Düstere Perspektiven für den Flughafen Zürich
Der Flughafen Zürich gerät zunehmend unter Druck. Auf Grund der voraussichtlich ab dem 10. Juli verschärften deutschen Flugverordnung stehen Südanflüge über dicht besiedelte Regionen früher als geplant bevor. Wie der Flugbetrieb ab dem 10. Juli aufrechterhalten werden soll, ist immer noch ungewiss.
ege. Die deutsche Flugverordnung sieht ab dem 10. Juli eine weitere Verschärfung der Restriktionen für die Anflüge auf den Flughafen Zürich vor. Ab diesem Datum kann die Ausnahmeregelung für den Nordanflug während der Sperrzeiten über Süddeutschland nur noch dann in Anspruch genommen werden, wenn Landungen auf den Pisten 28 (Ostanflug), 32 und 34 (Südanflug) wetterbedingt nicht möglich sind. «Technische Gründe», wie es heisst, können nicht mehr geltend gemacht werden.
Mit der expliziten Nennung der Pisten 32 und 34 streicht Deutschland hervor, dass der Südanflug praktikabel und bei ausreichenden Sichtverhältnissen bereits heute technisch möglich ist. Aus topographischen Gründen fällt die Piste 32 für den Südanflug allerdings ausser Betracht.
Völliger Stillstand möglich
Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) hält fest, dass die Südanflüge auf Piste 34 frühestens ab Herbst 2003 möglich sind, ab diesem Termin allerdings auch nur im Sichtflugverfahren. Das neue Anflugverfahren muss erst publiziert werden, die Flugsicherung benötigt Zeit für die Schulung. Bis es so weit ist, werden Grossraumflugzeuge, für die die Piste 28 (Ostanflug) zu kurz ist, ab dem 10. Juli mangels Alternative während der deutschen Sperrzeiten (21 Uhr bis 7 Uhr an Werktagen, 20 Uhr bis 9 Uhr an Wochenenden und süddeutschen Feiertagen) in Zürich nicht mehr landen können.
Doch damit nicht genug. Je nach Wetterverhältnissen kann der Flughafen Zürich während der Sperrzeiten überhaupt nicht mehr angeflogen werden. Die Mindestweite für horizontale Sicht beim Anflug auf Piste 34 beträgt 1800 Meter. Für die Piste 28 ist die erforderliche horizontale Minimalsicht nach dem Crossair-Absturz bei Bassersdorf von 1500 Meter auf 4000 Meter erhöht worden. Sind die Sichtweiten für eine Inanspruchnahme des Nordanflugs zu hoch (über 1800 Meter), für eine Landung von Osten her aber zu tief (unter 4000 Meter), müssen sämtliche Flugzeuge auf andere Flughäfen ausweichen. Der gekrümmte Anflug von Norden, entlang der Grenze über schweizerischem Hoheitsgebiet mit Einschwenken auf die Achsen der Nordpisten 14 und 16 kurz vor der Landung, ist als kurzfristige Alternative nicht realisierbar.
Der Bundesrat hat am 9. Mai beschlossen, die deutsche Verordnung in Brüssel anzufechten. Bundesrat Leuenberger erhofft sich in erster Linie einen Aufschub der deutschen Massnahmen. Aus der EU-Kommission ist zu hören, das Verfahren dürfte mehrere Monate dauern - vorausgesetzt, dass sich Brüssel überhaupt für zuständig erkläre. Das UVEK konstatiert nüchtern, es sei damit zu rechnen, dass ab dem 10. Juli zahlreiche Flugzeuge unter bestimmten Umständen in Zürich nicht werden landen können und auf andere Flughäfen ausweichen müssen.
Verzögerte Behandlung der Gesuche
Aus deutscher Sicht hat es die Schweiz schlicht versäumt, die technische Ausrüstung für den Instrumentenanflug auf die Pisten 28 und 34 bereitzustellen. Für die nördlichen Nachbarn ist dabei kaum von Belang, dass der Südanflug über das dichtest besiedelte Gebiet der Schweiz führt, politisch auf grössten Widerstand stösst und nicht die sogenannte «Goldküste», sondern in erster Linie städtische Agglomerationen wie das bevölkerungsreiche Quartier Schwamendingen neu von Fluglärm betroffen sind. Ebenso wenig fällt in Betracht, dass am Hochrhein weit weniger Personen durch den Fluglärm tangiert werden als rund um Zürich. Der Lärm aus der Schweiz, auch wenn er über dem Schwarzwald verhältnismässig gering ausfällt, ist ein unerwünschtes Exportgut.
Auf Grund des Staatsvertrags hatte die Unique (Flughafen Zürich AG) den Anflug auf Piste 34 beim Bundesamt für Zivilluftfahrt vor einem Jahr beantragt. Dies unter dem Druck der deutschen Flugbeschränkungen und gegen den eigenen Willen. Im Herbst folgte das Gesuch für die Installation der Instrumentenlandesysteme (ILS) für die Pisten 28 und 34. Das BAZL hatte im Oktober 2002 erklärt, es liege in seinem Interesse, den Südanflug möglichst rasch einzuführen, damit einerseits die Bevölkerung im Osten entlastet werde und andererseits der Staatsvertrag (der damals noch in Vernehmlassung stand) eingehalten werden könne.
Dennoch hat das Bundesamt über die Gesuche, auf deren Ausschreibung eine Flut von Beschwerden einging, noch nicht entschieden. Der Entscheid, dessen Verzögerung mit dem Nachreichen von Unterlagen und deren Prüfung begründet wird, soll nun vor den Sommerferien getroffen werden. Das ILS für Piste 34 ist nach heutiger Planung nicht vor Herbst 2004 betriebsbereit.
Düstere Zukunft
Um den Flughafen funktionstüchtig zu erhalten (die deutsche Verordnung sieht ab 2004 eine nochmalige Ausdehnung der Flugsperre von 20 Uhr bis 8 Uhr vor), scheint der Südanflug unausweichlich. Es sei denn, man erwarte ein Wunder auf dem Rechtsweg oder - nach den bisherigen Erfahrungen mit Bundesbern jedoch noch unwahrscheinlicher - einen späten Erfolg auf diplomatischem Weg. Der verbissene Streit um Flugrouten innerhalb der Schweiz dürfte ausreichend gezeigt haben, dass die Toleranz gegenüber dem Luftverkehr schwindet, sobald eine Region mit mehr oder völlig neu mit Fluglärm konfrontiert wird. Die Zukunftsaussichten für den Flughafen sind unter diesem Aspekt alles andere als rosig.