Noch nie sind am Zürcher Flughafen so viele Flugzeuge während der Nacht gestartet und gelandet wie 2018. Zwischen 22 und 6 Uhr wurden insgesamt 13’558 Bewegungen gezählt, das sind 10 Prozent mehr als noch im Vorjahr.
Noch stärker gestiegen, nämlich um 15 Prozent, ist die Zahl der Bewegungen während der Nachtsperrzeit, die um 23 Uhr beginnt. Sie hat erstmals die Marke von 3000 überschritten. Dies geht aus dem neuen Zürcher Flughafenbericht hervor, den Regierungspräsidentin Carmen Walker Späh heute Freitag präsentiert. Der Kanton Zürich ist Hauptaktionär der Flughafen Zürich AG.
Grund für das Allzeithoch ist laut dem Bericht die Tatsache, dass der Flughafen immer mehr reguläre Flüge in die erste Nachtstunde von 22 Uhr bis 23 Uhr legt. Dies ist zwar erlaubt – für Starts bis 22.45 Uhr, für Landungen bis 22.55 Uhr –, es ergeben sich dadurch aber auch mehr Verspätungen, die danach abgebaut werden müssen.
Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) hätte es gerne gesehen, wenn reguläre Flüge nur noch bis 22.30 Uhr eingeplant würden, um die stetige Zunahme des nächtlichen Flugverkehrs zu unterbinden. Deshalb wollte es vom Flughafen wissen, welche Konsequenzen eine Vorverlegung hätte.
Dieser hält den volkswirtschaftlichen Schaden aber für zu gross, wie er diesen Sommer mit Verweis auf eine Studie darlegte. Mehrere Langstreckenverbindungen müssten demnach gestrichen werden, vor allem solche der heimischen Fluggesellschaften Swiss und Edelweiss (lesen Sie hier mehr zur Studie).
Weniger laute Flugzeuge zahlen sich aus
Durch die «stetig steigende Zahl» der nächtlichen Flugbewegungen seien «leider» auch die Fortschritte beim Lärmschutz zunichte gemacht worden, heisst es im neuen Flughafenbericht. Die Zahl der tagsüber stark von Fluglärm gestörten Personen hat zwar deutlich abgenommen, jene der in der Nacht stark im Schlaf gestörten ist aber gestiegen.
Insgesamt wurden 2018 noch gut 60’000 Personen gestört. Das sind zwar immer noch deutlich mehr, als es maximal sein sollten – der Richtwert liegt bei 47’000 – es bedeutet aber eine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr, als es 65’000 waren.
Neue Flugzeuge bringen Verbesserung
Erreicht wurde diese Optimierung laut Bericht vor allem deshalb, weil bei der Lärmberechnung erstmals berücksichtigt wurde, dass moderne Flugzeugtypen ein gutes Stück leiser sind. Inbesondere die Swiss habe viel in solche Modelle investiert, dies mache sich nun bezahlt.
«Es freut mich, dass die Massnahmen nun Früchte tragen», sagt die Zürcher Volkswirtschaftsdirektorin am Freitag vor den Medien. «Wir haben in der Vergangenheit immer wieder betont, wie wichtig Investitionen in neue Flugzeuge sind. Nun können wir dies erstmals auch mit Zahlen belegen.»
Hoffen auf laufende Massnahmen
Allerdings ist auch dieser Erfolg zu relativieren: Wenn die Lärmbelastung bereits 2017 aufgrund der neuen Flugzeugtypen errechnet worden wäre, hätte die Gesamtzahl der betroffenen Personen 2018 nicht ab-, sondern zugenommen. Kurz: Bei einheitlicher Berechnung wächst die Zahl der Betroffenen weiter.
Obwohl diese Entwicklung im Bericht bedauert wird, werden die geltenden Betriebszeiten des Flughafens nicht infrage gestellt. Man vertraut vielmehr darauf, dass bereits beschlossene Massnahmen «das Potenzial zur Vermeidung von Verspätungen und somit zur Reduktion der Anzahl Flüge nach 22 Uhr» haben.
