«Wir müssen den Druck aufrechterhalten» (ZSZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Fluglärm 5 Jahre Südanflüge - Drei Präsidenten von betroffenen Gemeinden blicken zurück und voraus

Sie sind die Klagemauer im Dorf - bei jedem Jet im Südanflug. Aber den Lokalpolitikern sind die Hände gebunden. Heidi Kempin, Karl Rahm und Martin Kessler wissen, was das heisst.

Interview Daniel Fritzsche

30. Oktober 2003, 6 Uhr morgens: Der erste Frühflieger setzt zum Landeanflug über Ihrem Gemeindegebiet an. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?

Heidi Kempin: Es war leicht bewölkt, die Flugzeuge kamen erst etwas nach 6 Uhr. Als das erste anbrauste, war ich überrascht und betroffen, wie laut die Maschine tatsächlich war.Karl Rahm: Im Vorfeld hat es geheissen, die Flugzeuge fliegen 1,5 bis 2 Kilometer über Stäfner Boden. Als ich den ersten Südanflug beobachtet hatte, war ich bass erstaunt: Es wurde sicher wesentlich tiefer geflogen, und ich empfand den Lärm als viel lauter, als ich zuerst angenommen hatte. Um Viertel nach sechs wurde mir dies dann auch noch klipp und klar von einem erbosten Bürger per Telefon mitgeteilt.Martin Kessler: Ich konnte damals nicht per Telefon erreicht werden, weil sich der Gemeinderat Zumikon in corpore um Viertel vor sechs auf dem Chapf versammelt und auf den ersten Flieger gewartet hatte. Durch die Wolkendecke sah man ihn erst lange nicht. Dafür hörte man ihn dann umso besser. Die Szenerie war richtiggehend beängstigend - vor allem auch optisch. Und wir erschraken über die Lautstärke: Es war wirklich brutal laut.

Welche Reaktionen erhielten Sie aus der Bevölkerung?

Kempin: Es war keine einfache Zeit: Wir sind als Gemeinde stark unter Druck geraten. Ich wurde auch persönlich angegriffen, weil ich die ganze Sache zuerst etwas ruhiger angehen wollte. Die Kritik ist seither nicht abgeflaut. Die Thematik ist aber nicht mehr ganz so brisant wie vor fünf Jahren. Ich erinnere mich an Gemeindeversammlungen, an denen wir über den Fluglärm informierten, mit bis zu 600 Teilnehmern. Rahm: Der Protest in Stäfa hat kaum abgenommen. Die, die sich gestört fühlten, tun es auch heute noch. Die Meinung, die kolportiert wurde, man gewöhne sich an den Lärm, konnten nur Leute verbreiten, die nicht betroffen waren. Noch kein Bürger hat mir gesagt: Mich stört der Lärm nicht mehr. Und auch ich nerve mich fast täglich darüber. Kessler: Der harte Kern der Fluglärmgegner, die auch mit unkonventionellen Methoden bis hin zum Steuerboykott kämpfte, wird den Protest wohl für immer aufrechterhalten. Zum Glück! Es gibt jetzt aber auch Leute, die sich an die Situation gewöhnt haben. Der Mensch ist ein Anpassungskünstler. Ich glaube, das muss man in jeder Gemeinde anerkennen: Es gibt heute leider weniger Widerstand als vor fünf Jahren.

Die Kritik an den Gemeinderäten hat also nachgelassen.

Kempin: Das hat damit zu tun, dass die Leute verstanden haben, welche Rolle die Gemeinde in der ganzen Sache spielt. Wir können das Anflugverfahren leider nicht von uns aus verändern. Der Bund und der Vorsteher des Uvek im Besonderen scheinen sich vom Dossier verabschiedet zu haben. Erschwerend kommt für uns, als «Goldküste», hinzu, dass wir vom Rest der Schweiz nicht sonderlich geliebt werden, sei es aus Neid oder anderen Gründen. Unsere Probleme werden als nichtig abgetan und gar nicht ernst genommen. Das ärgert die Leute - neben dem Lärm.

Warum sollten sich die Gemeinden weiterhin gegen die Südanflüge engagieren?

Kessler: Weil der Staat einen beispiellosen Rechtsmissbrauch begangen hat - das war kein Kavaliersdelikt. Das hat zu einem massiven Vertrauensverlust für die gesamte Demokratie geführt, den auch die Gemeinden zu spüren bekamen. Wie soll ich einem Bürger erklären, dass er seinen Wintergarten abbrechen muss, weil er ihn widerrechtlich gebaut hat, wenn ich ihm gleichzeitig sagen muss: «Diese Flieger da oben, die sind jetzt einfach da.»

Mit spektakulären Aktionen ist der private Verein Flugschneise Süd - Nein aufgefallen. Beteiligten Sie sich als Gemeinde dort?

