Glaube an Rechtsstaat verloren (ZSZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Eine standhafte Gegnerin des Südanflugs lässt sich nicht unterkriegen

Der 30. Oktober 2003 hat das Leben von Ursula Hofstetter verändert. Mit dem ersten Südanflug nahm die Küsnachterin den Kampf auf - hauptsächlich gegen Unrecht, hintergründig gegen den Lärm.
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Christian Dietz-Saluz

Das Einfamilienhaus auf der Forch empfängt Besucher mit einer klaren Botschaft auf der Fassade: Gekröpfter Nordanflug Ja, Flugschneise Süd Nein. Auch im gemütlichen Haus wird Widerstand gegen den seit fünf Jahren geltenden Südanflug gelebt. "Ich schreibe gerade einen Brief an den Gemeinderat", sagt Ursula Hofstetter, als sie die Türe öffnet. Natürlich geht es auch dabei um das Thema, das sie ständig beschäftigt. Wie viele Leserbriefe sie schon in der Sache geschrieben hat? "Keine Ahnung, sicher einen pro Woche - man rechne...".

Dazu kommt jeden Montag eine Lärmklage an den Flughafen. Der artikulierte Widerstand ist fixer Teil ihres Alltags geworden. "Ich schreibe immer dasselbe, einfach mit anderen Worten, ich setze mich einfach hin und fange damit an", ist sie oft selbst erstaunt über ihre Kreativität. Die kommt allerdings erst am Nachmittag so richtig zum Blühen, denn Ursula Hofstetter ist kein Morgenmensch. Umso mehr beeinträchtigt der donnernde Wecker über ihrem Dach ihr Leben - jeden Morgen ab 6 Uhr. "Ich leide chronisch unter Schlafmanko, wie mein Mann. Und abends bei Bise dasselbe vor dem Einschlafen, untragbar."

Gegenteil von Recht angewendet

"Steter Tropfen hölt den Stein", hofft sie, dass ihr permanenter Widerstand irgendwann Erfolg zeitigen wird. Sie ist sich aber sehr wohl bewusst, dass viele Briefe im Papierkorb landen, "vor allem bei meinem Lieblingsfeind", wie sie Bundesrat Moritz Leuenberger bezeichnet. Wer meint, es geht Ursula Hofstetter nur um den unsäglichen Fluglärm, wird eines Besseren belehrt. "Nein, vordergründig geht es mir darum, wie kantonales und eidgenössisches Recht verletzt wird, erst in zweiter Linie geht es mir um den Fluglärm", sagt sie resolut. Was sie will, ist nichts anderes als die Einhaltung des Planungsrechts. Dies heisst für die Küsnachterin: Kanalisierung des Lärms, und zwar dort, wo die wenigsten Menschen davon betroffen sind. "Jetzt macht man genau das Gegenteil", fügt sie energisch an. Dass der Fluglärm mit der Südschneise nicht allein ein Schweizer Problem ist, lässt sie nicht gelten. "Mit einem Verkehrsminister, der besser verhandeln könnte, wären unsere Probleme schon lange gelöst ", meint sie.

"Markenzeichen" Gerechtigkeit

Eine persönliche Begegnung mit Moritz Leuenberger ist im Juli 2006 knapp gescheitert. Während des "Schuelreisli" des Bundesrats in Stäfa sollte sie ihm "Schneiser-Wein" überreichen. Im letzten Augenblick hat sie sich geweigert. "Ich konnte nicht, es hat mir widerstrebt ", erzählt sie. Auch in Deutschland versuchte Ursula Hofstetter ihr Anliegen schriftlich zu deponieren. "Ich habe Frau Merkel geschrieben, aber auch nur eine null-acht-fünfzehn-Antwort erhalten", winkt sie ab.

Keine Standardantwort erhält man von der kämpferischen Frau aus der Forch auf die Frage, ob sich ihr Leben seit dem 30. Oktober 2003 verändert habe. "Ja, von Grund auf", bekennt sie sofort. Nicht nur schlafe sie wegen des morgendlichen und abendlichen Fluglärms schlechter. "Der Rechtsbruch nervt mich, dagegen muss ich mich wehren, sonst kann ich mir selbst nicht mehr in die Augen schauen." Ursula Hofstetter ist ein Mensch mit ausgesprochenem Gerechtigkeitssinn. "Das war schon in der Kindheit mein Markenzeichen, daran hat sich nichts geändert." Selbst dem verstorbenen Präsidenten der israelitischen Kultusgemeinde, Sigi Feigel, bot sie einmal die Stirn, weil sie mit der Politik Israels gegenüber den Palästinensern nicht einverstanden war. "Es war ein sehr gutes Gespräch", sagt sie.

