Der Tag, an dem die Ruhe endete (ZSZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Südanflüge  - Seit dem 30. Oktober 2003 wird die Pfannenstiel-Region massiv belärmt

Morgen jährt sich die Einführungder Südanflüge zumfünften Mal. Vieles wurde versucht, um den früherenZustand wieder herzustellen– ohne Erfolg. Doch die Protestewerden kaum leiser.

Oliver Steimann

Bis zum Sommer 2001 war die Welt im mittleren Glattal und am Pfannenstiel noch in Ordnung. Die Gespräche von Bundesrat Moritz Leuenberger mit dem deutschen Verkehrsminister Kurt Bodewig im fernen Bonn interessierten hier kaum jemanden. Dies änderte sich schlagartig, als bekannt wurde, welche Beschränkungen der ausgehandelte Staatsvertrag für den Flugbetrieb mit sich bringen würde. Weil Süddeutschland an den Wochenenden in den Tagesrandstunden lärmfrei bleiben sollte, war der Begriff «Südanflüge» plötzlich in aller Munde.
«Gegen den eigenen Willen» stelle man ein Gesuch für deren Einführung, erklärte der damalige Flughafendirektor Josef Felder immer wieder. Die politischen Sachzwänge liessen ihm indessen keine andere Wahl. Dass der Kanton Zürich und in der Folge auch das Parlament in Bern den Vertrag aus Empörung über die harte deutsche Haltung ablehnten, verbesserte die Lage keineswegs. Der neue Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe reagierte umgehend mit dem Erlass einer Verordnung (DVO), die noch schärfere Bestimmungen enthielt. Anstatt nur an den Wochenenden, mussten nun auch werktags von 6 bis 7 Uhr Südanflüge ins Auge gefasst werden.

Anflüge morgens und abends

Zwar war die Piste 34 seit je auch als Landebahn genutzt worden. Doch die rund 600 kleinen Privatmaschinen, die pro Jahr von Süden her in Kloten landeten, waren bislang kaum jemandem aufgefallen. Das änderte sich nun radikal. 17 schwere Linienflugzeuge überflogen bereits am ersten Tag die Forch, Gockhausen, Schwamendingen und Opfikon. Lärmwerte über 90 Dezibel rissen die Leute aus dem Schlaf. Mit der Einrichtung eines Instrumentenlandesystems (ILS) für die Piste 34 konnte der Südanflug ab Herbst 2004 auch bei schlechteren Wetterverhältnissen geflogen werden. In der Folge stieg die Belastung weiter an und erreichte 2006 mit 12 318 Südlandungen den bisherigen Rekordwert. Die technische Aufrüstung führte ausserdem dazu, dass der Südanflug bei manchen Wetterlagen zur Alternative für Ostanflüge wurde. 2006 zählte Unique bereits 2345 abendliche Südanflüge. 2007 waren es gemäss Flughafen- Sprecherin Sonja Zöchling 2070 und im laufenden Jahr (bis Ende September) 1431. «Die Entwicklung dieser Zahlen ist aber stark wetterabhängig», so Zöchling. Insbesondere während der Wintermonate könne häufig weder von Osten noch von Süden gelandet werden.

Erfolgloser Rechtsweg

Landesregierung, Zürcher Regierungsrat und Unique betonten stets, die Südanflüge nicht gewollt zu haben. Doch trotz zahlreicher Anstrengungen gelang es keinem dieser Akteure, deren Einführung wieder rückgängig zu machen. Ein erster Versuch wurde auf dem Rechtsweg unternommen. Doch die Einsprachen gegen die deutsche Verordnung scheiterten vor deutschen Gerichten ebenso wie in Brüssel. Ein zweiter Versuch stellte der gekröpfte Nordanflug dar, der als Alternative zum Südanflug propagiert wurde. Im Juli hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) diesen allerdings nach jahrelanger Begutachtung abgelehnt. Als dritter Lösungsweg werden immer wieder Neuverhandlungen mit Deutschland propagiert. Doch der nördliche Nachbar hat bereits mehr als einmal demonstriert, dass er es damit nicht eilig hat.

Widerstand ungebrochen

Trotz all dieser Rückschläge ist die Protestbewegung, angeführt von «Schneiser»-Präsident Thomas Morf, sehr lebendig geblieben. Morgen um 5.55 Uhr wollen sich die Betroffenen bei der Flamme des Forchdenkmals zu einer weiteren Kundgebung versammeln, um zu beweisen, «dass das Feuer des Widerstandes nicht erloschen ist».


«Bundesrat Leuenberger blockiert alles»

Richard Hirt, stören Sie zu Hause in Fällanden die Südanflüge auch nach fünf Jahren noch?
Ja, eindeutig. In der Regel wecken sie mich um sechs Uhr auf. Und sie nerven: Bei jedem Anflug denke ich, dass da wieder geltendes Recht gebrochen wird.

