Airlines sparen auf Buckel der Bevölkerung (AvU)

Publiziert von VFSNinfo am
Der wahr genommene Lärm abfliegender Flugzeuge ist abhängig von der Flughöhe der Maschinen

Es gibt Startverfahren für die Flugzeuge in Kloten, die über dem Zürcher Oberland deutlich weniger Lärm verursachen würden. Die Kosten für die Airlines wären allerdings erheblich.

Léa Wertheimer

Ein moderner Airbus donnert über die Gemeinde Kyburg. Er fliegt in einer Höhe von rund 1500 Metern über Meer. Er könnte aber deutlich mehr als die rund 880 Meter Luft zwischen sich und dem Dorf haben, wären die Piloten mit Vollgas in Zürich gestartet. Und mit der grösseren Distanz zwischen Dorf und Flugzeug wäre ganz nach physikalischen Gesetzen der Lärm deutlich geringer. Aber: Ein Abflugverfahren mit Vollschub würde die Airlines Tausende von Franken mehr kosten. Grund dafür ist die höhere Belastung der Triebwerke bei Vollgas.

Wenig Schub – mehr Lärm

Es gibt im Grunde zwei Möglichkeiten, das Geräusch eines startenden Flugzeugs am Boden zu reduzieren: weniger Schub und somit das Getöse der Motoren gering halten, oder die Distanz zwischen Lärmquelle und Beobachter möglichst gross halten – dies erreicht man nur mit mehr Schub, damit das Flugzeug steiler steigen kann. Beide Prozeduren haben Vor- und Nachteile. Startverfahren mit reduzierter Leistung bewirken, dass das Flugzeug auf der Startbahn und in unmittelbarer Nähe des Flughafens leiser ist. Weniger Schub bedeutet aber
gleichzeitig, dass das Flugzeug schlechter steigt. Somit ist auf der verbleibenden Abflugstrecke, also auch über Kyburg, deutlich mehr Lärm messbar.
In der mathematischen Formel gegen Fluglärm gibt es nur wenige Variablen. Die wohl effektivste Art, das Geräusch der Triebwerke beim
Start der Flugzeuge zu minimieren, ist, ihn möglichst von den Ohren der Bevölkerung fernzuhalten. Dies ist wörtlich zu verstehen – und die Rechnung ist einfach: Je grösser die Distanz zwischen Lärmquelle und Empfänger, desto leiser das Geräusch. Es gilt die Regel, dass der Lärm mit zunehmendem Abstand linear abnimmt. Kurz: Verdoppelt man die Höhe, halbiert sich der Lärm.
Kyburg könnte der gleiche Airbus gut 300 Meter höher überfliegen, also den Lärm um rund einen Drittel reduzieren. Will man im weiteren Umkreis zum Flughafen Kloten, also auch über dem Zürcher Oberland, weniger Lärm, gilt es, die Distanz zwischen Lärmquelle nd dem Empfänger zu maximieren. Dies wird nur erreicht, wenn die startenden Flugzeuge möglichst rasch Höhe gewinnen.

Anti-Lärm-Starts in Dübendorf

Die Strategie, möglichst viel Höhe in kurzer Zeit zu gewinnen, praktizierte die Luftwaffe seinerzeit auch auf dem Flugplatz Dübendorf, bestätigt Laurent Savary, Kommunikationsverantwortlicher der Schweizer Luftwaffe. «Die Starts erfolgen mit voller Leistung, bei einem Kampfjet also mit Nachbrenner», man nehme damit in Kauf, dass der Lärm auf dem Flugplatz und in unmittelbarer Nähe deutlich lauter sei. «Der Vorteil aber ist, dass das Flugzeug nach kurzer Zeit weit oben fliegt und damit weniger Leute lärmmässig tangiert», erklärt Savary weiter.

Triebwerk und Geldbörse schonen

Warum die Linienflugzeuge selten mit voller Startleistung abfliegen, hat diverse Gründe. Einer davon ist, die Triebwerke möglichst zu schonen. Es gebe verschiedenste Faktoren, die die Triebwerke belasten: Das Klima oder beispielsweise afrikanischer Sand, häufige Starts und Landungen oder auch die Startverfahren können die Lebensdauer eines Triebwerks verkürzen, erklärt Martin Schneider von SR Technics.
Die Motoren eines Flugzeugs werden während des Starts hohen Temperaturen ausgesetzt. Diese hinterlassen ihre Spuren, nützen die Triebwerke ab, sodass immer wieder Wartungsarbeiten anfallen und die Lebensdauer der Triebwerke drastisch reduziert wird. «Der Start mit reduziertem Schub (Flex Take-off, siehe Box) schont die Motoren, sodass sie zwischen 5 und 10 Prozent weniger Abnützung zeigen», so Schneider. «Wir praktizieren den Start mit reduziertem Schub so oft es geht, um das Triebwerk zu schonen», sagt Jean-Claude Donzel, Sprecher der Swiss International Airlines.
Und dies hat direkte Auswirkungen aufs Portemonnaie der Fluggesellschaften. Denn: «Eine Wartung kostet zwischen 1,5 und 3 Millionen Franken», so Schneider weiter. «Für Triebwerke unseres A330 sind es zwischen 4 und 6 Millionen US-Dollar, und dies macht an die 30 Prozent der Wartungskosten aus», bestätigt auch Lorenz Thöni, Head of Engineering and Maintenance der Edelweiss Air. Die Swiss wollte zu diesem Thema ihre Zahen nicht offenlegen. Doch auch die Hersteller der Triebwerke fordern den schonenden «Flex Take-off». «Die Wartungund Leasingverträge beinhalten Bedingungen, wie viele Starts reduziert werden müssen», ergänzt Swiss-Sprecher Jean-Claude Donzel.
«Es dauert mindestens 45 Tage, um ein Triebwerk zu überholen», so Martin Schneider. Damit die Flugzeuge trotzdem in die Luft kommen, würden für diese Zeit Ersatzmotoren montiert.


So wenig Schub wie möglich
Das sogenannte Flex-Take-off-Verfahren wird angewendet, um die Abnützung der Triebwerke zu reduzieren. Mit diesem Verfahren rechnen die Piloten vor dem Start aus, wie viel Triebwerkleistung gerade noch genügend ist, um die gesetzlich verlangten Start- und Steigleistungen zu erreichen. Die beim Start gesetzte Triebwerkleistung reicht dann dafür aus, um folgende drei Fälle abzudecken:

  • Startabbruch bei Entscheidungsgeschwindigkeit und Anhalten des Flugzeugs am Pistenende.
  • Startfortsetzung nach Motorenausfall und Überfliegen des Pistenendes mit einer minimalen Höhe von 4,5 Metern bei nasser und 10,5 Metern bei trockener Piste.
  • Nach Motorausfall und Einfahren des Fahrwerks Steigflug mit mindestens 24 Metern Höhengewinn pro geflogenen Kilometer oder Überfliegen von Hindernissen (so solche vorhanden) mit einem Mindestabstand. (zo)

Anzeiger von Uster, 09.06.2010