Im Luftraum rund um den Flughafen Zürich herrscht Dichtestress. Das führt zu gefährlichen Situationen zwischen Passagiermaschinen und Hobbyfliegern. Nun sind Verhandlungen für eine Verbesserung der Situation gescheitert.
Der 11. August 2012 ist ein warmer, sonniger Spätsommertag. Nichts lässt erahnen, dass sich im Himmel von Zürich bald ein Drama abspielen wird. Auch die 230 Passagiere und Crewmitglieder des Swiss-Airbus A340 wähnen sich in Sicherheit, als die Maschine zehn Stunden nach dem Start in San Francisco den Sinkflug zum Zürcher Flughafen beginnt. Die Besatzung des Fluges SWR 39 meldet sich beim Tower: «Swiss Radar, grüezi, Swiss three niner level one six zero maintaining». «Guete Tag, Swiss three niner», funkt er zurück.
Doch nur wenige Minuten später kommt es auf 1432 Metern über Meer zu einer äusserst gefährlichen Situation: Auf gleicher Höhe mit der Swiss-Maschine taucht ein Segelflugzeug auf und kommt dem Airbus immer näher. Nur gerade 260 Meter trennen die fast vollbesetzte Maschine vom Hobbyflieger. Der zweite Co-Pilot von SWR 39 entdeckt ihn zuerst. «Segelflieger!», ruft er seinen beiden Kollegen zu. Sofort weist der Kommandant seine Crew mit lauter Stimme an, ein Ausweichmanöver einzuleiten. Es gelingt. Sechs Minuten später landet die Maschine sicher in Zürich.
Der schwere Vorfall ist symptomatisch für den immer stärker genutzten Luftraum rund um den Flughafen Zürich. In den vergangenen Jahren ist es immer wieder zu ähnlich gefährlichen Annäherungen gekommen. Kritisiert wird der Zustand schon seit längerem. Zu den hartnäckigsten Mahnern gehört die Schweizerische Unfalluntersuchungsstelle (Sust). Die geballte Dichte an Kleinflugzeugen, Passagiermaschinen und Transportfliegern bezeichnet sie im Bericht zum genannten Vorfall als «systemisches Risiko». Der Luftraum von Zürich sei aufgrund der Wünsche verschiedener Anspruchsgruppen kompliziert gestaltet, erklärt Daniel W. Knecht von der Sust. «Dies führt auch bei relativ kleinen Fehlern rasch zu gefährlichen Situationen.» Die Luftraumstruktur aber stützt sich auf eine fehlerfreie Arbeitsweise ab. Das ist heikel.
Schon lange empfiehlt die Sust deshalb, den Nahverkehrsbereich rund um den Flughafen Zürich zu vereinfachen, um ihn fehlerresistenter zu machen. Doch geschehen ist nichts. In einem anderen Bericht zu einer gefährlichen Annäherung zwischen einem Swiss-Jumbolino und einem Heissluftballon im Juni 2015 kritisiert die Sust, dass noch immer kaum konkrete Massnahmen zur Verringerung von Kollisionen getroffen worden seien. In klaren Worten weist sie «nochmals eindringlich darauf hin, dass die hinlänglich bekannten Kollisionsrisiken nach wie vor bestehen».
«Im Einvernehmen aller Beteiligten»
Eine umfassende Sicherheitsüberprüfung, welche die Partnerorganisationen am Flughafen Zürich 2012 in Auftrag gegeben haben, kommt zum gleichen Ergebnis wie die Sust. Die Experten empfehlen auch hier eine Entschärfung der Situation. Doch fünf Jahre nach Erscheinen des Berichts ist der Himmel über Zürich noch immer ein Risikofaktor. Und das wird auch für die nächste Zeit so bleiben, wie jetzt klar wird.
Ein Projekt zur Vereinfachung der sogenannten Luftraumstruktur im Nahverkehrsbereich ist gescheitert. Die Player rund um den Flughafen Zürich konnten sich nicht einigen. Das für die Flugsicherung zuständige Unternehmen Skyguide hat zusammen mit der Fluggesellschaft Swiss und der Zürich Flughafen AG bei den Bundesbehörden den Abbruch des Projektes beantragt. Nach mehreren Jahren Verhandlungszeit ist man damit wieder auf Feld eins. Die ausgearbeiteten Lösungen brächten keine Verbesserung, heisst es in einem Schreiben, das der NZZ vorliegt. Vielmehr würden sie die Komplexität sogar noch erhöhen. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) bestätigt die Sistierung des Projekts – «im Einvernehmen aller Beteiligten», wie es auf Anfrage heisst.
Ob das Ganze wirklich so harmonisch verlaufen ist, ist allerdings zweifelhaft. Skyguide sieht den Grund für den Abbruch in einer Reihe von Kompromissen zugunsten der Kleinaviatik. Damit sei die Priorität der kommerziellen Luftfahrt nicht durchzusetzen, schreibt das Unternehmen in seinem Schreiben. Damit wäre der Luftraum noch mehr zerstückelt worden. Skyguide appelliert darum an die Kleinaviatik-Verbände, sich mit geeigneten Massnahmen einzubringen. Die Piloten von Kleinflugzeugen sollen dazu aufgerufen werden, ihren Flug «professionell vorzubereiten» und «jederzeit höchste Aufmerksamkeit» walten zu lassen.
Yves Burkhardt, Generalsekretär des Aero-Clubs der Schweiz, kontert: Jeder Pilot eines Kleinflugzeugs habe sein Handwerk von Grund auf erlernt. «Dazu gehört auch das Fliegen im Luftraum innerhalb der Kontrollzentren von Landesflughäfen.» Dem Verband bereite es hingegen grosse Sorgen, dass die Leicht- und Sportaviatik zunehmend aus dem Luftraum der Landesflughäfen verdrängt werde.
Risiko bleibt bestehen
Klar ist: Verschiedene Fluggeräte mit unterschiedlichen Flugregeln, die aber im gleichen Luftraum verkehren, bergen immer ein Risiko. Daniel W. Knecht von der Sust bedauert deshalb, dass die Gefahren «ganz offensichtlich weiterbestehen». Skyguide-Mediensprecher Roger Gaberell aber versichert, dass die Sicherheit am Flughafen Zürich nicht in Gefahr sei. Der Luftraum rund um den Flughafen Zürich werde aber immer anspruchsvoll sein. Über längere Frist sei deshalb eine grundlegende Neustrukturierung unumgänglich.
Eine solche bahnt sich gerade in Bern an. Bundespräsidentin Doris Leuthard hat eine Strategie zur Neugestaltung des gesamten Schweizer Luftraums in Arbeit gegeben. Vielerorts wird das Vorhaben bereits als Jahrhundertprojekt bezeichnet. Doch die Umsetzung dieses Monstervorhabens wird sich noch lange hinziehen – wenn es sich überhaupt realisieren lässt. Das Bazl versichert, eine Übergangslösung zu erarbeiten. Bis dahin bleibt im Himmel über Zürich das Risiko von Kollisionen weiterhin bestehen.