Alle Demos und Beschwerden der Südschneiser haben nichts gebracht. Der Frust muss gross sein.
Das ist so, ja. Es ist unerträglich, dass weder die Politik noch die Gerichte auch nur den kleinsten Schritt machen. Viele hier im Süden kommen sich vor wie in einer Bananenrepublik. Unsere ersten Einsprachen gegen die Südanflüge sind noch nicht behandelt. Mit anderen Worten: Seit fünf Jahren wird fast täglich gegen die Umweltschutzund Raumplanungsgesetzgebung verstossen – ohne dass sich ein Gericht äussert. Das ist ein Skandal.

Sie vertreten im Fluglärmforum Süd 35 Gemeinden. Ist der politische Wille noch stark, sich zu wehren, oder ist Resignation spürbar?
Resignation nicht, aber Frustration. Der letzte Hammer war der Entscheid gegen den gekröpften Nordanflug auf Sicht. Da hat man uns während der vierjährigen Planungsphase vertröstet, um uns dann mit einer hanebüchenen Begründung vor den Kopf zu stossen. Aber wir geben nicht auf.

Was soll denn Besserung bringen?
Es muss ein anderer Bundesrat die Führung übernehmen. Haben Sie gesehen, wie der deutsche Minister Steinbrück auf die Schweiz losgegangen ist? Im Vergleich zu diesem Wadenbeisser ist Leuenberger ein Zuckergiesser, der garantiert nichts erreichen wird. Auch Couchepin war wie ein Weggli-Bube, als er Bundeskanzlerin Merkel zu Gesprächen über die Flughafenproblematik empfing.

Sie denken, mit scharfen Worten liesse sich Deutschland in die Knie zwingen?
Nicht nur, aber ein bestimmteres Auftreten ist unabdingbar. Dazu muss man Fäden aufnehmen, die schon gesponnen sind: Ich denke an Paketlösungen, die auch die Themen Autostrassen, Grenzgängerabkommen, Endlager und Bahnanschlüsse beinhalten. Es gibt gerade in Baden-Württemberg gewichtige Organisationen, die da starke Interessen haben, ich denke zum Beispiel an die dortige Handelskammer.

Und den «Gekröpften» haben Sie abgeschrieben?
Nein, sicher nicht, aber es braucht Zeit. Drei bis vier Jahre wird es sicherlich dauern, bis die Planung des voll instrumentengestützten gekröpften Nordanflugs vollendet sein wird. Wir werden Druck machen, dass diese Arbeiten vorangetrieben werden.


Bringt der Wechsel an der Spitze des Bundesamts für Zivilluftfahrt Besserung für den Süden?
Ich hätte lieber einen Wechsel im Bundesrat gehabt. Raymond Cron hat seine Sache nicht schlecht gemacht. Es wird jetzt zu Verzögerungen führen, bis ein Nachfolger gefunden und bis der eingearbeitet sein wird. Politisch wird alles von Bundesrat Leuenberger blockiert. Ich habe den Eindruck, dass er sich immer noch auf einem Rachefeldzug befindet, weil er 2002 im Parlament mit seinem Staatsvertrag gescheitert ist. (asü)

* Richard Hirt ist Präsident des Fluglärmforums Süd, Gemeindepräsident in Fällanden und ehemaliger CVP-Kantonsrat.

ZSZ, 29.10.2008



siehe auch:
5 Jahre illegale Südanflüge (VFSN, 05:55 Uhr Forchdenkmal)
Fünf Jahre und kein Ende in Sicht? (ZSZ, 14.10.2008)
5 Jahre Südanflüge (Leserbriefe ZSZ, 14.10.2008)
Kämpfer und Seelsorger (ZSZ, 17.10.2008)
«Nachts hört man hier jedes Reh» (ZU, 25.10.2008)
«Wir müssen den Druck aufrechterhalten» (ZSZ, 25.10.2008)
Glaube an Rechtsstaat verloren (ZSZ, 28.10.2008)
Fünf Jahre Südanflug sind genug! (PR-indside, 28.10.2008)
Der Tag, an dem die Ruhe endete (ZSZ, 29.10.2008)
«Ohne Zugeständnisse keine Pistenverlängerung» (NZZ, 30.10.2008)
Schneiser trotzten Schnee (ZOL, 30.10.2008)
«Trölerisches Verhalten von Gerichten und Politik» (NZZ, 30.10.2008)
Demo Südanflüge (Video Schweiz Aktuell, 30.10.2008)
Morgendliche Fluglärm-Demo auf der nebligen Forch (TA, 31.10.2008)
Schneiser schlottern in Scharen (Glattaler, 31.10.2008)
Pfiffe gegen Jets im Schneegestöber (SZ, 31.10.2008)
«Mir Schneiser sind härti Chäibe» (ZSZ, 31.10.2008)
«Schneiser» trotzen dem Schneegestöber (ZOL, 31.10.2008)