5845 Tage sind keine Jubiläumszahl. Für die Mitglieder des Vereins Flugschneise Süd Nein (VFSN) ist jeder dieser Tage ein Ärgernis. Seit 16 Jahren fliegen die Jets ab 6 Uhr im Südanflug tief über den Pfannenstiel Richtung Flughafen Zürich-Kloten über ihre Köpfe. Spätestens am Jahrestag wird wieder ein Zeichen des ungebrochenen Widerstands gesetzt – wie an diesem Mittwochmorgen vor dem Schützenhaus Zumikon.
Die Tristesse mit Dunkelheit, Kälte und Regen passt zur Lage der «Schneiser», wie die organisierten Gegner des Südanflugs genannt werden. Sie kämpfen gegen den Fluglärm, den sie für unzulässig bezeichnen. Sie wehren sich mit Eingaben, Petitionen und Rekursen dagegen, dass juristisch endgültig wird, was für den Flughafenbetreiber längst als Normalzustand gilt.
Alle auf ihre Plätze
Rund 80 Mitglieder des VFSN treffen ab 5. 30 Uhr ein. Die Mehrheit ist im Rentenalter, sie greifen sich eine Fackel und entzünden sie an einer Finnenkerze. Es riecht nach Rauch und heissem Wachs, die Flammen erhellen die Gesichter, die Szenerie erhält einen mystischen Schein. Am Boden sind mit Absperrband Linien gezogen. Sie bilden entlang des Süessplatzwegs ein «Nein». Darauf verteilen sich die Demonstranten, nur mit ihren gelben Kappen gegen den Regen geschützt. Schirme kämen den Fackeln in die Quere. «Es sind schon mehr gekommen», sagt einer auf dem «i»-Strich zum Nachbarn. Der erwidert lapidar: «Bei dem Regen ... Ist auch eine Abnützungserscheinung.»
Fünf Minuten vor 6 Uhr sind die vier Buchstaben besetzt. Edi Rosenstein, Präsident des VFSN, instruiert die Teilnehmer. «Wenn der erste Flieger kommt, die Fackeln hochstrecken, damit man das ‹Nein› sieht.» Das wird sofort geübt, als eine Drohne von oben Fotos vom Schriftzug macht. Am Ende sollten alle ihre Fackeln in einem Wasserbottich löschen und in einen der bereitgestellten Kübel werfen, gibt Rosenstein weitere Anweisungen. Dann herrscht kurz Ruhe vor dem erwarteten Lärm.
«Es ist eine Katastrophe»
Punkt 6 Uhr nähert sich das erste Flugzeug mit Tosen, es kommt aus Mumbai, wie ein Blick auf die Flugradar-App am Handy zeigt. Die Fackeln recken sich nach oben. Der Lärm nimmt sekündlich zu, aber zu sehen ist nur ein fahler Lichtkegel der Landescheinwerfer, der von den dichten Wolken geschluckt wird. Auch der «Hongkonger», wie ihn Rosenstein ankündigt, düst kurz darauf unsichtbar über die Köpfe. So geht es im Zwei- bis Dreiminutentakt weiter: Viel Lärm um nichts Sichtbares – weder von unten noch von oben. Das Regenwetter erstickt den flammenden Appell.
Die Stimmung ist dennoch hörbar gehoben, man hat Präsenz markiert und ein Zeichen gesetzt. Es wird gelacht und geplaudert. Das setzt sich nach einer Viertelstunde Demonstration im heimeligen Schützenhaus bei Kaffee und Gipfeli fort. An den Tischen stellen sich die Schneiser vor, erzählen von ihren Erfahrungen mit dem Fluglärm. «Es ist eine Katastrophe», sagt ein Schwamendinger. Das Vis-à-Vis aus Zumikon nickt: «Wir haben uns von Anfang an gegen den Südanflug gewehrt.»
Südstarts um Jahre verzögern
Der Zumiker Gemeindepräsident Jürg Eberhard (FDP), der auch dem Fluglärmforum Süd der Städte und Gemeinde vorsteht, dankt fürs Kommen. VFSN-Präsident Edi Rosenstein greift zum Mikrofon und fasst in prägnanten Worten zusammen, was alles «im juristischen Graubereich» und nach Gutdünken in der Politik und vom Flughafen über die Menschen in den Gemeinden des Südanflugs beschlossen werde. «Wir haben gekämpft, und wir kämpfen weiter.» Der Präsident zeigt auch auf, was die drohenden Südstarts bedeuteten: «Wir müssen mit 270 Starts über uns rechnen.» Darum sei es wichtig, sich «gegen diese Zermürbungstaktik» zu wehren.
«Auch wenn eine gewisse Resignation zu spüren ist, ist es noch nicht zu spät», sagt er und ruft zur Mitgliederwerbung auf. Was Widerstand bewirken kann, zeigt Rosenstein an einem Beispiel. Mit Eingaben und Rekursen könnten die Südstarts «um sechs bis acht Jahre hinausgezögert werden». Applaus brandet auf. Auch wenn die Fackeln zum 16. Jahrestag in der Luft unsichtbar blieben, scheint der Widerstand bei den Schneisern noch lange nicht erloschen.