Neue Offerte soll den Fluglärmstreit beenden (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Die deutsche Kanzlerin Merkel soll helfen, den Fluglärmstreit beizulegen. In Bern wurde ein Paket mit fünf Angeboten geschnürt. Jetzt wird heftig lobbyiert. Dafür und dagegen.

Wenn Kanzlerin Angela Merkel am 29. April Bern besucht, wird nicht nur Bundespräsident Pascal Couchepin, sondern vor allem auch Aussenministerin Micheline Calmy-Rey mit ihr reden wollen. Denn das Problem der An- und Abflüge am Flughafen Zürich ist das wohl schwierigste Dossier, welches Deutschland und die Schweiz behandeln müssen. Im besten Fall soll es gelingen, Neuverhandlungen für einen Staatsvertrag zu starten. Diesen hatte das Parlament 2003 abgelehnt - worauf die Deutschen ein teilweises Flugverbot über Süddeutschem Gebiet verfügten.

Nun redet die Deutsche Regierung zwar seit Herbst 2006 wieder mit der Schweizer Regierung über dieses Problem, doch die Chance auf eine baldige Lösung ist gering. Im Sommer 2006 hatte Moritz Leuenberger Neuverhandlungen zum Ziel erklärt. Er wolle «die starren Einschränkungen für den Flughafen Zürich durch eine ausgewogenere Regelung ersetzen». Er sondierte darauf eine «Paketlösung» mit Angeboten im Verkehrs-, Gesundheits- und Bildungsbereich, welche die Süddeutschen und die Regierung in Berlin zum Einlenken hätte bewegen sollen.

Weil die süddeutschen Politiker einen «Kuhhandel» jedoch ablehnen, trat Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee überhaupt nicht darauf ein. Er hatte erklärt, man dürfe «grenzüberschreitende Fragen nicht mit dem Fluglärmproblem vermengen».

Genau das plant man nun aber in Bundesbern, auch wenn dies offiziell nicht so kommuniziert wird. Anfang 2007 wies Aussenministerin Calmy-Rey ihren Staatssekretär Michael Ambühl an, die zunächst verunglückte Variante einer Paketlösung in diplomatischen Gesprächen in einem «Arbeitsprogramm Schweiz - Baden Württemberg» neu aufzugleisen. Er regte darauf in Südbaden an, «die Bevölkerung beidseits der Grenzen stärker einzubeziehen», um aus gemeinsamen Wünsche eine Lösung zu stricken.

Deutsche in «Demandeur»-Rolle?

Ambühl hofft, die Süddeutschen in eine «Demandeur»-Rolle bringen zu können - was in der Diplomatensprache in etwa «Bittsteller» bedeutet. Die Überlegung dahinter: Wenn die Schweiz deutsche Wünsche erfüllen könnte, liesse sich eine Paketlösung zur Beilegung des Fluglärmstreits besser verkaufen. Weil aus Süddeutschland kaum positive Reaktionen kommen, möchten Ambühl und Calmy-Rey den Konflikt auf der Ebene Bern - Berlin lösen. Und weil bisher sämtliche Schweizer Bemühungen scheiterten, sagte im Dezember 2007 auch der Bundesrat, diese Pläne seien weiter zu verfolgen. Nun stehen konkrete Angebote zur Diskussion, mit welchen die Deutschen zum Einlenken bewegt werden sollen. Die dem TA vorliegenden Projektideen wurden noch nicht mit Parlamentariern diskutiert, sollen aber bereits mit Merkel erläutert werden:

  • Mitfinanzierung Autobahnbau: Eine von der Schweiz zu bezahlende Machbarkeitsstudie soll darlegen, wie rasch der seit Jahren blockierte Bau der A 98 in Richtung Basel - Zürich/Bülach vorangetrieben werden kann, um diese über die deutsche A 81 mit der Schweizer A 7 zu verknüpfen.
  • Nachtfahrverbot, Staubekämpfung: Im Grenzraum Basel würde die Schweiz Ausnahmen vom Nachtfahrverbot erlauben. Das würde es aus Deutschland kommende Lastwagen ermöglichen, während des Nachtfahrverbotes von 22 Uhr bis 5 Uhr in den Raum Basel und morgens von dort direkt weiterfahren zu können.
  • Mitfinanzierung des S-Bahn-Anschlusses von Waldshut D nach Zürich: Dabei soll nicht nur die Variante Richtung Flughafen, sondern auch eine durch das Furttal in den Aargau geprüft werden.
  • Beteiligung am Flughafen Zürich: Baden-Württemberg soll gute Möglichkeiten für eine Beteiligung an der Flughafen AG erhalten.
  • Einheitliche Anlaufstelle für grenzüberschreitenden Dienstleistungen: Diese würde im Staatssekretariat für Wirtschaft geschaffen. Bisher klagen deutsche Unternehmer häufig, das Schweizer Entsendegesetz werde von den Kantonen uneinheitlich und äusserst rigid gehandhabt; das koste Zeit und Geld.

