von Andreas Schürer
Es geht um eine kleine Welt in diesem langjährigen Konflikt, und genau dies zeigt, wie erbittert er ausgetragen wird. Es geht nicht um den Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Deutschland, der in Berlin auf Eis liegt. Es geht nicht, zumindest nicht in erster Linie, um die «Stuttgarter Erklärung», die immer noch im Raum steht – als parteiübergreifende Forderung Süddeutschlands nach maximal 80\'000 jährlichen Anflügen auf den Flughafen Zürich über deutsches Gebiet; heute sind es rund 100\'000. Worum es geht: um das vom Flughafen beantragte Betriebsreglement 2014, um die Entflechtung des Ostkonzepts, die Anflüge aus Osten und Starts nach Norden räumlich klar separieren soll.
Und es geht um den Widerstand aus Deutschland gegen dieses Konzept, weil rund 30\'700 Bewohner südbadischer Landkreise belastet würden, und zwar in einem Pegelbereich von 20 bis 35 Dezibel, 26\'500 von ihnen im Bereich von 20 bis 25 Dezibel, was höchstens einem Hintergrundrauschen entspricht. Das deutsche Umweltbundesamt hielt denn auch fest: «Unsere Analysen zu den beantragten Flugverfahrensänderungen haben ergeben, dass hierdurch keine relevanten Änderungen der Lärmsituation zu erwarten sind.»
Druck auf Berlin aufbauen
Das letzte Wort in Deutschland hat indes das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung beziehungsweise Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt. Und dieser äusserte vor Jahresfrist in Waldshut-Tiengen , dass er keinem Konzept zustimmen werde, das der Region eine Mehrbelastung bringe. Just daran wird er nun erinnert. An einer gemeinsamen Pressekonferenz haben am Montag die Landräte Martin Kistler (Landkreis Waldshut), Frank Hämmerle (Landkreis Konstanz) und Sven Hinterseh (Schwarzwald-Baar-Kreis) Dobrindt aufgefordert, «die Zustimmung seines Hauses zu versagen». Untermauert haben die drei ihre Voten mit einem neuen, von ihnen beauftragten Gutachten der Gesellschaft für Luftverkehrsforschung, oder wie es Hinterseh formulierte: «Wir können nun qualifiziert Stellung nehmen – und es bestätigt sich: Wir würden zusätzlich belastet.»
Tatsächlich ergibt das Gutachten, dass das optimierte Ostkonzept aus dem Betriebsreglement 2014 eine Zunahme der Zahl der Flugbewegungen über den drei Landkreisen von 2000 bis 10\'000 pro Jahr zur Folge hätte. Aus deutscher Sicht relevant sind einzig die Anflüge. Zentrale Anpassung ist, dass Anflüge aus dem Warteraum Gipol nicht südlich, sondern nordwestlich an den Flughafen herangeführt werden sollen. Dabei würden sie deutsches Territorium überfliegen, allerdings gemäss Angaben des Flughafens nie tiefer als 3600 Meter über Meer, bevor sie dann auf den Anflug auf die Piste 28 einschwenken. Mit dieser Verschiebung des Ostanflugs kann ein Sicherheitsrisiko eliminiert werden. Heute kreuzen sich Anflüge mit abfliegenden Maschinen, die auf den Pisten 32 und 34 nach Norden starten und während der deutschen Sperrzeiten vor der deutschen Grenze abdrehen müssen.
Alternative vorgeschlagen
Der Leiter des Gutachtens, Hartmut Fricke, beziffert die Zahl der betroffenen Süddeutschen auf rund 30\'000. Den auch aus Fachkreisen erhobenen Einwand, die berechnete Pegelbelastung der meisten Betroffenen von 20 bis 25 Dezibel sei nicht sachgerecht, lässt er nicht gelten: Betroffenheit sei sehr subjektiv, als Vergleichsgrösse sei der Wert zudem sehr wohl aussagekräftig.
Um Deutschland nicht zu belasten und dennoch das Ostkonzept gegenüber dem Ist-Zustand zu verbessern, schlägt er eine Alternative vor. Auf die Verlagerung der Anflüge, die aus dem Warteraum Gipol kommen, sei zu verzichten, gleichzeitig seien die Routen der östlich aus dem Warteraum Amiki anfliegenden Maschinen zu optimieren. Dass damit die kritisierte Kreuzung südlich des Flughafens bestehen bleibt, ist Fricke bewusst. Die Staffelung könne vertikal so erfolgen, dass sie internationalen Standards genüge. Für den Konstanzer Landrat Hämmerle ist diese Alternative fair: «Wer in die Rechte des Nachbarn eingreift, muss dies so geringfügig tun wie möglich.» Sein Waldshuter Amtskollege Kistler doppelte nach: «Die genannte Alternative ist für uns kein Wunschszenario. Wir richten uns auch weiterhin auf die Forderungen der ‹Stuttgarter Erklärung› aus.»
In der Schweiz kommen die Einwände und die Alternative nicht gut an. Der Flughafen und die Flugsicherung Skyguide teilen mit, die Studie berücksichtige die Sicherheitsüberlegungen nicht; die Änderungen gegenüber dem Ist-Zustand seien minim: «Der Flugbetrieb über dem betreffenden Gebiet würde wie heute stattfinden», schreibt der Flughafen. Und er betont: «Die lärmmässige Entlastung betrifft Lärmpegel zwischen 20 und 30 Dezibel. Das ist kaum messbar.»