Der gekröpfte Nordanflug wäre an sich mit den internationalen Normen für Anflüge vereinbar. Das heisst, er gilt als sicher. Weshalb wird er trotzdem nicht eingeführt?
Weil der gekröpfte Nordanflug auf Sicht geflogen werden müsste und damit 1,7-mal weniger sicher wäre als die Instrumentenlandeanflüge (ILS-Anflüge) auf die anderen Pisten. In der Aviatik aber gilt der Grundsatz «Best Practice». Das heisst, es wird immer diejenige Technik gewählt, die auf dem höchsten verfügbaren Stand ist. Diesen Grundsatz hat der Bundesrat auch in seinem Luftfahrtbericht bestätigt.
Auf Grund welcher Berechnungen kommt das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) zum Schluss, dass der Gekröpfte 1,7-mal weniger sicher sei als ILS-Anflüge?
Das Bazl hat diese Zahl nicht selber errechnet, sondern beim holländischen Luft- und Raumfahrtlaboratorium eine Studie in Auftrag gegeben. Vereinfacht gesagt, sind solche Berechnungen reine Statistik: Wie viele Abstürze sind bei vergleichbaren technischen Bedingungen effektiv passiert? Für den Gekröpften ist die Berechnung insofern komplizierter, als das Verfahren ein Unikum darstellen würde: Es gibt weltweit keinen einzigen Anflug nach einem solchen Verfahren. Im Wesentlichen hat das niederländische Labor deshalb Präzisions- und Nichtpräzisionsanflüge auf Flughäfen mit ähnlicher technischer Ausrüstung wie Zürich verglichen.
Warum berücksichtigte das Bazl in seinen Berechnungen nicht, wie viele Anwohner von einem Flugzeugabsturz betroffen wären?
Es gibt internationale Normen, nach denen solche Berechnungen gemacht werden. Man geht dabei einzig vom Flugzeug selbst aus. Die Besiedlung rund um die Flughäfen ist zu uneinheitlich, als dass eine aussagekräftige Risikoberechnung auf dieser Basis möglich wäre.
Immer wieder wird auf den Anflug im australischen Brisbane verwiesen, der ebenfalls gekröpft ist. Was ist dort anders als in Zürich?
In Brisbane ist die gesamte Situation ganz anders als in Zürich: Brisbane ist ein City-Flughafen, Zürich ein internationaler Hub mit mehr verschiedenen Fluggesellschaften. Auch die topographischen und meteorologischen Voraussetzungen sind anders. Dazu kommt die unterschiedliche Luftraumstruktur: In Australien ist vom Beginn des Sinkflugs auf 10\'000 Meter Höhe an immer dieselbe Flugsicherung zuständig. In der Schweiz wechselt ein Pilot im Anflug unter Umständen mehrmals die Flugsicherung.
Laut Bazl könnte der Gekröpfte eingeführt werden, wenn ein GPS-Navigationssystem zur Verfügung stünde. Autos haben längst GPS-Geräte. Warum soll GPS nicht ohne Weiteres auch in der Fliegerei funktionieren?
Aus Sicherheitsgründen müssen Flugzeuge stets zwei komplett voneinander unabhängige Navigationssysteme zur Verfügung haben. Mit GPS wäre das nicht der Fall: Es gibt nur ein solches System. Wären die GPS-Daten aus irgendeinem Grund nicht empfangbar, stünde kein zweites System zur Verfügung. Gegen eine schnelle Einführung der GPS-Navigation spricht im Übrigen auch die Tatsache, dass die meisten europäischen Fluggesellschaften ihre Maschinen bisher nicht mit GPS ausgerüstet haben.
Könnte nicht einfach die Swiss den Gekröpften auf GPS-Basis einführen?
Nein, auf einem internationalen Flughafen wie Zürich muss nur schon aus Gründen der Rationalität jeder Anflug von allen Fluggesellschaften und allen Piloten ausführbar sein.
Kommentar VFSN: Leider hat Frau Minor versäumt ihren Interviewpartener zu benennen - wir werden nachfragen! - und der beste Anflug ist immer noch der gerade Nordanflug!