Die Aussenpolitiker beurteilen die nun durchsickernden Ideen skeptisch. «Ich wünsche dem Bundesrat viel Glück bei seinen Plänen», sagt der Schaffhauser SVP-Nationalrat Hannes Germann. Grosse Hoffnungen auf Erfolg mache er sich nicht. Denn der Waldshuter Landrat Tilman Bollacher bekräftigt, im Süddeutschen würden «Tauschgeschäfte» nach wie vor abgelehnt. Man verzichte auf «Geldspritzen für Infrastrukturprojekte». Und beharre auf den deutschen Sperrzeiten und einer Begrenzung der Nordanflüge auf 80\'000.

Widerstand aus den Kantonen?

FDP-Ständerat Peter Briner, Präsident der Aussenpolitischen Kommission urteilt dennoch anders. Er findet Ambühls Vorarbeit gut: «Die Offerte ist rund, aber sie ist sehr ambitiös». Jetzt sei es zentral, damit nicht «neue unüberwindbare Widerstände» zu provozieren. Konkret fürchtet Briner, es werde in Zürich und in Schaffhausen wegen Strassen- und Bahnprojekten Streit geben. Gregor Lüthy, Kommunikationsbeauftragter der Zürcher Volkswirtschaftsdirektion signalisiert immerhin, die Ideen deckten sich mit dem Zürcher Anliegen, wonach es Antworten auf offene Fragen brauche. «Wir stehen einem Dialog mit Deutschland positiv gegenüber».

Würde aber Basel Hand für den Bau eines LKW-Stauraums bieten? Claus Wepler, Sekretär des Wirtschafts- und Sozialdepartement ist zurückhaltend: «Basels räumliche Möglichkeiten sind begrenzt». Zudem sei es heikel, das Nachtfahrverbot zu ritzen.

Wirtschaftsvertreter protestieren. Solches müsse in Kauf genommen werden, wolle man einig werden. Claudius Marx, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee lobbyierte deshalb in einem Brief an Angela Merkel und an Bundespräsident Couchepin für Ambühls und Calmy-Reys Projektideen. Es gebe eine «ansehnliche Reihe von Dossiers», die einer konstruktiven Bearbeitung harrten, «da sie von der Fluglärmdiskussion überschattet werden».


Von Bettina Mutter

Kommentar

Seiltrick statt Kuhhandel

Der Plan ist gut: Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende April in Bern mit dem Bundesrat redet, dann soll mit dem Fluglärmstreit jenes Dossier angegangen werden, welches das Verhältnis zwischen Deutschen und Schweizern seit Jahren trübt. Statt lockerer wurde der Umgang in den letzten Jahren bloss verkrampfter. Statt einstimmig zu reden, warben möglichst viele Schweizer Politiker unkoordiniert im Süddeutschen und in Berlin für eigene Interessen. Mit ihrer Geschwätzigkeit bremsten sie die Lösungssuche, statt sie voranzubringen.

Jetzt ist die Ausgangslage anders: Weil das Bedürfnis nach Frieden auf beiden Seiten steigt, reden die Deutschen wieder offiziell mit Bundesbern. Und im Gespräch mit Merkel bietet sich die einmalige Chan-ce, für das grosse Problem auf oberster Ebene eine griffige Lösung aufzugleisen. Das ist umso wichtiger, als die Süddeutschen bereits wieder signalisiert haben, sie wollten lieber an ihren Sperrzeiten festhalten, statt einen «Kuhhandel» mit der Schweiz einzugehen.

Dies, obschon Diplomaten zwischen Bern und Baden-Württemberg sinnvolle Ideen andiskutiert haben. Es ist kein «Kuhhandel», wenn Schweizer und Deutsche grenz- überschreitende Autobahnen und S-Bahnen planen, den Lastwagenverkehr lenken und den Dienstleistungsverkehr möglichst stark vereinfachen. Die seit Anfang 2007 laufenden diplomatischen Bemühungen zwischen Baden-Württemberg, Bern und Berlin sind darum ein nötiger Entkrampfungsversuch, um das Fluglärmproblem lösen zu können. Schliesslich wurde 2006 in Berlin - und nicht in Waldshut - entschieden, man wolle «für beide Seiten Verbesserungen erwirken».

Die Strategie des «Gibst du mir, dann geb ich dir» kann aber nur aufgehen, wenn die Ideen breit mit den Grenzkantonen abgestimmt werden. Sie müssen Kosten und Nutzen von Strassen, Bahnen und Lastwagenstauräumen kennen, welche die Schweiz zu Gunsten der Deutschen realisieren könnte. Es wäre verheerend, wenn erneut Lösungsansätze scheiterten, bloss weil sich die Schweizer untereinander nicht einig werden. Sonst wird der Seiltrick, deutsche und Schweizer Interessen zusammenzubringen, nie gelingen.

Tages-Anzeiger, 10.04.2008


siehe auch:
5-Punkte-Plan gegen Fluglärmstreit (NZZ)
Auf bessere Nachbarschaft (NZZ)
Fluglärm-Streit: Wirtschaft hofft auf Merkel (TA)
Fluglärmgegner warnen Merkel vor Schweizer Offerte(TA)

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