Der gute Wille, vorbildlich transparent zu sein, kann mitunter Verwirrung stiften. Ein Lehrbuchbeispiel dafür ist die Eskalation des Streits mit Deutschland über das Luftverkehrsabkommen zum Flughafen Zürich. In der Botschaft ans Parlament rechnete der Bundesrat Ende 2012 vor, dass der Staatsvertrag zu maximal 110 000 Flugbewegungen pro Jahr über Südbaden führen kann. Dort liess diese Aussage die Wogen hochgehen, fordert doch die Region eine Begrenzung bei 80 000 Überflügen. Der Ärger liess sich nicht mehr aus der Welt schaffen, auch wenn die Schweizer Seite umgehend hervorstrich, dass die genannte Maximalzahl erst beim Erreichen von insgesamt 350 000 Flugbewegungen gelte – und folglich auf lange Sicht Theorie bleibe.
Das Problem: 350 000 Bewegungen, die natürliche Kapazitätsgrenze des Flughafens Zürich im heutigen Betrieb, werden laut der damals gültigen offiziellen Prognose bereits im Jahr 2022 erreicht – der Staatsvertrag sollte aber bis 2030 Gültigkeit haben. Bitter erscheint im Rückblick, dass die vom Münchner Beratungsbüro Intraplan Consult erstellte Prognose danebenliegt: Die Zahl der Flugbewegungen stagnierte in den letzten Jahren. Dieses Jahr werden in Zürich rund 270 000 Bewegungen abgewickelt. 350 000 Flüge werden höchstens gegen Ende der Gültigkeit des Staatsvertrags erreicht.
Das Luftverkehrsabkommen liegt inzwischen in Berlin auf Eis – auch wenn seine Umsetzung auf Jahre hinaus nicht wesentlich mehr als 80 000 Nordanflüge erfordern würde. Eine Konsequenz aus der Verwirrung könnte nun die Debatte versachlichen, auch in der Schweiz selber: Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) hat nämlich das Büro Intraplan beauftragt, die zuletzt 2009 aktualisierte Studie anzupassen. Die wesentlichen Resultate der noch nicht öffentlichen Studie liegen der NZZ nun vor.
Konfliktpotenzial in Zürich
Die Kernaussage lautet, dass die Passagiernachfrage in einem engpassfreien Zustand stärker zunimmt als 2009 angenommen und dass die Zahl der Flugbewegungen nach Jahren der Stagnation wieder steigen wird, jedoch weniger markant als in der alten Fassung vorhergesagt. Allerdings: Die neue Prognose gibt nur Auskunft über die Nachfrage. Je nachdem, welche Betriebsvarianten in Zürich zur Verfügung stehen werden, kann die Nachfrage nicht befriedigt werden – die Zahlen würden entsprechend tiefer ausfallen.
Deutlich geht aus der aktualisierten Studie hervor, dass sich Konfliktpotenzial abzeichnet. Zum einen gibt der Bund in seiner im Luftfahrtbericht (Lupo) formulierten Strategie vor, dass die Landesflughäfen nachfrageorientiert zu entwickeln seien. Zum anderen zeichnet sich ab, dass in Zürich bald Engpässe drohen. Ausbauprojekte sind politisch aber höchst umstritten.
Konkret geht Intraplan davon aus, dass die Zahl der in Zürich verkehrenden Passagiere in engpassfreiem Zustand von 24,8 Millionen (2012) auf 32,5 Millionen (2020) und auf 43,7 Millionen (2030) steigen wird. 2009 wurde das Wachstum noch auf 31,9 (2020) und 39,2 Millionen (2030) geschätzt. Motor des starken Anstiegs sind laut Auskunft des BAZL «optimistischere Einschätzungen zur langfristigen Wirtschaftsentwicklung der Schweiz». Dies führt Intraplan zur Prognose, dass das Lokalaufkommen gegenüber den bisherigen Prognosen deutlich markanter ausfällt. Wegen verstärkter Konkurrenz aus dem Nahen Osten und der Türkei wird dagegen der Anteil der Umsteigepassagiere auf rund 34 Prozent verharren. 2009 ging Intraplan noch von einer Zunahme auf 37,5 Prozent aus.
Mit Blick auf die Flugbewegungen bestätigt sich, dass der Zahlenstreit mit Deutschland ein Sturm im Wasserglas war. Für 2020 schätzt Intraplan die Zahl der Flüge nicht mehr auf 347 000, sondern nur noch auf 309 000. Für 2030 hat das Münchner Büro die Zahl von 406 000 auf 376 000 herunterkorrigiert. Grund dafür ist, dass die Airlines grössere Flugzeuge einsetzen und diese besser auslasten. Die ominösen 110 000 Flugbewegungen über Südbaden, die der Bundesrat in der Botschaft nannte, würden also, wenn überhaupt, erst gegen 2030 Realität – dann, wenn der Vertrag ohnehin kündbar wäre.
Ruf nach dem Bund
Für überbewertet hält den Zahlenstreit auch das BAZL, wie Sprecher Urs Holderegger sagt. Als Fehler taxiert er es aber nicht, dass die Zahl genannt wurde, der Streit über das Abkommen sei unabhängig davon eskaliert. Bezüglich der Massnahmen, um drohende Engpässe zu bekämpfen, gibt sich das BAZL bedeckt. Die zweite Etappe des Sachplans Infrastruktur zum Flughafen Zürich (SIL 2) werde gegenwärtig vorbereitet, sei aber noch nicht fertig. Der Flughafen betont, er werde sich erst im Vernehmlassungsverfahren zum SIL 2 zu konkreten Massnahmen äussern.
Für Paul Kurrus, Präsident des Aviatik-Dachverbands Aerosuisse, ist es besorgniserregend, dass die Entwicklungsfähigkeit des Flughafens Zürich nicht mehr gegeben sei. Bereits im vergangenen Sommer sei der Betrieb an Spitzentagen am Limit gewesen. Der Bund sei deshalb gefordert, seine im Luftfahrtbericht formulierten strategischen Ziele auch umzusetzen: «Er muss die nationalen Interessen bezüglich der Landesflughäfen besser wahrnehmen.»