Kein Vertrauen mehr in Politik

Sie sei sich durchaus bewusst, dass sie die Welt nicht ändern könne. Und doch bewegt ihr Kampf etwas - als Teil des Vereins Flugschneise Süd Nein (VFSN). "Wenn es den nicht gäbe, würden wir schon längst Leftturn-Anflüge haben", hält sie den Widerstand hoch. "Die sind offenbar vom Tisch, der gekröpfte Nordanflug hingegen noch nicht", hofft sie auf einen weiteren Teilerfolg des VSFN.

Hat das Ihr politisches Denken als Schweizerin, Demokratin verändert? "Ja, ich zweifle heute an der Wirksamkeit der Politik generell, und zu den Politikern im Besonderen habe ich null Vertrauen mehr - unter dem Gefrierpunkt", sagt sie. Deshalb sei sie aber noch lange keine politische Verweigerin. "Ich gehe weiter stimmen, jetzt umso mehr, mich bringt man nicht zum Verstummen", lässt sie ihre Augen funkeln. In einem gewissen Grad habe sie sich radikalisiert. "Das gilt aber nur für diese Sache, ich habe den Kampf gegen den ungesetzlichen Südanflug und die zusätzlichen Ostanflüge zu einem wesentlichen Teil meines Lebens erhoben."

Wegziehen wäre Kapitulation

Ursula Hofstetter ist durch ihre unermüdliche Widerstandsarbeit im Dorf bekannt geworden. Anfeindungen spüre sie keine. "Aber viele neue Freunde unter den Schneisern habe ich gewonnen, das ist das einzig Positive an der Sache", lächelt sie. In einem Fall resultierte sogar eine echte Freundschaft. "Ohne Schneiser wäre diese Person mir nie über den Weg gelaufen", freut sie sich über diese menschliche Bereicherung. Wer sich so intensiv einem politischen Widerstand verschreibt, läuft oft Gefahr, sich selbst das Leben schwerzumachen. "Nein, das gilt für mich nicht", winkt Ursula Hofstetter ab. "Mein Mann hat zwar einmal gesagt, ohne etwas mehr Abstand würde ich krank, ich habe aber eher das Gefühl, ich werde krank, wenn ich nichts gegen den Fluglärm unternehme." Ans Wegziehen hat sie auch nie ernsthaft gedacht. "Nein, ich lasse mich nicht von unfähigen Politikern vertreiben", gibt sie unmissverständlich zu verstehen. Abgesehen davon, dass sie sich anderswo kein vergleichbares Heim leisten könnte, gibt es für sie einen persönlichen Grund, hierzubleiben und weiterzukämpfen: "Wegziehen wäre eine Kapitulation, und die würde mich krankmachen."

ZSZ, 28.10.2008



siehe auch:
5 Jahre illegale Südanflüge (VFSN, 05:55 Uhr Forchdenkmal)
Fünf Jahre und kein Ende in Sicht? (ZSZ, 14.10.2008)
5 Jahre Südanflüge (Leserbriefe ZSZ, 14.10.2008)
Kämpfer und Seelsorger (ZSZ, 17.10.2008)
«Nachts hört man hier jedes Reh» (ZU, 25.10.2008)
«Wir müssen den Druck aufrechterhalten» (ZSZ, 25.10.2008)
Glaube an Rechtsstaat verloren (ZSZ, 28.10.2008)
Fünf Jahre Südanflug sind genug! (PR-indside, 28.10.2008)
Der Tag, an dem die Ruhe endete (ZSZ, 29.10.2008)
«Ohne Zugeständnisse keine Pistenverlängerung» (NZZ, 30.10.2008)
Schneiser trotzten Schnee (ZOL, 30.10.2008)
«Trölerisches Verhalten von Gerichten und Politik» (NZZ, 30.10.2008)
Demo Südanflüge (Video Schweiz Aktuell, 30.10.2008)
Morgendliche Fluglärm-Demo auf der nebligen Forch (TA, 31.10.2008)
Schneiser schlottern in Scharen (Glattaler, 31.10.2008)
Pfiffe gegen Jets im Schneegestöber (SZ, 31.10.2008)
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