DER TAGI IN GOCKHAUSEN: Ein Ort vereint im Kampf gegen die Südanflüge.
Seit bald fünf Jahren holen die Südanflüge die Gockhauser aus dem Bett. Einige Schneiser haben aufgegeben. Doch die meisten kämpfen weiter. Ihr Einsatz hat sie zusammengeschweisst. Von Thomas Bacher und Tanja Schwarz
Gockhausen. – Seitdem die Südanflüge im Herbst 2003 eingeführt wurden, braucht Andreas Fäh morgens keinen Wecker mehr. Neben dem Krach störe ihn vor allem, dass die Südanflüge illegal eingeführt worden seien, sagt der Präsident des Quartiervereins. «Der Verlust des Buchwerts der Liegenschaften durch den Lärm ist gross.» Er wisse von diversen Leuten, die Gockhausen wegen des Fluglärms verlassen hätten. «Die meisten Hausbesitzer, die ich kenne, hatten allerdings Glück und konnten ihr Haus zu einem guten Preis verkaufen », sagt Fäh. Er sieht pessimistisch in die Zukunft. «Wenn die Südstarts kommen sollten, dann gibt es hier Krieg», sagt er.
Bei all dem Ärger über die Südanflüge sieht Paul Petermann auch etwas Positives: «Der Kampf hat die Gockhauser zusammengeschweisst. » Petermann wird demnächst mit seinem Lärmmessgerät nach Süddeutschland fahren. Damit will er beweisen, dass sich die Leute dort zu unrecht über den Lärm beschwerten.
Rechtsanwalt Adolf Spörri plagen nachts Albträume von abstürzenden Flugzeugen. «Nicht auszudenken, wenn in der Anflugschneise wirklich mal ein Flieger runterkommt.» Die Flughafenpolitik bringt ihn in Rage. «Die Südanflüge sind illegal, sie verstossen gegen die Raumplanung und die Lärmverordnung», schimpft er. «Der Rechtsstaat wird systematisch ausgehebelt, pendente Verfahren werden seit fünf Jahren hinausgezögert.» Die Zuständigen kalkulierten, dass die Schneiser ihren Widerstand mit der Zeit aufgeben würden, ist Spörri überzeugt. «Die Proteste aber werden weitergehen, wenn auch subtiler, zum Beispiel in Form eines Steuerboykotts.» Auch Margrit Zimmermann will nicht aufgeben. Dennoch kommen ihr nach fünf Jahren erfolglosem Kampf manchmal Zweifel.
«Was Unique und der Staat uns angetan haben, ist nicht wiedergutzumachen», sagt Paul Hodel. Der ehemalige Börsenexperte mit TV-Erfahrung sorgt sich wegen der Luftverschmutzung und des «Kerosinfilms » auf den Gartenmöbeln. Er steigt deshalb erst eine Stunde nachdem der letzte Jet über Gockhausen geflogen ist, auf sein Fahrrad. Hodel ist einer der beiden Rentner, die 2004 morgens mit Taschenlampen in den Himmel leuchteten und deswegen von der Polizei verhaftet wurden.
Der zweite «Übeltäter» war damals Adrian Schoop. Aus dem einstigen Blender ist ein Schreiber geworden. 457 Leserbriefe hat er in den letzten Jahren an verschiedene Zeitungen geschickt, rund 44 Prozent davon sind erschienen. 478 Briefe gingen an Politiker. Die Rechnung über 76 000 Franken für die speziellen Isolierfenster, die er im ganzen Haus einsetzen liess, leitete er an Bundesrat Moritz Leuenberger (SP) weiter – allerdings ohne Erfolg. Nun haben die Schoops eine einigermassen erträgliche Lösung gefunden: Um morgens um 6 Uhr im Tiefschlaf zu sein, gehen sie nicht mehr vor zwei Uhr nachts schlafen.
Das Ehepaar Franz und Erica Wettstein schwankt zwischen Ohnmacht und Aggression. Er habe sich sein ganzes Leben lang für den Staat eingesetzt, sagt Franz Wettstein. Nun musste er einsehen, dass der Rechtsstaat in der Schweiz nicht funktioniere. Enttäuscht erklärt er: «Mein Glaube und Vertrauen in den Staat sind ziemlich dahin.» Einsprachen brächten nichts, sie würden nur schubladisiert.
