«Zürich verliert an Attraktivität» (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Der vom Bund vorgegebene Entwicklungsrahmen für den Flughafen Zürich sei zu eng abgesteckt, findet CEO Stephan Widrig. Die gute Vernetzung des Standorts sei mittelfristig gefährdet.

NTERVIEWvon Andreas Schürer

Herr Widrig, am Dienstag hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt die Entwicklungspläne für den Flughafen Zürich vorgelegt. Überwiegt Frust oder Freude?
Ich begrüsse, dass wichtige Probleme angepackt werden können. Schade ist aber, dass in dem neuen Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL), dem Raumplanungsinstrument des Bundes, die langfristige Perspektive fehlt. Insgesamt bin ich froh, dass es einen Schritt weiter geht, nachdem wir nun während mehrerer Jahre blockiert gewesen waren und die Engpässe immer offensichtlicher werden.

Nicht zugelassen sind auch künftig Südstarts geradeaus in der Mittagsspitze. Werden Sie deren Aufnahme in den SIL in der Anhörung noch einfordern?

Das kann ich noch nicht sagen. Wir werden nun analysieren, welche Elemente uns noch als zwingend erscheinen.

Wenn der Bundesrat den SIL im nächsten Sommer in der jetzigen Fassung festlegen wird: Werden Sie dann die neuen Optionen umgehend beantragen – Südstarts geradeaus bei Bise und Nebel und Verlängerungen der Pisten 28 und 32?

Ich gehe davon aus, dass wir das neue Bisenkonzept mit Südstarts geradeaus umgehend beantragen werden, vorbehältlich der Zustimmung der relevanten Gremien, namentlich von Verwaltungsrat und Regierungsrat. Das Gleiche gilt für die beiden Neuerungen im Nordkonzept, also die Auffächerung der Starts im Westen und die erweiterte Linkskurve bei Südstarts mit Wide Left Turn. Das Bisenkonzept braucht es aus Sicherheitsgründen, die beiden anderen Massnahmen helfen, die Verspätungsproblematik in den Griff zu bekommen. Aufgrund der langen Verfahrensdauer wird es aber dennoch mehrere Jahre dauern, bis die neuen Varianten geflogen werden. Bei den Pistenverlängerungen ist offen, ob und wann wir sie beantragen werden; in jedem Fall ist aber die raumplanerische Sicherung sehr wichtig.

Der Süden befürchtet, dass die Südstarts geradeaus mehr und mehr geflogen werden, wenn sie einmal eingeführt sind.

Das sind haltlose Vorwürfe. Wir halten uns immer genau an die Regelungen, die im Betriebsreglement festgelegt sind. In Bezug auf die relevanten Windstärken unterliegen wir den internationalen Normen der ICAO, wie alle anderen Flughäfen auch. Zudem legen wir transparent Rechenschaft darüber ab, welche Routen wie oft geflogen werden. Jede einzelne Ausnahme wird begründet.

Die Verlockung, auf das neue Bisenkonzept umzustellen, wird aber wohl gross sein. Heute ist es komplex, neu wird es sehr leistungsfähig.

Das Bisenkonzept bleibt immer eine Ausnahme und hat somit keine kapazitätssteigernde Wirkung. Ein Flugplan kann sicher nicht auf Ausnahmeregelungen bei speziellen Wetterlagen ausgerichtet werden.

Ins Feld führt der Süden auch den Begriff «Absturzrisiko»: Mit Blick auf mögliche Unfälle sei es verantwortungslos, über dichtbesiedeltes Gebiet zu starten.

Die Luftfahrt ist eine der sichersten Branchen mit sehr hoher Sicherheitskultur. Gerade darum besteht kaum Toleranz, erkannte Problembereiche nicht anzugehen. Die grössten Risiken sind heute gemäss übereinstimmender Einschätzung aller Experten die vielen potenziellen Kreuzungspunkte der Flugzeuge am Boden und in der Luft. Dass besiedeltes Gebiet überflogen wird, lässt sich nicht verhindern, das gilt für alle vier Himmelsrichtungen. In New York oder London wird über viel dichter bewohnte Gebiete geflogen.

