Der lauteste Fluglärmgegner geht selber auf die grosse Reise (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Thomas Morf war die personifizierte Südschneise, nun packt er seine Sachen. Wem er sein lärmgeplagtes Haus überlässt und wohin es ihn zieht.

«Der grosse Zampano tritt ab»: So titelte der Bürgerprotest Fluglärm Ost eine Medienmitteilung über den Rücktritt von Thomas Morf. Fünf Worte, die treffender nicht beschreiben könnten, wie Morf als Präsident des Vereins Flugschneise Süd – Nein auftrat – und wie das aufgenommen wurde im Osten, quasi im Feindesland.

Morf, das war 12 Jahre lang die personifizierte Südschneise, der unerschrockene Vorkämpfer gegen Flugzeuge über den Hausdächern. Ein Mann, über den der Fällander Gemeindepräsident Richard Hirt schon vor zehn Jahren sagte: «Für viele ist er ein Held, fast ein Messias.» Wie Zampano in Fellinis berühmtem Film «La Strada» gab er ihnen die Hoffnung, selbst Unmögliches möglich machen zu können. Und wenn das nicht gelang, so konnte er «seinen Schneisern» wenigstens die Welt so erklären, dass sie sie verstanden.

Für seine Kritiker war Morf ein Blender, der viel versprach und die Welt so erklärte, wie die Leute es hören wollten. Einer auch, der gnadenlos nur für seine eigene Überzeugung einstand, und die war: keine Flugzeuge im Süden. Kompromisse? «Mit dem Morf ist das ganz schwierig», hiess es bei den Bürgerorganisationen im Osten, Norden und Westen schon nach den ersten öffentlichen Auftritten Morfs. So sollte es bleiben, 12 Jahre lang.

Dass Morf anbot, sich für die anderen Regionen einzusetzen, wenn erst einmal die Südanflüge weg wären, das akzeptierten diese nicht. Und vielleicht waren sie auch etwas pikiert, dass sich da aus dem Nichts ein Verein formiert hatte, der alle bisherigen Bürgerinitiativen punkto Aufbau, Schlagkraft, Öffentlichkeitsarbeit und Medienpräsenz in den Schatten stellte.

Hart, aber immer anständig

Doch wer ist dieser Mann, der oft stur und verbissen wirkte im Fernsehen, im Radio, am Telefon? Der seine Anstellung als Kadermitglied einer Grossbank verlor, weil er sich zu sehr engagierte? Der sich darauf als Berater selbstständig machte, mit dem Verein als treuestem Kunden? Und dessen Haltung so klar war, dass Journalisten ihn zuweilen gar nicht hätten anrufen müssen – gerade so gut hätten sie sein Statement selbst schreiben können.

Nur gerade 14 Stunden nach seinem Rücktritt sitzt mir Morf gegenüber am winzigen Tischchen in einem Lastwagen, den er in den letzten drei Jahren eigenhändig zum Wohnmobil umgebaut hat. Mit diesem Fahrzeug wollen er und seine Frau im Frühling auf Reisen gehen. Doch davon später.

Wie es ihm jetzt geht, jetzt wo der Rücktritt hinter ihm liegt und Matthias Dutli das Ruder übernommen hat? Morf überlegt: «Ich habs irgendwie noch gar nicht richtig realisiert.» Später wird er sich der TA-Videojournalistin im ersten Anlauf als Präsident des Vereins Flugschneise Süd – Nein vorstellen, um dann lachend zu korrigieren: «Nein, falsch, Ex-Präsident natürlich!»

Trotzdem ist er sicher, dass er loslassen kann. Wegzureisen werde ihm dabei helfen: «Wenn ich nicht mehr an den Fakten dran bin, kann ich nicht mehr mitreden.» Das würde auch nicht zu seinem Naturell passen. Gebeten, sich selbst zu beschreiben, nennt er sich geradlinig, hartnäckig, und das Wichtigste: Er will überzeugt sein von dem, was er tut. Und das will er richtig machen, manchmal geradezu detailversessen. Halbe Sachen liegen ihm nicht: «Ich bin wohl eher der Schwarzweiss-Typ. Und bin ich ein schlechter Schauspieler.»

«Gruselkabinett»

Das haben jene, die seine Meinung nicht teilten, oft zu spüren bekommen. Priska Seiler, Präsidentin des Dachverbands Fluglärmschutz, einer Vereinigung von Bürgerorganisationen aller Himmelsrichtungen ausser dem Süden, sagt es so: «Seine klare, harte Linie habe ich uneingeschränkt bewundert. Aber er war verbissen. Gegenargumente hat er nie gelten lassen. Dass wir es nie schafften, mit dem Süden zusammenzuarbeiten, liegt an ihm.» Hanspeter Lienhard, Präsident der IG Nord, beschreibt Morf ähnlich: Ein Kenner der Materie, ein konsequenter Lobbyist, aber «etwas verbohrt». Und Flughafenchef Thomas Kern findet: «Thomas Morf hat sich sehr engagiert. In seinem Eifer hat er aber manchmal übertrieben.»