Rahm: Nein. Wir haben das lange diskutiert und entschieden, dass wir als Gemeinderat den Rechtsstaat mit allen Mitteln schützen wollen. Und wenn dieser von der einen Seite mit Füssen getreten wird, dann wollen wir nicht dasselbe tun. Demonstrationen und ähnliche Aktionen überlassen wir Privatpersonen, damit wir die Vorbildwirkung für unsere Mitbürger nicht verlieren. Kessler: Ja, aber letztlich ist jeder Politiker auch Staatsbürger. Und als solcher hat er Rechte, die auch beinhalten, sich an einer Demonstration zu beteiligen. Wir vom Gemeinderat achteten darauf, dass wir dort nicht mit gelben Kappen, T-Shirts und Fahnen anwesend waren. Bei vielen Aktionen von privaten Südanflug-Gegnern mussten wir uns als Gemeinde klar distanzieren, wie zum Beispiel bei der Blendaktion in Gockhausen. Kempin: Ein grosser Teil unseres Gemeinderats und ich selber nahmen an der ersten Demonstration teil. Die Zusammenarbeit mit dem VFSN pflegen wir seither. Auch wenn wir mit dem Fluglärmforum Süd einen anderen Weg gehen, verfolgen wir dasselbe Ziel.

Ist der Kampf nicht völlig hoffnungslos?

Kempin: Auf keinen Fall! Würden wir aufhören, würde das Tor für weitere Verschärfungen geöffnet. Im SIL-Prozess spricht man derzeit sogar von Südstarts, die dann noch zusätzliche Gemeinden im Bezirk betreffen würden. Dagegen müssen wir uns mit aller Kraft wehren. Nicht, indem wir verlangen, dass andere Regionen in der Schweiz mehr Lärm übernehmen müssen, sondern dass man zurück auf die organisch gewachsene Nordausrichtung des Flughafens kommt.

Wie überzeugt man Leute aus dem Norden von dieser Idee?

Kessler: Rein emotional ist es eine schwierige Diskussion. Als Fakt müssen aber auch die Zürcher aus dem Norden eingestehen, dass sowohl das Bundes-Umweltgesetz wie auch die kantonalen Rechts- und Planungsgrundlagen Südanflüge partout ausschliessen. Generell muss der Dialog zwischen Süd-, Nord- und Ostgemeinden verstärkt werden. Die Konfrontation Süden gegen Osten, Osten gegen Norden, Norden gegen Süden wird nie zum Ziel führen.

Wo harzt es denn heute am meisten?

Kempin: Ich habe den Eindruck, dass sich Bern foutiert. Rahm: So hart würde ich es nicht formulieren. Unser Bundesrat hat in der ersten Phase zu weich verhandelt. Die Deutschen haben ihre Forderungen durchgegeben und halten nun stark an diesen fest. Jetzt ist Verhandlungsgeschick gefragt. Aber die Situation scheint im Moment «u choge verchachtlet». Kempin: Der Bundesrat hat eben nicht nur in der ersten Phase zu weich verhandelt. Indem man den gekröpften Nordanflug jetzt einfach preisgibt, anstatt ihn als Verhandlungsbasis zu nutzen, geht das unsägliche Spiel weiter. Kessler: Der Fehler des Bundes ist, dass er die verschiedenen hängigen Dossiers nicht verknüpft. Wenn die Deutschen zum Beispiel kein Atommülllager in Benken wollten, dann müssten sie zu Konzessionen beim Anflugregime bereit sein. Rahm: Ja, aber wenn wir ein EU-Flughafen wären, würde über solche Probleme gar nicht erst diskutiert. Es würde schlicht so angeflogen, wie es am besten und am sichersten gehen würde.

Der Kampf gegen die Südanflüge ist mit hohen Kosten verknüpft. Haben sich die Ausgaben gelohnt?

Kessler: Da reut mich kein Franken. Auch wenn es viel Geld ist: Täten wir nichts, würden wir akzeptieren, dass solches Umbiegen von Recht zur Tagesordnung unseres politischen Lebens wird. Darum ist jeder Widerstand, auch wenn er mit der Zeit mühsam wird, notwendig. Zeitweise hat mich dieses Fluglärmdossier die Hälfte der Zeit meines Gemeindepräsidentenamts gekostet. Da muss man wirklich überzeugt sein, dass der Widerstand etwas bringt, sonst fehlt dann schnell die Motivation.

Zum Schluss: Haben Sie Hoffnung, dass irgendwann in ferner Zukunft keine Flugzeuge mehr über die Dächer unserer Gemeinden fliegen werden?

Rahm: Ich frage mich, was passiert, wenn die nächste Flughafenabstimmung ansteht. Dann wird die Stunde der Wahrheit kommen. Ausserdem werden die Köpfe in den Regierungen in den nächsten Jahren wechseln. Das gibt neue Möglichkeiten. Deshalb gilt für uns: Wir dürfen jetzt nicht mit unserem Protest aufhören. Wir müssen den Druck aufrechterhalten. Kempin: Genau! Wenn man die letzten fünf Jahre anschaut, sieht man, dass zwar viel probiert, aber wenig erreicht wurde. Das muss sich ändern. Kessler: Gut, vielleicht hat man gar nicht so wenig erreicht. Wenn wir nämlich gar nichts gemacht hätten, würden die Flieger vermutlich jetzt schon morgens von 6 bis 9 Uhr und zusätzlich noch zwei Stunden am Abend über unsere Köpfe donnern.

ZSZ, 25.10.2008



siehe auch:
5 Jahre illegale Südanflüge (VFSN, 05:55 Uhr Forchdenkmal)
Fünf Jahre und kein Ende in Sicht? (ZSZ, 14.10.2008)
5 Jahre Südanflüge (Leserbriefe ZSZ, 14.10.2008)
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