Sicherheitsüberlegungen nennt der Bund auch als Grund für seine Forderung nach Verlängerungen der Pisten 28 und 32. Wie dringend sind die Ausbauten für Sie?

Sollte der Staatsvertrag mit Deutschland umgesetzt werden, sind sie zwingend. Unabhängig davon helfen Pistenverlängerungen vor allem, dass im Ostkonzept auch wirklich alle Flugzeuge aus dem Osten landen können und insbesondere am Abend nicht unnötige Südanflüge stattfinden. Weil der Osten im neuen Bisenkonzept entlastet und der Süden zusätzlich belastet wird, ist es sinnvoll, diese Frage auch unabhängig vom Staatsvertrag zu thematisieren. Das letzte Wort dazu hat in jedem Fall die Zürcher Bevölkerung.

Im SIL kann der Bundesrat neu auch Vorgaben machen. Wie fassen Sie denn nun die Kernelemente im SIL auf: als Wunsch, als Option – oder als Auftrag?

Unsere Basis bildet die Konzession des Bundes. Sie enthält klare Vorgaben, wie wir den Flughafen zu betreiben haben: sicher, effizient, als internationales Drehkreuz. Der SIL steckt die räumlichen Auswirkungen des Flugbetriebs ab. Innerhalb der Prämissen, wie sie im SIL festgelegt sind, haben wir einen gewissen Spielraum, den Betrieb so zu organisieren, wie wir es für richtig halten. Dabei haben wir die im Flughafengesetz definierten Mitwirkungsrechte des Kantons zu berücksichtigen. Je weiter der SIL gefasst ist, desto mehr bestehen Möglichkeiten, Regelungen auf Kantonsebene zu bestimmen. Der jetzige SIL ist leider sehr eng gefasst. Damit kommt er einer Vorgabe nahe.

Der Bund fordert auch, dass die Stundenkapazität am Tag bei Landungen aus Norden und Osten von 66 auf 70 erhöht wird. Wie wollen Sie das erreichen?

Wir gehen davon aus, dass wir diese Kapazität erreichen, wenn alle jetzt angedachten Massnahmen umgesetzt sind: Das Betriebsreglement 2014 mit der Entflechtung der An- und Abflugrouten im Osten, die Schnellabrollwege, die Pistenumrollung, die Pistenverlängerungen, die neuen Betriebskonzepte aus dem SIL und technische Ertüchtigungen der Flugsicherung. Dieser Umsetzungsprozess wird aber etwa zehn Jahre dauern – und die Kapazitätssteigerung in diesem Zeitraum würde nur fünf Prozent betragen. Die prognostizierte Nachfrage werden wir so nicht annähernd abdecken können.

Die Prognosen, auf die sich auch der Bund stützt, stammen vom Münchner Planungsbüro Intraplan. Sie erwiesen sich auch schon als zu optimistisch.

Die Intraplan-Prognose war bisher bezüglich der Passagierzahlen sehr genau, auch über längere Zeiträume. Bezüglich der Bewegungszahl wurde der Effekt der besseren Auslastung und das Potenzial von grösseren Flugzeugen unterschätzt. Das wurde korrigiert. Die aktuelle Prognose ist für mich die bestmögliche Schätzung, die aufgrund der heutigen Faktenlage möglich ist. Intraplan geht notabene von moderaten Wachstumszahlen aus: Pro Jahr soll die Zahl der Passagiere um zwei bis drei und jene der Bewegungen um ein bis zwei Prozent steigen. Für uns ist wichtig, dass ein Teil dieses Wachstums in der Verkehrsspitze stattfinden kann, so dass das Netzwerk an Interkontinentalverbindungen über zehn, fünfzehn Jahre leicht ausgebaut werden kann. Dies ist für die Volkswirtschaft und die Standortqualität enorm wichtig.