Doch so stur und kompromisslos der «Oberschneiser», wie er zuweilen hinter vorgehaltener Hand genannt wurde, beschrieben wird, eines halten ihm seine Kritiker zugute: Morf reagierte selbst im härtesten Gegenwind nie beleidigt und nie beleidigend. Seine Medienmitteilungen mochten noch so scharf und angriffig sein, sie spielten nie auf den Mann. Dass vor allem in den Anfangszeiten der Südanflüge aus seiner Region auch ganz anderes zu verzeichnen war, selbst Drohanrufe, das ist Morf bis heute unangenehm. «Es bringt doch nichts, die Leute anzugehen», ruft er und verwirft die Hände. «Man kommt nur weiter, wenn man mit den Leuten am Ende noch ein Bier trinken kann.» Dann schmunzelt er und fügt an: «Wobei ich gar kein Bier trinke. Aber Sie wissen ja, was ich meine.»

Morf weiss auch aus eigener Erfahrung, was es heisst, unanständig angegangen zu werden. Er hat einen Ordner, den er «Gruselkabinett» nennt, darin finden sich wüste Beschimpfungen, Morddrohungen gar. Die Kritik hat ihn nicht unberührt gelassen, auch wenn er äusserlich ruhig blieb: «Der Kern ist weicher als die Schale. Aber man lernt Gelassenheit.»

Die Begeisterung für seine Sache hat ihm die Kritik nicht verdorben. Zu überzeugt ist er davon. Aber ist es wirklich nur Überzeugung? Oder auch Narzissmus? Auffällig ist jedenfalls, dass Morf seinen Kopf wie kein anderer hinhielt. Die Klaviatur der Medienarbeit beherrschte er meisterlich. Er wusste, auf welche Reizworte die Presse anspringen würde. Aus dem Stand konnte er ein 20-Sekunden-Statement fürs Radio abgeben. Bezeichnend ist auch dies: Der Bürgerprotest Fluglärm Ost hat ebenfalls ein neues Präsidium – aber der Wechsel ging still und leise über die Bühne. Morf ist dieser Tage hingegen auf allen Kanälen.

Darauf angesprochen, beteuert er: «Es ging mir immer nur um die Sache, nicht um mich.» Eines aber gibt er zu: «Genossen habe ich es, an Demos vor Tausenden von Leuten zu reden. Das ist pures Adrenalin, wenn man merkt, wie man mit einer Aussage Applaus holen und Reaktionen erzeugen kann.»

Es war eine gute Zeit

Und doch ist es glaubwürdig, wenn Morf sagt, es gehe ihm nicht um sich. Er, der fast völlig unpolitisch war, bis Bern die Südanflüge ankündigte, der sich heute aber eloquent und engagiert über Flughafenpolitik auslässt, schweift im Gespräch immer wieder ab, wenn er eine Frage über sich selbst, sein Wesen und seine Gefühle, beantworten soll. Als könne er sich nicht vorstellen, dass das interessant sein könnte.

Ob es ihm schwerfallen wird, das alles hinter sich zu lassen, weiss der 60-Jährige noch nicht, ratlos breitet er die Arme aus und sagt lächelnd: «Fragen Sie mich, wenn ich unterwegs bin.» Sicher weiss er aber, dass es weder Kritik noch Frustration noch Erschöpfung waren, die ihn zurücktreten liessen. Zwar hat er sein Hauptziel nicht erreicht, morgens von sechs bis sieben donnern die Flugzeuge noch immer über die Häuser. Aber Morf ist überzeugt: «Ohne uns hätten wir längst viel mehr Fluglärm.» Könnte es sein, dass mehr dringelegen wäre? Hat Morf auch Fehler gemacht? Der Ex-Präsident überlegt. Antwortet, er habe zu spät nach neuen Köpfen für den Vereinsvorstand gesucht. Jetzt sei die Personaldecke etwas dünn.

Und sonst? Hätte mehr Kompromissbereitschaft nicht vielleicht eine bessere Lösung gebracht? «Was heisst Kompromissbereitschaft?», ruft Morf, verwirft die Hände. Da schimmert er wieder durch, der Morf, den sie stur nennen: «Die anderen Himmelsrichtungen sahen doch einfach die Chance, Fluglärm auf Kosten des Südens loszuwerden! Ich ging immer wieder auf sie zu, das ist belegbar, aber jedes Mal bekam ich ein Messer in den Rücken.» Im Süden, sagt Morf dann, hätten ihm manche den Vorwurf gemacht, zu wenig radikal gewesen zu sein. Aber weder mehr Kompromisse noch mehr Radikalität wären Morfs Stil gewesen. Für ihn hat es gepasst, wie es war. Und so nimmt er Abschied mit den Worten: «Es war eine gute Zeit.»

Im Frühling wird er mit seiner Frau in Richtung Osten aufbrechen, das Fernziel ist die Mongolei. Das Haus, in dem das Paar über 17 Jahre wohnte, hat der Sohn übernommen. Es ist eine Reise ohne fixen Rückkehrzeitpunkt, klar ist nur, dass Morfs hin und wieder in die Schweiz kommen werden, um die beiden Kinder und den heute knapp anderthalb Jahre alten Enkel zu sehen. Morfs Augen glänzen, sein Gesicht verliert alles Verbissene: «Wir freuen uns irrsinnig darauf.»

Tages-Anzeiger, 10.03.2014

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