Wie Flugzeuge klimaschonend landen (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Die Flugzeugindustrie will künftig mehr Treibstoff sparen und die Treibhausgase reduzieren. In Europa sollen eine neue Anflugtechnik und kürzere Flugrouten helfen.


Kommentar VFSN: Der VFSN setzt sich schon seit Jahren für diese Art von Anflügen ein - leider waren wir lange Zeit die Einzigen. Siehe auch : Green Approach, gekrümmter Endanflug, gekröpfter Nordanflug (VFSN, 2007). An alle, die jetzt über diese "neue" Anflugmöglichkeit jubeln: Der Umweg über den Süden macht die ganzen CO2-Einsparungen durch den CDA wieder zunichte. Wir hoffen, dass wir wie beim CDA, auch beim GNA der Zeit einfach etwas voraus sind...

Von Martin Läubli

Beim SAS-Kurs 011 geht es um Sekunden. Die Maschine der Scandinavian Airlines gleitet Richtung Stockholmer Flughafen. Kein Fallen von Höhenstufe zu Höhenstufe, wie das sonst üblich ist. Die Turbinen der Maschine laufen während der Anflugphase praktisch leer. Der Supervisor im Kontrollraum des Flughafens Arlanda, Mats Lindholm, ist zufrieden: «25 Sekunden Verspätung, das geht in Ordnung.»

Continous Descent Approach, kurz CDA heisst dieses Anflugverfahren. Auf Deutsch sprechen die Experten von kontinuierlichem Sinkflug. Niclas Härenstam vom Arlanda Airport kommt ins Schwärmen, wenn er darüber spricht. Die erste SAS-Maschine, eine Boeing B737, sei am 19. Januar 2006 nach dem CDA-Verfahren gelandet. Seither dirigierten Fluglotsen und Computer weit über 5700 Flüge auf diese Art nach Arlanda. Die Fluggesellschaften hätten dabei rund 500\'000 Kilogramm Kerosin gespart, die Motoren der Flugzeuge entliessen etwa 1,6 Millionen Kilogramm weniger klimaschädliches Kohlendioxid (CO2).

Die Schweden sind bereits hart auf dem Kurs, wie ihn die Flugzeugindustrie letzte Woche auf der Konferenz für Flugverkehr und Umwelt in Genf vorgezeichnet hat.

Keine Warteschlaufen

Der Vorteil dieser neuen Technik ist die exaktere Flugplanung, als sie heute möglich ist. Der Landezeitpunkt wird wesentlich früher festgesetzt, und der Flugverlauf wird danach ausgerichtet. Das führt zu nahezu optimalen Flugwegen. «So gibt es keine Warteschlaufen», sagt Niclas Härenstam. Und die Organisation am Boden wird effizienter: Weniger Rollzeit, weniger Treibstoffverbrauch. In Arlanda landen während flauer Verkehrzeiten etwa 10 bis 15 Prozent Flugzeuge nach dem CDA-Prinzip.

Derzeit sind Flugzeuge von 64 Airlines mit dem CDA-System ausgerüstet, neben der Scandinavien Airline unter anderem auch KLM, Lufthansa, Finnair, British Airways. Über zwanzig Flughäfen können heute mit dem neuen Verfahren angeflogen werden. Arlanda sei aber momentan der einzige Flughafen weltweit, der den kontinuierlichen Sinkflug bereits auf Reisehöhe auslöse. «Die Umwelt ist heute zuoberst auf unserer Prioritätenliste, gerade nach der Sicherheit», sagt Härenstam.

Die europäische Flugsicherung Eurocontrol überwachte in Europa im Jahr 2007 fast 10 Millionen Flüge. Der Flugzeugbauer Airbus rechnet in seiner globalen Marktprognose - das war noch vor der Finanzkrise -, dass die Zahl der Passagierflüge in den nächsten zwanzig Jahren weltweit jährlich um knapp 5 Prozent ansteigt. Das hiesse: Die Emissionen würden sich in diesem Zeitraum verdoppeln. Die Luftfahrt produziert heute etwa 2 bis 3 Prozent der globalen CO2-Emissionen, auf den weltweiten Verkehr bezogen sind das 12 Prozent.

