Die Swiss-Drohung
Wegen der Klima-Debatte schlägt die Swiss harte Töne an. Drohende Flugticket-Abgaben und Betriebseinschränkungen sieht die Airline als «direkten Angriff» auf ihr Drehkreuz Zürich. Mögliche Steuern würden die Wirtschaftlichkeit des Umsteige-Hubs bedrohen. «Ein grösserer Streckenabbau wäre die Folge», drohte eine Swiss-Sprecherin. Denn die Heim-Airlines auf den europäischen Drehkreuzen stehen in enormem Konkurrenzkampf. Da zählt jeder Franken.
Die Ausgangslage
Die Logik hinter dem Drehkreuz-Modell der Swiss: Kurzstreckenflüge aus Europa liefern Umsteigepassagiere, damit das grosse Langstreckennetz aufrechterhalten werden kann. Die lokale Nachfrage reicht gemäss Swiss bloss, um fünf Langstreckendestinationen ab Zürich zu bedienen. Heute betreibt die Airline 24 Langstrecken. 19 Destinationen wären also bedroht – darunter auch Tokyo, San Francisco, Delhi und Montréal, wie CHmedia berichtete.
Ein Blick in die Statistik zeigt: Der Anteil der Umsteigepassagiere am Flughafen Zürich ist in den letzten 20 Jahren stark gesunken. Kurz vor dem Swissair-Grounding war im Jahr 2000 mit 44,5 Prozent fast jeder zweite Fluggast ein Transit-Passagier. Im Zuge der ruinösen «Hunter-Strategie» karrte die Swissair Passagiere von überall her via Zürich in die weite Welt, bediente exotische Destinationen wie Taipeh in Taiwan und verbrannte bis zum Grounding mit Beteiligungen an maroden Airlines Milliarden Franken.
Passagierzahlen Flughafen Zürich seit 1998
Grafik siehe Originalartikel
«Die Expansions-Strategie führte die Swissair damals in den Abgrund. Es gilt ein einfacher Grundsatz für Airlines: Je höher der Anteil Transferpassagiere, desto geringer der Ertrag pro Flug», sagt William Agius, Luftfahrt-Experte und Aviatik-Dozent an der ZHAW Winterthur. Dies zeigen auch Beispiele innerhalb der Swiss. Tickets an einzelne Destinationen sind von Zürich via Genf oder Frankfurt billiger zu haben als per Direktflug ab der Limmat-Metropole. Wie hoch der Anteil der Umsteigepassagiere bei der Swiss exakt ist, will die Airline aus «wettbewerbstechnischen Gründen» nicht verraten.
Anteil Transferpassagiere Flughafen Zürich in %
Grafik siehe Originalartikel
Wird Expansion gedrosselt?
2018 betrug in Zürich-Kloten der Anteil der Umsteige-Fluggäste noch 28,4 Prozent. Dennoch droht Swiss-Chef Klühr Langstrecken aus Zürich abzuziehen, obschon über 70 Prozent der Passagiere aus dem Lokalmarkt stammen. Ein Widerspruch?
Dies sei keine leere Drohung, meint Agius. Der Lufthansa-Konzern könnte die Passagierströme aus Zürich relativ einfach über ihre anderen Hubs in Brüssel, Wien, Frankfurt oder München schleusen. «Da reicht ein Klick im Buchungssystem», so Agius. Dies auch im umgekehrten Weg. Nachdem die Lufthansa 2003 die Swiss geschluckt habe, seien Passagiere gezielt über Zürich geschleust worden.
Wenn die Klimasteuer kommt, würde die Swiss aber nicht von einem Tag auf den anderen Langstreckenverbindungen einstellen, ist Agius überzeugt. «Der Schweizer Markt ist wegen der hohen Kaufkraft nach wie vor sehr attraktiv für Airlines», so der Aviatik-Experte. Vielmehr würde womöglich die weitere Expansion gedrosselt.
Die Swiss bekommt 2020 zwei zusätzliche Boeing 777-300ER-Langstreckenmaschinen. Mit den Flugzeugen soll endlich wieder eine neue Übersee-Destination ins Streckennetz aufgenommen werden. In der Pole Position ist die südkoreanische Hauptstadt Seoul.
Der «Gamechanger»
Ein neues, kleineres Langstrecken-Flugzeug sorgt derzeit für Furore. An der Luftfahrtmesse in Paris verkaufte Airbus Mitte Juni kurz nach dem Programmstart über 200 Stück des A321XLR. Airline-Chefs sehen in der 220-plätzigen Maschine bereits einen «Gamechanger», der die Luftfahrt-Industrie durcheinanderwirbeln könnte. Mit der Langstreckenversion der A320-Familie lassen sich im Punkt-zu-Punkt-Verkehr Nischendestinationen bedienen, für die Grossraumflugzeuge wie der A350 oder die 777 viel zu gross wären.
Mit den A321XLR liessen sich von Zürich weniger nachgefragte Destinationen bedienen, die heute wegen der grösseren Flugzeuge viele Umsteigepassagiere benötigen. «Die Swiss schaut sich die A321XLR sicher an», so Agius weiter.
Vergangenen Montag sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr, er könnte sich den A321XLR durchaus in der Flotte vorstellen. «Ich halte die Maschine jedoch für ein Nischenprodukt und keinen Gamechanger», so Spohr. Dies, weil Passagiere nicht länger als vier Stunden in kleineren Fliegern mit nur einem Gang sitzen wollten.
Ob Schweizer Passagiere wegen der Klima-Krise tatsächlich bald eine Flugticketabgabe zahlen müssen, entscheidet der Ständerat im September. Wie die Swiss darauf reagieren würde, bleibt abzuwarten. Allzu viel Rücksicht auf die hiesigen Verhältnisse ist kaum zu erwarten. «Machen wir uns nichts vor. Die wichtigen Entscheidungen für die Swiss müssen schon lange mit der Lufthansa-Zentrale in Frankfurt besprochen und abgesegnet werden», bilanziert Agius.