Positive Entwicklung seit Anfang Jahr
Ein Hinweis darauf, dass dies tatsächlich geschieht, liefern laut Walker Späh die Zahlen des laufenden Jahres. Die Flugbewegungen wegen Verspätungen seien seit Januar 2019 zwischen 22 und 23.30 deutlich zurückgegangen. Auch finde eine Verschiebung der Flüge in die Start- und Landephasen während des Tages statt, womit die Zahl der Nachtflüge ebenfalls verringert werde.
Die Regierungsrätin führt dies hauptsächlich auf die Bemühungen der Swiss zurück. Diese habe einen zweistelligen Millionenbetrag investiert, um zusätzliches Personal und Reserveflugzeuge zu finanzieren und weitere Massnahmen zur Reduktion von Unregelmässigkeiten im Tagesbetrieb zu ermöglichen. Damit leiste sie einen wichtigen Beitrag zur Flugplanstabilität und somit auch zum Abbau von Verspätungen.
Lob und Tadel aus der Region
Dass die Fluggesellschaften in leisere Flugzeuge investieren und so den Lärm an der Quelle bekämpfen, begrüsst die Behördenorganisation Region Ost, welche die Gemeinden im Osten des Flughafens vertritt. Auch der Umstand, dass der Flughafen Zürich im vergangenen Jahr deutlich weniger Linien- und Charterflügen eine Einzelbewilligung für Start oder Landung nach 23.30 Uhr erteilt hat, wertet die Organisation positiv. Das zeige, dass sich der Kanton Zürich bemühe, die Zügel etwas besser in die Hand zu bekommen, teilt sie am Freitag mit.
Kritik übt sie am Flughafen und den Fluggesellschaften, die die Nachtruheregelung nach wie vor nicht einhalten würden. Um die Situation zu verbessern, fordert sie, weniger Slots ab 22.30 Uhr einzuplanen. «Denn wenn bis zu fünf Starts zur gleichen Uhrzeit geplant sind, wäre Pünktlichkeit fast schon ein Wunder.» Der Schutzverband IG-Nord stösst ins gleiche Horn. «Ferien-, Bade- und Shopping- und Pendlerflüge müssen weder nachts abfliegen noch ankommen, und die besonders lärmigen Langstreckenflüge müssen auch nicht erst kurz vor Mitternacht starten», sagt IG-Präsident Hanspeter Lienhart.
Das Fluglärmforum Süd, Plattform der Gemeinden im Süden des Flughafens, kritisiert ebenfalls die unverminderte Belastung der Bevölkerung rund um den Flughafen wegen unnötiger Nachtstarts und Verspätungen bei den Landungen am Abend. «Ein Umdenken bei den Verantwortlichen auf Stufe Kanton und beim Flughafen sehen wir leider nicht. Das ist ärgerlich», sagt Jürg Eberhard, Präsident des Fluglärmforums Süd.
Bevölkerungswachstum als Problem
Die Grünen bezeichnen die Flughafenpolitik der Regierung in ihrer Mitteilung gar als «Zwängerei, in der die Wachstumsinteressen des Flughafens einseitig über die Interessen der Bevölkerung gestellt werden». Die Flüge während der Nachtsperrzeit hätten mit über 3000 ein neues Rekordhoch erreicht, obwohl Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh seit Jahren verspreche, sich für die Reduktion der Flüge zwischen 23 und 23.30 Uhr einzusetzen.
Die SVP wiederum sieht im Bevölkerungswachstum in der Flughafenregion das Problem. Dieses sei im Index des Flughafenberichts nicht bereinigt, schreibt die Partei am Freitag. «Dadurch werden die Anstrengungen zur Vermeidung des Lärms an der Quelle laufend egalisiert.» Die SVP fordert deshalb, den Index neu auszurichten. Ein entsprechendes Postulat habe sie bereits 2016 gemeinsam mit CVP und FDP im Zürcher Kantonsrat eingereicht.