Inge Luchetti sieht die Fluglärmbelastung beinahe als Körperverletzung an: «Am Anfang habe ich mich gar nicht darüber aufgeregt. Jetzt, nach ein paar Jahren, ertrage ich den Lärm immer weniger. Meine Psyche und mein Körper leiden sehr darunter.» Vor allem ältere Leute, meint sie, hätten zum Teil starke psychische Probleme. Und eigentlich sei es paradox: Da wohne man im Grünen und müsse bei geschlossenen Fenstern schlafen.
Das Ehepaar Alvarez stört sich vor allem abends an den Südanflügen. Auch die beiden Dübendorfer bangen um ihre Gesundheit. José Alvarez: «Seit die Flugzeuge über uns fliegen, sind unsere Äpfel im Garten schwärzlich gefärbt. Abwaschen allein nützt nichts, man muss den Dreck richtiggehend abkratzen.»
Um 6.03 Uhr dröhnt in Gockhausen der Wecker
Gockhausen. – Die Ruhe kurz vor 6 Uhr hat etwas Zerbrechliches. Einzelne Vögel haben ihr morgendliches Lied angestimmt. Eine Katze lauert geduldig vor einem Mauseloch. Die Luft ist klar und duftet noch nach dem Regen, der vor einigen Stunden niederging. Erst wenige Fenster sind erleuchtet. Eine Frau steht in ihrem weinroten Pyjama im Garten und schaut zum Horizont, wo sich der Tag mit einem orange-roten Leuchten ankündigt. An ihrem Haus hängt eines der vielen gelben Transparente, mit denen die Gockhauser das Ende der Südanflüge oder die Einführung des gekröpften Nordanflugs fordern. Dann kommt das Rauschen. Erst leise und undefinierbar, bäumt es sich schnell auf und schwappt schliesslich als metallisches Dröhnen über die Wipfel des nahen Waldes. Es ist 6.03 Uhr, die erste SwissMaschine mit ausgefahrenem Fahrgestell wummert im Landeanflug über das schlafende Quartier. Sie wirkt seltsam deplatziert, wie ein Wesen von einem anderen Stern. Weitere Flugzeuge folgen beinahe im Minutentakt, und mit jedem der stählernen Vögel zerbröckelt die Idylle etwas mehr. Kurz vor 7 Uhr zieht für diesen Morgen der letzte Flieger vorbei. Mittlerweile brandet auf der Tobelhofstrasse durch Gockhausen der Verkehr; die Welt ist erwacht. (tba)
Seit bald fünf Jahren holen die Südanflüge die Gockhauser aus dem Bett. Einige Schneiser haben aufgegeben. Doch die meisten kämpfen weiter. Ihr Einsatz hat sie zusammengeschweisst. Von Thomas Bacher und Tanja Schwarz
Gockhausen. – Seitdem die Südanflüge im Herbst 2003 eingeführt wurden, braucht Andreas Fäh morgens keinen Wecker mehr. Neben dem Krach störe ihn vor allem, dass die Südanflüge illegal eingeführt worden seien, sagt der Präsident des Quartiervereins. «Der Verlust des Buchwerts der Liegenschaften durch den Lärm ist gross.» Er wisse von diversen Leuten, die Gockhausen wegen des Fluglärms verlassen hätten. «Die meisten Hausbesitzer, die ich kenne, hatten allerdings Glück und konnten ihr Haus zu einem guten Preis verkaufen », sagt Fäh. Er sieht pessimistisch in die Zukunft. «Wenn die Südstarts kommen sollten, dann gibt es hier Krieg», sagt er.
Bei all dem Ärger über die Südanflüge sieht Paul Petermann auch etwas Positives: «Der Kampf hat die Gockhauser zusammengeschweisst. » Petermann wird demnächst mit seinem Lärmmessgerät nach Süddeutschland fahren. Damit will er beweisen, dass sich die Leute dort zu unrecht über den Lärm beschwerten.
Rechtsanwalt Adolf Spörri plagen nachts Albträume von abstürzenden Flugzeugen. «Nicht auszudenken, wenn in der Anflugschneise wirklich mal ein Flieger runterkommt.» Die Flughafenpolitik bringt ihn in Rage. «Die Südanflüge sind illegal, sie verstossen gegen die Raumplanung und die Lärmverordnung», schimpft er. «Der Rechtsstaat wird systematisch ausgehebelt, pendente Verfahren werden seit fünf Jahren hinausgezögert.» Die Zuständigen kalkulierten, dass die Schneiser ihren Widerstand mit der Zeit aufgeben würden, ist Spörri überzeugt. «Die Proteste aber werden weitergehen, wenn auch subtiler, zum Beispiel in Form eines Steuerboykotts.» Auch Margrit Zimmermann will nicht aufgeben. Dennoch kommen ihr nach fünf Jahren erfolglosem Kampf manchmal Zweifel.