Hat die Schrumpfkur der Air Berlin, die in Zürich der zweitwichtigste Anbieter ist, Auswirkungen auf die Entwicklung?

Davon gehe ich nicht aus. Air Berlin und ihre Tochterfirmen betreiben in Zürich keine Problemstrecken, sondern solche, die sich wirtschaftlich rechnen, vor allem jene nach Berlin, Düsseldorf und an Destinationen am Mittelmeer. Wie auch immer sich nun der Prozess entwickelt, wird es Airlines geben, die diese Strecken fliegen werden wollen, da eine natürliche Nachfrage danach besteht.

Die Kapazität ist in Spitzenzeiten bereits heute ein Problem. Wie wirkt sich das konkret aus?

Für den Betrieb bedeutet das Unpünktlichkeit und durch Rotationsverspätungen auch verspätete Abflüge am Abend.

Und was gibt bei zunehmender Knappheit den Ausschlag für den Entscheid, wer fliegen darf und wer nicht?

Grundsätzlich gilt die Priorisierung gemäss Betriebsreglement. Für die Kleinfliegerei hat es dann ohnehin keinen Platz mehr, die Business Aviation wird an den Rand gedrängt. Die effektive Slotvergabe an die Airlines erfolgt nach international vorgegebenen Verfahren, die stark auch auf historischen Slotrechten basieren. Am schmerzhaftesten ist aber, dass das internationale Drehkreuz eingeschränkt wird.

Warum?

Wenn Slots in Spitzenzeiten fehlen, verliert Zürich im Vergleich zu anderen Standorten an Attraktivität. Wichtige neue Destinationen, beispielsweise in Asien oder in Südamerika, können nicht mehr an Zürich angebunden werden. Google wäre kaum nach Zürich gekommen, wenn es keine Direktverbindung nach San Francisco gäbe. Wir wollen aber auch in Zukunft attraktive Firmen nach Zürich bringen.

NZZ, 01.10.2016




Kommentar VFSN
Wo er recht hat, hat er recht. Zürich verliert tatsächlich massiv an Attraktivität! Welcher Konzern lässt sich denn noch in Zürich nieder wenn er seinen Angestellten nur noch lärmige Wohnlagen anbieten kann?
Dieses meterhohe Plakat hat der Flughafen anlässlich unser Demo vom 31.01.2004 aufgehängt:\""\""
Interpretieren wir das richtig? Der Flughafen fliegt nur, aber wirklich nur wegen den \""bösen\"" Deutschen über den Süden?! Denn das würde ja weder topografisch oder raumplanerisch noch volks- oder betriebswirtschaftlich Sinn machen!
Und wie sieht es heute aus? Der Flughafen hat durchgesetzt das man immer über Süden fliegen darf, sobald das Wetter etwas schlechter ist oder ein laues Windchen weht, absolut unabhängig von der DVO.
Werden die Südstarts geradeaus auch durch die deutschen Verordnungen erzwungen? Oder vielleicht eher weil man mehr Kapazität für deutsche Fluggesellschaften braucht? Bis jetzt war von 1\'000 Südstart geradeaus die Rede. Jetzt sind es plötzlich 13\'000. Über Nacht ein Faktor 13 mehr. Wer sagt uns, dass in den nächsten Jahren, analog zur Zunahme der Südanflüge nicht nochmals ein Faktor 13 dazu kommt? Dann wären wir schon bei 169\'000.
Dass der Flughafens die Regeln strikt einhält wissen wir. Der Flughafen hat das Glück, dass ihm das BAZL jeden Wunsch von den Augen abliest und sämtliche Regeln sofort so anpasst wie sie der Flughafen möchte. Auch wenn diese geänderten Regeln Bundesgerichtsentscheiden, Gesetzten oder Volksabstimmungen widersprechen."