Die Greta-Frage geht um die Welt: «Nun sag, wie hast du’s mit dem Fliegen?», heisst es aus aller Munde. Der Begriff «Flugscham», ursprünglich in Schweden im Rahmen der Klimaproteste um die junge Aktivistin Greta Thunberg geprägt, hat inzwischen auch die Schweizer Politik erreicht. In den letzten Wochen sind in mehreren Kantonen Vorstösse lanciert worden, welche die Flugreisen von Staatsangestellten eindämmen sollen.
Mit dem Zug nach Belgrad
In der Stadt Zürich plädieren grüne und grünliberale Gemeinderäte für ein Flugverbot auf Strecken, bei denen es eine ökologisch sinnvolle Alternative gibt. Zudem sollen Businessclass-Flüge für städtische Angestellte selbst auf langen Reisen unterbunden werden. In Bern fordern zwei grüne Politikerinnen eine Einschränkung für Kurzstreckenflüge sowie Transparenz bei der Anzahl Buchungen. In Basel will eine Reihe von Politikern bewirken, dass Geschäftsreisen im Radius von 1000 Kilometern künftig konsequent mit dem Zug zurückgelegt werden. Im Kanton Genf soll das Flugzeug gar erst ab einer Reisedistanz von mehr als 1200 Kilometern bestiegen werden dürfen. Angestellte der kantonalen Verwaltung müssten künftig also auch nach Madrid, Neapel, Belgrad oder Kopenhagen mit dem Zug reisen.
Umweltthemen sind en vogue, das haben viele kommunale und kantonale Wahlen in den vergangenen Monaten gezeigt. Einige Politiker nutzen die Gunst der Stunde nun auch für Vorstösse, die weit über die Flugbeschränkung für Staatsangestellte hinausgehen. In Zürich will eine breite politische Allianz aus SP, Grünen, AL, GLP und EVP in der Gemeindeordnung festhalten, dass die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt den CO2-Ausstoss bis 2030 auf netto null beschränken sollen. Solche Vorstösse haben gute Chancen. Im Stadtzürcher Gemeinderat verfügen die Parteien über eine komfortable Mehrheit.
Alarmierender Umweltbericht
Der kantonale Umweltbericht stellt Zürich derweil schlechte Noten aus. Während sich der Regierungsrat auf Kurs sieht, zeichnet der Bericht ein teilweise alarmierendes Bild der Zürcher Natur. 17 der 36 Umweltziele wurden bei weitem oder überwiegend nicht erreicht. Die Artenvielfalt nimmt weiter ab, der Veloverkehr stagniert, und die Treibhausgasemissionen von Personenwagen konnten nicht gesenkt werden. Umweltschützer sprechen mit Blick auf die vergangene Legislatur deshalb von vier verlorenen Jahren.
Aller Statistik und Scham zum Trotz: Bisher haben sich die lauten Töne der Politik noch nicht spürbar auf das Handeln der Menschen ausgewirkt. Offensichtlich ist auch kaum jemand bereit, auf gewohnte Reisemittel zu verzichten. Trotz Klimademos und politischen Vorstössen bleiben die Buchungszahlen der Airlines konstant hoch.
Flugverbote für das Personal und radikale Klimaziele
Die Umweltbelastung nimmt zu. Zürcher Politiker fordern nun Flugverbote für Stadtangestellte – das ist jedoch nur der Anfang.
Selten war Scham so chic wie heute. Ursprünglich in Schweden geprägt, ist der Begriff «Flugscham» mit der Welle von Klimaprotesten inzwischen auch in der Schweiz angekommen. Sich fürs Fliegen genieren und deshalb auf ökologischere Transportmittel umsteigen, lautet das Credo. Auf das Handeln der Menschen hat sich das Wort hierzulande jedoch noch nicht ausgewirkt. Die Buchungen steigen trotz Demonstrationen, der Flugverkehr nimmt Jahr für Jahr zu.
Politiker wollen den Worten nun Taten folgen lassen und die schwedische «flygskam» in der Verwaltung implementieren. Die beiden Stadtzürcher GLP-Gemeinderäte Guido Hüni und Ronny Siev haben im April eine entsprechende Anfrage an den Stadtrat gestellt. Sie verlangen darin Auskunft über die Zahl der Flugreisen von städtischen Angestellten und Behördenmitglieder in den letzten vier Jahren. Eine Antwort ist noch hängig. Die Begründung für den Vorstoss ist simpel: «Fliegen ist die klimaschädlichste Art zu reisen.»
