«Etwas weniger Luftverkehr kann ja nicht schaden.» Das ist eine verbreitete, oft auch von wohlmeinenden Kommentatoren vertretene Haltung. Sie stützt sich auf die Alltagserfahrung. Diese sagt uns: Kleine Veränderungen haben keine unmittelbar spürbaren Folgen. Der Betrieb eines interkontinentalen Drehkreuzes deckt sich leider nicht mit dieser Alltagserfahrung. Schon unscheinbare Verschlechterungen der betrieblichen Parameter drücken die Wirtschaftlichkeit von Interkontinentaldestinationen unter eine kritische Grenze. Die Folge: Sie werden gestrichen. Das führt zu sprunghaften Verschlechterungen eines Pfeilers unserer Volkswirtschaft, der internationalen Erreichbarkeit.
Warum nun passt sich das Interkontinentalnetz Veränderungen innerhalb der Rahmenbedingungen nicht kontinuierlich, sondern in Sprüngen an?
Erstens aus Gründen der Komplexität: Ein interkontinentales Destinationsportfolio wird durch einen Hub-Carrier bereitgestellt. In Zürich ist das die Swiss. Um die Nachfrage aus der Schweizer Wirtschaft zu bedienen, reicht der Heimmarkt in der Regel nicht aus. Passagiere und Fracht aus interkontinental schlecht erschlossenen Regionen werden deshalb nach Zürich geführt und «füttern» die Langstrecke des Hub-Carriers. Umgekehrt erreicht der Langstreckenverkehr über den Hub Zürich zahlreiche europäische Destinationen. Ohne diese Umsteiger könnten ex Zürich nur eine Handvoll aussereuropäischer Destinationen bedient werden. Die für die Umsteiger kritische Koordination von Langund Kurzstreckenverkehr erfolgt in Zeitfenstern, sogenannten Wellen. In diesen Wellen müssen Kapazitätsspitzen bewältigt werden.
Zweitens die Grundkosten: Die Bedienung einer einzigen interkontinentalen Direktverbindung verursacht Kosten im niedrigen dreistelligen Millionen-Franken-Bereich. Ein Drittel davon entfälltauf den Treibstoff. Um bei diesen Kosten erfolgreich zu operieren, ist eine hohe Auslastung zentral: Ein Langstreckenjet muss stets sehr gut besetzt und täglich 14 bis 15 Stunden in der Luft sein. Für eine genügende Belegung sorgen im Heimmarkt gut nachgefragte Destinationen und die Umsteigepassagiere. Für einen Betrieb, der sich ökonomisch rechnet, sorgen genügend Spitzenkapazität in den Wellen und günstige Abflug- und Ankunftszeiten.
Drittens gilt «Zeit ist Geld»: Für den ökonomisch besonders interessanten Business-Verkehr wichtig sind die Randzeiten. Geschäftsleute, die am frühen Morgen in Zürich landen, haben den ganzen Arbeitstag zur Verfügung. Fliegen sie am späteren Abend ab, kommen sie in vielen Destinationen am anderen Morgen Lokalzeit an. Die für den Unternehmenserfolg wichtigen Geschäftsreisenden erwarten zudem, dass eine Langstreckendestination mindestens fünfmal die Woche bedient wird. Denn sie wollen nicht nur täglich hin-, sondern auch täglich zurückfliegen können.
Eine rentable Langstrecke braucht also ein dichtes, regelmässiges Angebot, günstige Ankunftsund Abflugzeiten für die Geschäftskunden und in den zeitkritischen Wellen verfügbare Spitzenkapazität. Verändert sich auch nur ein einziger Parameter, kann die Langstreckendestination oft nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden und wird aus dem Flugplan gestrichen. Die Erreichbarkeit des entsprechenden Zielmarktes sackt ab, jene des Heimmarktes leidet. Der Verlust einer interkontinentalen Direktverbindung zieht wegen des Umsteigeverkehrs zugleich die Ausdünnung des Europanetzes nach sich, was wiederum die Auslastung der verbleibenden Langstreckenflüge in Mitleidenschaft zieht. Wer will und mag, kann diesen Gedanken bis zum Ende durchspielen.
Fazit: Wer «bloss etwas weniger Luftverkehr» fordert, nimmt das Risiko jäh eintretender Verluste der internationalen Erreichbarkeit in Kauf. Dies schmälert die Konkurrenzfähigkeit unserer Volkswirtschaft im globalen Wettbewerb. Das kann niemand wollen.
Thomas O. Koller ist Vizepräsident des Komitees «Weltoffenes Zürich».
NZZ, 08.03.2018, Seite 9
Kommentar VFSN:
OK, wir haben verstanden, einfach ein bisschen weniger geht nicht. Nur ein bisschen mehr aber auch nicht, Zitat: „Warum nun passt sich das Interkontinentalnetz Veränderungen innerhalb der Rahmenbedingungen nicht kontinuierlich, sondern in Sprüngen an?“ Somit ist klar, was Herr Koller wirklich will. Nein, er will nicht „ein bisschen weniger“ verhindern, er will viel, viel mehr!