Oliver Steimann
Im zähen Ringen um die Lösung des Lärmproblems am Zürcher Flughafen ist diese Woche eine weitere grosse Schlacht geschlagen worden. Im Kantonsrat wurden sämtliche Register gezogen, der politische Gegner je nach Standpunkt als egoistisch, populistisch, dumm, dement oder naiv tituliert. Inzwischen hat sich der Pulverdampf etwas verzogen und gibt den Blick frei auf die neue Ausgangslage in der Flughafenpolitik. Am 27. September entscheidet das Zürcher Stimmvolk über zwei Vorlagen, die im Kern beide die zentrale Frage des ganzen Konflikts betreffen: Soll der Fluglärm kanalisiert oder noch mehr verteilt werden? Jede Region rund um den Airport hat darauf ihre eigene Antwort und lotet nun ihre Möglichkeiten aus, über eine der beiden Initiativen ihrem Ziel näher zu kommen. Treibende Kraft hinter beiden Vorlagen ist der so genannte «Osten» - ein Gebiet, das von Kloten über Winterthur bis ins Tösstal reicht. Die «Fairflug»-Initiative ist hier lanciert worden. Das Volksbegehren möchte eine ausgeglichene Verteilung der nicht über Süddeutschland führbaren Starts und Landungen vorschreiben, nötigenfalls mit der Öffnung neuer Anflugschneisen. Auf diese Weise wollen die Initianten verhindern, dass der Osten künftig zur Hauptanflugrichtung wird. In allen anderen Gebieten hat man diese Absicht aber längst durchschaut, weshalb die Initiative an der Urne kläglich scheitern dürfte.
Neue Hauptanflugrichtung
Das Augenmerk ist deshalb auf die zweite, weit chancenreichere Vorlage zu richten. Für die Region Ost hätte ein Pistenbauverbot ähnliche Auswirkungen wie «Fairflug» - eine weitere Forcierung der Anflüge auf die sehr kurze Piste 28 wäre aus meteorologischen und topografischen Gründen nämlich kaum noch möglich. Die Gegenargumentation der Flughafenbetreiberin Unique, eine Pistenverlängerung würde allein der Sicherheit und der Stabilisierung des Flugbetriebs dienen, ist da reine Augenwischerei. Das von Verkehrsminister Moritz Leuenberger, dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) und der Zürcher Regierung favorisierte Betriebssystem sieht den Osten nach einem Pistenausbau klipp und klar als eine neue Hauptanflugschneise vor.
Kompromisslose Strategie
Genau dies hat man auch in der Region südlich des Flughafens erkannt, weshalb ein Pistenausbau in Schwamendingen, Gockhausen und Zumikon durchaus auf Sympathien stösst. Nach der vorläufigen Ablehnung des gekröpften Nordanflugs richten sich die Hoffnungen der lärmgeplagten Bevölkerung nun auf eine Entlastung über den Ostanflug. Kein Wunder, sind sich die in der letzten Flughafenabstimmung noch verbündeten Schneiser-Vereine aus den beiden Regionen mittlerweile spinnefeind. Seit je haben die Verbände, Gemeinden und Politiker in der Pfannenstielregion eine Strategie verfolgt, die keinerlei Kompromisse zulässt: Südanflüge sind nicht akzeptabel. Trotz allen Rückschlägen, die sie erleiden mussten, und allen Antipathien, die sie andernorts damit auf sich gezogen haben, halten die Protagonisten an diesem Prinzip eisern fest. Und aus dieser Strategie heraus ist die Forderung nach einer «Ertüchtigung der Ostpiste» konsequent. Abgesehen von bestimmten Wetterlagen wäre eine gewisse Entlastung des Südens so durchaus möglich. Ausserdem will man sich mit dem ausgebauten Ostanflug ein Pfand für die Gespräche mit Deutschland verschaffen. Vielleicht sind mit Berlin ja doch flexiblere Lösungen möglich, wenn die Schweiz eine Anflugroute über eigenem Gebiet forciert.Und das Unterland? Hier stossen die Ausbaupläne auf wenig Gegenliebe. Von einem Pistenausbau wäre beispielsweise die Gemeinde Rümlang ganz direkt betroffen, würde sie doch ein grösseres Stück Gewerbe- und Industriezone verlieren. Ausserdem fürchtet man sich vor dem bekanntlich sehr lauten Startlärm, mit dem künftig der Westen und der Norden des Flughafens häufiger beschallt werden könnten.
Regelmässig überstimmt
Im Kantonsrat haben die Vertreter dieser Regionen erfolgreich für ein klares Nein zum Pistenausbau gekämpft. Doch sollte man sich von diesem Resultat nicht täuschen lassen. Die Erfahrung zeigt, dass das Unterland bei flughafenpolitischen Urnengängen regelmässig vom Rest des Kantons überstimmt wird. «Es wird einen hässlichen Abstimmungskampf geben», prophezeit Priska Seiler-Graf, SP-Kantonsrätin aus Kloten. Wer die fünfstündige Ratsdebatte verfolgt hat, muss diese Befürchtung teilen. Anders als bei der letzten flughafenpolitischen Abstimmung im Herbst 2007 wird diesmal jede Region mehr oder minder rücksichtslos nur für ihre eigenen Interessen kämpfen. Ein gemeinsamer Nenner, und sei er auch noch so klein, ist nicht auszumachen.Die meisten Experten und Politiker haben sich denn auch von der Illusion verabschiedet, es allen recht machen zu können. Die nüchterne Erkenntnis: In der Flughafenpolitik ist ein «gutschweizerischer Kompromiss» nicht möglich. Es existiert kein goldener Mittelweg.
Kommentar VFSN:
«Es wird einen hässlichen Abstimmungskampf geben», prophezeit Priska Seiler-Graf, SP-Kantonsrätin aus Kloten. Dabei hätte es ja ausgerechnet Frau Graf und Ihre Partei in der Hand gehabt, dies zu verhindern. Warum unterstützen sie eine Initiative die ein Recht verlangt, dass heute schon existiert? Die Antwort ist einfach, weil aus eogistischen Motiven verhindern werden soll, dass über Lösungen nachgedacht und diskutiert werden darf, bei denen weit über 15\'000 Menschen von Fluglärm über dem Immissionsgrenzwert verschont würden. Nicht der Abstimmungskampf ist hässlich, sondern die Handlungsweise und die Motivation der Sympatisanten dieser Initiative.
Thomas Morf