«Was Unique und der Staat uns angetan haben, ist nicht wiedergutzumachen», sagt Paul Hodel. Der ehemalige Börsenexperte mit TV-Erfahrung sorgt sich wegen der Luftverschmutzung und des «Kerosinfilms » auf den Gartenmöbeln. Er steigt deshalb erst eine Stunde nachdem der letzte Jet über Gockhausen geflogen ist, auf sein Fahrrad. Hodel ist einer der beiden Rentner, die 2004 morgens mit Taschenlampen in den Himmel leuchteten und deswegen von der Polizei verhaftet wurden.
Der zweite «Übeltäter» war damals Adrian Schoop. Aus dem einstigen Blender ist ein Schreiber geworden. 457 Leserbriefe hat er in den letzten Jahren an verschiedene Zeitungen geschickt, rund 44 Prozent davon sind erschienen. 478 Briefe gingen an Politiker. Die Rechnung über 76 000 Franken für die speziellen Isolierfenster, die er im ganzen Haus einsetzen liess, leitete er an Bundesrat Moritz Leuenberger (SP) weiter – allerdings ohne Erfolg. Nun haben die Schoops eine einigermassen erträgliche Lösung gefunden: Um morgens um 6 Uhr im Tiefschlaf zu sein, gehen sie nicht mehr vor zwei Uhr nachts schlafen.
Das Ehepaar Franz und Erica Wettstein schwankt zwischen Ohnmacht und Aggression. Er habe sich sein ganzes Leben lang für den Staat eingesetzt, sagt Franz Wettstein. Nun musste er einsehen, dass der Rechtsstaat in der Schweiz nicht funktioniere. Enttäuscht erklärt er: «Mein Glaube und Vertrauen in den Staat sind ziemlich dahin.» Einsprachen brächten nichts, sie würden nur schubladisiert.
Inge Luchetti sieht die Fluglärmbelastung beinahe als Körperverletzung an: «Am Anfang habe ich mich gar nicht darüber aufgeregt. Jetzt, nach ein paar Jahren, ertrage ich den Lärm immer weniger. Meine Psyche und mein Körper leiden sehr darunter.» Vor allem ältere Leute, meint sie, hätten zum Teil starke psychische Probleme. Und eigentlich sei es paradox: Da wohne man im Grünen und müsse bei geschlossenen Fenstern schlafen.
Das Ehepaar Alvarez stört sich vor allem abends an den Südanflügen. Auch die beiden Dübendorfer bangen um ihre Gesundheit. José Alvarez: «Seit die Flugzeuge über uns fliegen, sind unsere Äpfel im Garten schwärzlich gefärbt. Abwaschen allein nützt nichts, man muss den Dreck richtiggehend abkratzen.»
Um 6.03 Uhr dröhnt in Gockhausen der Wecker
Gockhausen. – Die Ruhe kurz vor 6 Uhr hat etwas Zerbrechliches. Einzelne Vögel haben ihr morgendliches Lied angestimmt. Eine Katze lauert geduldig vor einem Mauseloch. Die Luft ist klar und duftet noch nach dem Regen, der vor einigen Stunden niederging. Erst wenige Fenster sind erleuchtet. Eine Frau steht in ihrem weinroten Pyjama im Garten und schaut zum Horizont, wo sich der Tag mit einem orange-roten Leuchten ankündigt. An ihrem Haus hängt eines der vielen gelben Transparente, mit denen die Gockhauser das Ende der Südanflüge oder die Einführung des gekröpften Nordanflugs fordern. Dann kommt das Rauschen. Erst leise und undefinierbar, bäumt es sich schnell auf und schwappt schliesslich als metallisches Dröhnen über die Wipfel des nahen Waldes. Es ist 6.03 Uhr, die erste SwissMaschine mit ausgefahrenem Fahrgestell wummert im Landeanflug über das schlafende Quartier. Sie wirkt seltsam deplatziert, wie ein Wesen von einem anderen Stern. Weitere Flugzeuge folgen beinahe im Minutentakt, und mit jedem der stählernen Vögel zerbröckelt die Idylle etwas mehr. Kurz vor 7 Uhr zieht für diesen Morgen der letzte Flieger vorbei. Mittlerweile brandet auf der Tobelhofstrasse durch Gockhausen der Verkehr; die Welt ist erwacht. (tba)