil zur Haftungsfrage von Überlingen darauf hingewiesen, dass die „Luftverkehrsverwaltung, zu der auch die Flugverkehrskontrolle gehört, in bundeseigener Verwaltung zu führen" sei (Artikel 87d Absatz 1 Grundgesetz).
Ein Servitut, das einen Staatsvertrag ersetzen könnte, hatten auch die Konstanzer Richter verneint. Nach dem Urteil, das noch keine endgültige Rechtskraft erlangt hat, muss die Bundesrepublik für die Fehler von Skyguide am 2. Juli 2002, die zum Flugzeugabsturz von Überlingen führten, auf ganzer Linie haften.
Bereits in den 80er Jahren hatte der Luftfahrtexperte Karl-Heinz Böckstiegel in einem Gutachten für das Bundesverkehrsministerium festgestellt, dass es für die Schweiz am Himmel über Baden-Württemberg kein völkerrechtlich verbindliches Gewohnheitsrecht gibt. Anders gesagt: Ohne einen Staatsvertrag ist die Arbeit Skyguides verfassungswidrig.
So lautet auch das Urteil der drei südbadischen CDU-Abgeordneten Thoames Dorflinger, Siegfried Kauder und Andreas Jung zur Auffassung Berlins, über weite Teile Baden-Württembergs gelte „schweizerisches Recht". Schon der Ausgangspunkt sei falsch, Skyguide operiere über Süddeutschland aufgrund eines Servituts, also einer völkerrechtlich verbindlichen Dienstbarkeit, erklärte Andreas Jung. Das Ministerium setze jetzt „nochmal eins drauf", indem es davon ausgehe, über den Köpfen der deutschen Bevölkerung gelte Schweizer Recht. „Das ist eine Argumentation, die unserer Ansicht nach verfassungswidrig ist," erklärte Jung.
Die drei südbadischen Abgeordneten hatten kürzlich in einem Brief an Verkehrsminister Peter Ramsauer kritisiert, dass es während des Flugverbots zur Zeit der Vulkanasche zu einer „geteilten Sicherheit" über Deutschland gekommen war. Ihr Schreiben, in dem sie Aufklärung über den Vorfall vom 20. April verlangen, soll bisher nicht beantwortet worden sein.
Kritik an den Äußerungen des Bundesverkehrsministeriums kommt auch von der Bürgerinitiative Flugverkehrsbelastung im Landkreis Waldshut. Mit der „Abtretung" des süddeutschen Luftraums gehe Berlin offenbar von einem Endes des Fluglärmstreits aus, erklärte Rolf Weckesser. Da am Himmel über Südbaden nunmehr Schweizer Recht gelte, könne die Schweiz auch eine „weitgehende Verlagerung der Flugverkehrsbelastungen" nach Süddeutschland vornehmen. Damit sei auch „eine Fortführung der geheimen Gespräche in der sogenannten AG-Zürich überflüssig".