Die Europäische Organisation für Flugsicherheit (Eurocontrol), der Weltluftfahrtsverband (Iata) und der weltweite Dachverband von Flugsicherungsanbietern (Canso) setzen auf die CDA-Technik. Sie spielt eine Schlüsselrolle im Masterplan der drei Organisationen, wie künftig Treibstoff und Emissionen effektiv reduziert werden sollen. «Die Einführung des Systems hängt grundsätzlich davon ab, wie die Flughäfen, die lokalen Flugsicherungen und die wichtigsten Fluggesellschaften zusammenarbeiten werden», schreibt der Umweltbeauftragte von Eurocontrol, Andrew Watt, in der Zeitschrift «Skyway».

Die europäische Luftfahrtindustrie hat an der Konferenz in Genf angekündigt, bis 2013 die Technik des kontinuierlichen Sinkflugs in rund 100 europäischen Flughäfen als Standard einzuführen. Damit will sie den jährlichen CO2 um bis zu einer halben Million Tonnen senken.

Einbusse bei der Kapazität

Die Technik dürfte aber in Europa nie flächendeckend möglich sein. Vor allem dort, wo ein dichter Flugverkehr herrscht. Zum Beispiel in Kloten. «Im komplexen Luftraum Zürich ist heute die Anwendung eines CDA-Verfahrens nicht ohne Einbusse bei der Kapazität umsetzbar», erklärt Maude Rivière von der Schweizer Flugsicherung Skyguide. Das hohe Verkehrsaufkommen, die begrenzten Platzverhältnisse und das unterschiedliche An-und Abflugverfahren des Flughafens Zürich machen es schwierig, den Anflug aus einem Guss zu planen. Geschwindigkeitsregulierungen und eine laterale und vertikale Staffelung funktioniere nicht mehr, heisst es bei der deutschen Flugsicherung. Das sei jenes bewährte «Handwerkszeug», das es den Fluglotsen bei normalen Anflügen erlaube, möglichst viele Flugzeuge «wie an einer Perlenschnur gezogen» und im richtigen Abstand auf die Endanfluglinie zu führen. Der Grund für die Einschränkung: Im CDA-Verfahren müssen die Geschwindigkeiten geflogen werden, die für den jeweiligen Flugzeugtyp gelten, wenn die Turbinen im Leerlauf arbeiten. Und der Landeanflug ergibt sich aus der dazugehörenden Sinkrate.

Helfen könnte in Zukunft die EU-Initiative eines «Einheitlichen Europäischen Luftraumes», kurz SES, der die Flugkapazität in Europa verdreifachen soll. Dafür hat die EU das Forschungsprogramm Sesar ins Leben gerufen, das bis 2020 ein neues System aufbauen soll, um den Flugverkehr in der Luft und in den Flughäfen effizienter zu regeln. Nicht mehr bodengestützt, sondern vor allem per Satellit.

Gemeinsame Lufträume

«Während das Schengener Abkommen am Boden für ein grenzenloses Europa sorgt, wird der Himmel über Europa von 47 nationalen Flugsicherungen überwacht», heisst es in einem Lufthansa-Bericht zur Nachhaltigkeit. Die Konsequenz sei: Jedes Flugzeug in Europa fliegt statt «klimaschonend die kürzeste Route» einen Umweg von durchschnittlich 50 Kilometern, was einen CO2 von fünf Millionen Tonnen jährlich ausmacht.

Die Flugsicherung im SES wäre nicht mehr wie heute mehrheitlich entlang von Landesgrenzen organisiert, sondern entsprechend den Verkehrsströmen. Dafür sollen Lufträume geschaffen werden, die mehrere Länder umfassen. Die Schweiz etwa soll Teil eines gemeinsamen Luftraums Zentraleuropa werden. Auf diese Weise könnten die einzelnen Destinationen direkter angeflogen werden. Laut Lufthansa wäre die Optimierung der europäischen Flugsicherung «das grösste Klimaschutzprojekt der Luftfahrt in Europa».

Bis es allerdings so weit ist, werden noch einige Jahre vergehen. Nicht so lange warten wollen die Betreiber des Arlanda-Flughafens in Stockholm. In vier Jahren, so planen sie, sollen 80 Prozent der Flugzeuge nach dem Prinzip des kontinuierlichen Sinkflugs landen.

Tages-Anzeiger, 07.04.2009