Birgit Voigt
Das für den Flughafen Zürich zuständige Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) will im Sommer über eine Änderung der Startrouten entscheiden. Mit dieser Ansage geht Bazl-Direktor Peter Müller in der seit Monaten schwelenden Debatte um das Sicherheitskonzept des Flughafens in die Offensive. Gleichzeitig signalisiert er, dass das Bazl künftig zu gewissen Zeiten Südstarts geradeaus vorschreiben könnte. «Wir haben aufgrund der sich kreuzenden Pisten in Zürich eine recht komplexe Situation», sagt Müller im Interview. «Unsere Flugsicherung Skyguide würde aus Sicherheitsüberlegungen deshalb ein Betriebskonzept bevorzugen, bei dem die Flugzeuge nach Süden hin geradeaus abfliegen und vom Norden her landen.»
Mit dieser zusätzlichen Startmöglichkeit erhofft sich das Bazl, auch zu Spitzenzeiten unfallanfällige Kreuzungen im Luftraum verhindern zu können, die derzeit in Kauf genommen werden.
Von der Massnahme betroffen wären die südlich vom Flughafen gelegenen Orte Schwamendingen, Wallisellen und Dübendorf. Sie kämpfen schon jetzt gegen den Fluglärm. «Die Massnahme gäbe für den Süden bedeutend mehr Lärm», sagt Müller. Doch es gelte, Sicherheits-, Lärm- und Wirtschaftlichkeitskomponenten sorgfältig zu prüfen und gegeneinander abzuwägen.
Der Bazl-Direktor stützt seine Argumentation auf einen Expertenbericht, der Ende 2012 nach einem Beinahe-Zusammenstoss zweier Swiss-Maschinen am Flughafen Zürich erstellt worden ist. Einen Teil der 30 vorgeschlagenen Massnahmen hat der Flughafen seither umgesetzt. Umstritten sind jedoch Empfehlungen, die das An- und Abflugkonzept tangieren.
Der Flughafen selbst wehrt sich gegen die Erwägungen des Bundesamtes. «Das Bazl weiss, dass der Zürcher Regierungsrat und der Flughafen diese Südstarts nicht wollen», sagt Verwaltungsratspräsident Andreas Schmid auf Anfrage. Die ebenfalls im Bericht genannte Variante der Verlängerung zweier Pisten sei klar die bessere Lösung, um die Komplexität im Anflugregime zu senken, sagt Schmid. Allerdings liesse sich diese Option erst in zehn Jahren umsetzen, was Schmid nicht bestreitet.
Auch die Zukunft des Militärflugplatzes in Dübendorf ist weiter umstritten. Geht es nach den Plänen des Bazl, könnte die Geschäftsfliegerei vom Flughafen Zürich auf diesen Flugplatz verlegt werden. Müller sagt dazu: «Die vorhandene Infrastruktur wäre vor allem für die Geschäftsfliegerei ideal, auf dem Areal soll aber auch ein Innovationspark möglich bleiben.»
NZZ am Sonntag, 19.01.2014, Seite 1
«Die Massnahme gäbe für den Süden bedeutend mehr Lärm»
Peter Müller, Direktor des Bundesamtes für Zivilluftfahrt, erwägt mehr Starts nach Süden vom Flughafen Zürich – aus Sicherheitsgründen
NZZ am Sonntag: Herr Müller, als Direktor des Bundesamts für Zivilluftfahrt wachen Sie über eine Kampfzone. Alle fliegen gern und hassen Fluglärm. Wie halten Sie den Streit aus?
Peter Müller: Wir haben viele Herausforderungen moderner Gesellschaften in unserem Aufgabenbereich verquickt. Da prallen wirtschaftliche und ökologische Aspekte aufeinander, der Einsatz von komplexen Techniksystemen, der Wunsch nach Mobilität und Ruhe. Wer Konflikte scheut, ist im Bundesamt für Zivilluftfahrt am falschen Platz. Solange kein Unfall passiert, kann ich emotional gut mit diesen Spannungsfeldern umgehen. Wir setzen alles dran, dass wir von schweren Zwischenfällen verschont bleiben.
Um die Jahrtausendwende häuften sich bei Schweizer Airlines die Unfälle mit Todesopfern – Bassersdorf, Nassenwil, Halifax. Beschäftigen Sie Sicherheitsfragen noch so wie damals?
Absolut. Wir hatten im Frühling 2011 einen gravierenden Zwischenfall in Zürich, einen Fast-Zusammenstoss zweier Swiss-Maschinen, sowie einige weitere Vorfälle. Das hat uns dazu bewogen, die Sicherheitsdispositive in Zürich erneut auf den Prüfstand zu stellen.
Mit welchen Konsequenzen?
Wir prüfen etwa 30 zusätzliche Sicherheitsmassnahmen und haben einen Teil davon auch schon umgesetzt. Ein besonderes Augenmerk müssen wir dabei auf die Kreuzungspunkte am Boden und in der Luft richten. Zudem wollen wir verhindern, dass Flugzeuge beim Landen oder Starten die Pisten überschiessen. Diese Gefahr kann mit Pistenverlängerungen minimiert werden. Es stellt sich auch die Frage, ob aus Sicherheitsgründen Starts nach Süden in einem gewissen Umfang angezeigt sind. Wir haben aufgrund der sich kreuzenden Pisten in Zürich eine recht komplexe Situation. Unsere Flugsicherung Skyguide würde aus Sicherheitsüberlegungen deshalb ein Betriebskonzept bevorzugen, bei dem die Flugzeuge nach Süden hin geradeaus abfliegen und vom Norden her landen.
Südabflüge werden in Zürich auf erbitterten Widerstand stossen.
