Seit der Finanzkrise 2009 ist die Zahl der Passagiere, die über den Flughafen Zürich fliegen, ausnahmslos gestiegen. Im März ist der Trend mit einem Nuller erstmals gekippt. Im April und auch im Mai sind dann sowohl die Anzahl der Lokalpassagiere als auch die Summe der Flugbewegungen gesunken.
Ist diese Trendwende eine «statistische Anomalie», wie der Flughafen noch im April kommunizierte? Oder ist es bereits Flugscham und echte Sorge ums Klima, welche die Schweizer umtreiben?
Zum zeitlichen Ablauf: Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg machte im Januar der Weltprominenz am WEF in Davos Beine, auch in der Schweiz begann die «Klimajugend» zu streiken. Und im Mai beschloss der neue Zürcher Kantonsrat nach denkwürdigen Wahlen den «Klimanotstand».
Den süffigen Slogan «Greta statt Kreta» hat ein Journalist von «CH Media» geprägt. Geht die umweltbewusste Schweizer Familie im nächsten Sommer ins Bündnerland zum Wandern oder fliegt sie unbeeindruckt nach Kreta in die Badeferien?
Noch im letzten Dezember, als niemand ausserhalb von Schweden Greta kannte, meldete Stephan Widrig, CEO der Flughafen Zürich AG, stolz: «Die Nachfrage nach internationaler Mobilität steigt stetig, die Bevölkerung wächst und die Welt wird immer internationaler.» Anlass zur Medienmitteilung gaben die über 31 Millionen Passagiere, die 2018 via Flughafen Zürich geflogen sind, 5,8 Prozent mehr als im Vorjahr.
Umsteigepassagiere kümmerts nicht
Aus dem statistischen Holperer im März wird allmählich ein Trend. In der aktuellen Verkehrsstatistik meldet die Flughafen Zürich AG einen Rückgang der Lokalpassagiere im Mai um 1,5 Prozent oder fast 30\'000 Passagieren gegenüber dem gleichen Monat im Vorjahr. Mit 5,2 Prozent weiter gestiegen ist allerdings die Zahl der Umsteigepassagiere. Das sind grösstenteils Ausländer, die sich wenig um die lokale Klimadebatte kümmern. Deshalb kommt der Flughafen auch im Mai zu einem zarten Plus von 0,3 Prozent. Die Anzahl der Flugbewegungen wie auch die Sitzplatzauslastung (minus 1,2 Prozent) sanken ebenfalls zum zweiten Mal.
Nach Auskunft von Flughafensprecherin Raffaela Stelzer ist es «zu früh, eine Aussage darüber zu wagen, ob der Rückgang bei der Zahl der Lokalpassagiere im April und Mai etwas mit der Diskussion um die Klimaerwärmung zu tun hat». Der Flughafen spricht vielmehr von einer «Konsolidierung» nach den hohen Wachstumsraten der Vorjahre. Die grösseren Flugzeuge (B777 und C-Series der Swiss) hätten 2018 punkto Passagierzahlen ihre volle Wirkung entfaltet. Zudem verweist der Flughafen auf die Feiertage: Dieses Jahr lagen Pfingsten im Juni, letztes Jahr im Mai.
Weitere Argumente aus Kloten, weshalb die Klimajugend den Rückgang der klimaschädlichen Fliegerei – noch – nicht auf ihre Banner schreiben kann: Die spanische Vueling habe ihr Streckenangebot reduziert, und der Markt fürs Leasing von Flugzeugen sei aufgrund der Probleme mit der B737-800MAX «ziemlich ausgetrocknet». Es sei Fluggesellschaften, die zusätzliche Flugzeuge einsetzen wollten, nicht möglich, solche zu beschaffen. Trotz Klimadebatte rechnet der Flughafen Zürich aktuell mit einem Wachstum der Passagierzahlen um rund 3 Prozent fürs ganze Jahr 2019.
Ausgebuchte Nachtzüge
Im Gegenzug wirkt sich die Sorge ums Klima positiv auf die Buchung von Bahnreisen aus. Liliane Rotzetter von Railtour/Frantour sagt: «Wir haben vermehrt Buchungen für Nachtzüge.» Für die nächsten Wochen gebe es für Wien noch problemlos und für Berlin unter der Woche noch freie Kapazitäten. «Aufgrund der grossen Nachfrage sind im Sommer allerdings Buchungen für den Nachtzug in Richtung Hamburg oder den beliebten Glacier Express schwierig geworden.»
Auch die Nachfrage nach «bahngängigen» Destinationen wie etwa Paris, Lyon, Mailand oder Salzburg sei gut und lege je nach Reiseziel im ein- bis zweistelligen Prozentbereich zu. Die Railtour-Sprecherin weiter: «Wir erhalten auch zunehmend Einzel-Anfragen für Bahnanreisen in eigentliche Flug-Destinationen wie Moskau, London oder Lissabon.» Realistischerweise müsse man aber sagen, dass diese Reiseziele auch bei Railtour immer noch deutlich mehr mit Flug gebucht würden.
Auch die nüchternen Zahlen sprechen bei weiter entfernten Destinationen für das Flugzeug. Nach London dauert die Reise mit dem Zug beispielsweise rund acht Stunden statt vier mit dem Flugzeug (inklusive Flughafen-Prozedere) und kostet retour ab 200 Franken statt 140 Franken für einen Billigflug. Also doppelte Zeit und ein Drittel teurer.
Gemäss Kuoni-Mediensprecher Markus Flick liegt der Buchungsstand im Sommer zwar unter dem Vorjahr. Für den nächsten Winter liege man jedoch darüber. TUI Suisse bemerkt gemäss Sprecherin Biancha Schmidt «keine Veränderungen in den Buchungszahlen». Die meisten Kunden würden weiterhin mit dem Flieger an warme Destinationen reisen. Lieblingsziele: Mallorca, die Südtürkei und Kreta. Allerdings registriere TUI eine erhöhte Nachfrage nach Kompensationsmöglichkeiten.
Eine Möglichkeit, die CO2-Emissionen von Flug-, aber auch Auto- oder Schiffsreisen, zu kompensieren, bietet die Stiftung Myclimate in Zürich. Die Gelder werden in Biogasanlagen in Indien oder zum Aufforsten von Wald in Nicaragua verwendet. Für einen Flug nach Irland werden beispielsweise 15 Franken fällig. Skeptiker sprechen zwar von einem «modernen Ablasshandel».
Myclimate-Sprecher Kai Landwehr berichtet von «regelrecht explodierenden Kompensationszahlungen». 2018 hätten die CO2-Kompensationen um 70 Prozent zugenommen, in den ersten drei Monaten 2019 um 200 Prozent. Und im Mai und April hätten sich die Spenden gar um das Fünffache gegenüber dem Vorjahr erhöht.