Flüge in Europa minimieren
Für Hüni ist klar, dass Flüge von städtischen Angestellten innerhalb Europas auf ein Minimum reduziert werden müssen. Immerhin sei der Flugverkehr hierzulande für satte 18 Prozent des CO2-Ausstosses verantwortlich. «Für eine Reise von der Schweiz ins europäische Ausland braucht man mit dem Flugzeug fast fünfmal so viel Energie, wie wenn die vergleichbare Strecke mit dem Hochgeschwindigkeitszug zurückgelegt würde.»
Der Gemeinderat plädiert deshalb für ein Flugverbot auf Strecken, bei denen es ökologisch sinnvolle Alternativen gibt. Die bisherige Regelung der Stadt, die keine Verbote vorsieht, hält er für zahnlos. Als Vorbild für das Vorgehen nennt der Parlamentarier das Rauchen in Gaststätten. «Bei der Einführung gab es einen lauten Aufschrei, mittlerweile trauert niemand mehr verrauchten Lokalen nach.»
Die Forderungen der beiden GLPPolitiker sind indes nicht neu. Bereits im Dezember 2013 hatte der Grüne Bernhard Piller eine ähnliche Anfrage gestellt und danach zusammen mit seinem Parteikollegen Matthias Probst in einem Postulat eine Einschränkung der Flugreisen gefordert. Denn die damalige Antwort des Stadtrats zeigte, dass die Staatsangestellten häufig auch für kurze Strecken ins Flugzeug steigen.
Für die städtischen Angestellten und Behördenmitglieder wurden im Jahr 2013 insgesamt 676 Flüge gebucht.
So wurden für die städtischen Angestellten und Behördenmitglieder im Jahr 2013 insgesamt 676 Flüge gebucht. 579 gingen über eine Distanz von weniger als 1000 Kilometern. 219 Flüge hatten ein Ziel, das weniger als 500 Kilometer von Zürich entfernt liegt. Der Stadtrat begründete dies damals damit, dass eine Vielzahl dieser Kurzflüge Zwischenstopps seien bei Reisen an weiter entfernte Destinationen.
Gemäss dem Zürcher Stadtrat nimmt die Stadtverwaltung in Umweltund Gesundheitsfragen eine Vorbildfunktion ein. Die Angestellten sollen als Beispiel vorangehen für eine Bevölkerung, die 2008 an der Urne beschlossen hat, die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft in der Gemeindeordnung zu verankern. In einem Bericht an den Stadtrat wurden vor zwei Jahren Empfehlungen für das Erreichen dieser Ziele abgegeben. Der Flugverkehr nimmt dabei eine zentrale Stellung ein.
Bald keine Businessclass mehr?
Die Art der Reisen von städtischen Angestellten wird in Zürich heute in den Ausführungsbestimmungen zum Personalrecht geregelt. Seit 2008 sind darin entsprechende Empfehlungen festgehalten. «Die Benützung des Flugzeugs auf Kurzund Mittelstrecken ist zu vermeiden», heisst es etwa. Relevant ist jedoch nicht die Entfernung, sondern die Reisedauer: «Bis zu einer Reisezeit von sechs Stunden soll wenn möglich die Bahn benutzt werden. Ausnahmen sind gegenüber der Departementsleitung zu begründen.» Ausserdem sollen für alle Flüge die CO2 -Emissionen mittels eines Klimatickets einer anerkannten Organisation kompensiert werden. Beim zuständigen Finanzdepartement heisst es auf Anfrage, der Stadtrat prüfe mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen, ob striktere Regeln notwendig seien.
Für Matthias Probst gehen die jetzigen Regelungen zu wenig weit. Er will genau wie der GLP-Mann Hüni die Vorgaben für die Flugreisen weiter verschärfen. Je nachdem, wie die Antwort des Stadtrats über den aktuellen Flugverkehr der Angestellten ausfalle, ziehe er weitere Vorstösse in Betracht. So zum Beispiel eine Bahnpflicht für Destinationen mit einer Direktverbindung. Bereits jetzt erklärt Probst, künftig Businessclass-Flüge von Staatsangestellten verhindern zu wollen. Heute werden bei Flügen, die länger dauern als zehn Stunden, Businessclass-Tickets vergütet.
NZZ, 06.05.2019, Seite 16