Was war das neulich für ein Aufschrei, als die Lufthansa-Piloten unbefristet streiken wollten. Unzumutbar, eine Katastrophe, Jobkiller – der Untergang der deutschen Wirtschaft wurde gar an die Wand gemalt. Wohlgemerkt: Es ging um eine einzige Fluglinie, der Streik war Wochen vorher terminiert, jeder konnte sich darauf einstellen.
Insofern tut es gut zu erleben, was passiert, wenn plötzlich in halb Europa kein einziger Flieger mehr starten und landen kann: Das Chaos lässt sich halbwegs managen, so leicht geht das Abendland nicht unter. Zudem war die große Mehrheit aller Europäer überhaupt nicht betroffen. Und dennoch starren wir alle ungläubig und fassungslos auf Radarfilme und Satellitenbilder, die anmuten wie kühne Animationen aus einem Actionfilm.
Dieses Gefühl hatte ich das letzte Mal am 11. September 2001, als sich bei Terroranschlägen zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Center in New York bohrten, rund 3000 Menschen ihr Leben ließen. Damals dauerte es lange, bis sich Lähmung und Schockstarre lösten. Bis heute verfolgt uns dieser Tag, schließlich haben seitdem Tausende ihr Leben durch Folgekriege und Anschläge verloren: eben erst wieder vier deutsche Soldaten. Das ist eine echte Tragödie, eine Wolke aus Vulkanasche ist es – bis jetzt zumindest – nicht.
Uns allen täte eine gewisse Gelassenheit wirklich gut: Natürlich könnte der Flugverkehr monatelang ausfallen, wenn der Vulkan weiter so aktiv bleibt, vielleicht gar seinen weit größeren Nachbarn Katla „erweckt“. Natürlich könnte die Vulkanasche den Himmel über Europa verdunkeln wie Ende des 18. Jahrhunderts und ganz Europa mit unangenehmem Schwefelgeruch überziehen. Natürlich könnten Asthmatiker und die Weltwirtschaft in (Atem-)Nöte kommen.
Weit wahrscheinlicher ist, dass in ein paar Tagen alles wieder seinen gewohnten Gang nimmt – Schadenersatzklagen und Versicherungsfälle inklusive. Zudem gibt es ja auch Gewinner: In Flugschneisen könnten Lärmgeplagte zu einer unerwarteten Ruhepause kommen. Andere wiederum in angenehmen Stress, denn bei Bus und Bahn, bei Autovermietern und Mitfahrzentralen brummt der Laden. Und nicht nur dort.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Für manche ist der Flugausfall sicher überaus ärgerlich – für Menschen, die sich auf ihren Jahresurlaub gefreut haben zum Beispiel. Oder für Sportler, die sich auf ein Ereignis wie den Boston-Marathon vorbereitet haben und ihn jetzt verpassen. Und wie bitter muss es Menschen treffen, die von weither anreisen wollten, um dem verunglückten polnischen Präsidenten Lech Kaczynski die letzte Ehre zu erweisen und es wegen der Vulkanasche nun nicht tun konnten.
Auch dieses Naturereignis zeigt uns: Es könnte sich rächen, weiterzumachen wie bisher, mit Wachstum um jeden Preis. Natürlich wissen wir viel zu wenig darüber, ob ein Vulkanausbruch mit dem Klimawandel zu haben könnte oder hat. Gefühlt jedoch haben sich die Anzeichen gemehrt, dass unser Planet aus dem Gleichgewicht geraten ist, auch wenn es Erdbeben oder Vulkanausbrüche schon immer gegeben hat.
Oder, einfacher gesagt: Ein paar Leute aus Dortmund machen sich jetzt ein schönes Wochenende an der Nordsee, weil ihr Flieger in den Süden ausgefallen ist. Andere bleiben gleich ganz zu Hause. Das mag Gift fürs Wachstum sein, schön kann das Wochenende trotzdem werden. Auch unfreiwillige Entschleunigung könnte diese Erkenntnis fördern.
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