Wir kennen die Standpunkte. Die Massnahme gäbe für den Süden bedeutend mehr Lärm. Aber es gilt Sicherheits-, Lärm- und Wirtschaftlichkeitskomponenten sorgfältig zu prüfen und gegeneinander abzuwägen.
Ab wann geht es in die Entscheidungsphase?
Im Sommer sollten Ergebnisse vorliegen und dann Entscheide getroffen werden.
Dieses Jahr steht theoretisch auch der zweite Teil der Revision des Luftfahrtgesetzes an. Wann sehen wir erste Vorschläge?
Ob und wie wir die Revision an die Hand nehmen, ist noch nicht endgültig entschieden. Das Umfeld für eine Revision hat sich inzwischen gewandelt. So war ein Anlass für die beabsichtigte Revision die Erwartung, dass sich in Europa eine gemeinsame Flugsicherung entwickeln wird. Daran wird ja seit Jahren gearbeitet. Um ein solches Projekt zu realisieren, müssten die Staaten gewisse Flugsicherungsaufgaben delegieren. Die Bereitschaft dazu scheint aber nicht vorhanden zu sein. Dementsprechend ist noch unklar, ob wir auf dem Thema weiterarbeiten sollen.
Es stand doch auch zur Debatte, ob der Bund via die Gesetzesrevision versuchen soll, mehr Einfluss auf die Entwicklung der Landesflughäfen zu erzielen. Jetzt bestimmen faktisch die jeweiligen Standortkantone, was geht und was nicht.
Die inzwischen geführten Diskussionen haben aber ergeben, dass man dem Kanton Zürich – wenn dies sicherheitsmässig nicht angezeigt ist – kein Flugregime aufoktroyieren will. Aus föderalistischen Überlegungen will Bundesbern sich nicht zusätzliche Entscheidungsbefugnisse gegen den Willen der betroffenen Kantone verschaffen.
Die Flugindustrie fordert, man solle erst einmal eine Bestandesaufnahme machen. Es brauche einen neuen luftfahrtspolitischen Bericht, bevor es an Gesetzesanpassungen geht. Der letzte Bericht sei zehn Jahre alt.
Das ist eine Idee, die wir diskutieren.
Seit Anfang Jahr bedient die Golfstaaten-Airline Emirates Zürich mit einem Airbus A380. Die Golfgesellschaft Etihad fliegt ab dem Sommer und will ab Zürich eine Art Minihub betreiben. Andere Länder beschränken die Flugrechte für die Golfstaaten-Airlines, um die eigene Luftfahrtbranche zu unterstützen. Welche Position vertritt das Bazl?
Im Wettbewerb auf dem globalen Flugmarkt stossen Akteure mit sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen aufeinander. Die europäischen Airlines müssen mit vergleichsweise hohen Anforderungen beim Konsumentenschutz, in Umweltfragen, bei den Löhnen und beim Arbeitnehmerschutz zurechtkommen. Sie treffen auf Konkurrenten aus dem Nahen und Fernen Osten, auch aus der Türkei, deren Regierungen den Aufbau grosser Airlines als Teil ihrer langfristigen Industriepolitik gezielt vorantreiben. Konkurrenz ist grundsätzlich zu begrüssen, und auch diese Konkurrenz der Systeme muss für die Schweizer Volkswirtschaft nicht per se schlecht sein. Aber für die alteingesessenen Airlines in Europa ist eine ganz schwierige Situation entstanden, das ist klar.
Sie sind nicht alarmiert?
Wir bewahren Ruhe und wollen die Lage genau analysieren. Es gibt ja auch Vorteile dank den neuen Anbietern: Die Flughäfen haben mehr Passagiere, die Preise sinken tendenziell, die Schweiz bekommt allenfalls zusätzliche Verbindungen. Der Flughafen Genf zeigt gut, wie er auch dank dem stärkeren Auftritt von neuen Airlines wirtschaftlich wieder sehr erfolgreich operiert.
Zweifelt das Bazl, ob eine lokal verankerte Airline mit Langstreckennetz volkswirtschaftlich einen Zusatznutzen stiftet?
Wir haben der Universität St. Gallen, der Swiss und den Flughäfen Zürich und Genf im Zusammenhang mit dem stärkeren Auftreten der Golfstaaten-Airlines den Auftrag für eine Standortbestimmung erteilt. Wir wollen wissen, wie real die Bedrohung nicht nur für die Airlines, sondern für die Volkswirtschaft der Schweiz insgesamt ist. Persönlich zweifle ich nicht daran, dass ein Heimcarrier mit direkten Langstreckenverbindungen für die Schweizer Wirtschaft von hoher Bedeutung ist.
Grundsätzlich muss die Swiss aber selbst sehen, wie sie damit fertig wird?
In dieser Absolutheit stimmt dies nicht. Das Bazl nimmt bei der Erteilung von Verkehrsrechten auch gewisse Möglichkeiten zur Steuerung wahr. So haben wir zum Beispiel Anfragen von asiatischen Airlines, die auf dem Flug von Asien in die USA in Zürich landen und dort Passagiere aufnehmen wollten, abschlägig beurteilt. Um ein komplexes Hubsystem betreiben zu können, ist eine Fluggesellschaft auch auf ertragsstarke Strecken angewiesen. Mit einer entsprechenden Verkehrsrechtpolitik können wir dies etwas steuern. Wir nehmen bei Anfragen von ausländischen Staaten und Airlines für zusätzliche Verkehrsrechte eine Güterabwägung vor: Interessen der Passagiere, des betroffenen Flughafens und der Airlines. Eigentlich bin ich aber kein Freund protektionistischer Massnahmen. Die Schweiz vertritt im Luftfahrtbereich liberale Positionen. Sollen wir unsere Märkte nun plötzlich abschotten, weil starke Konkurrenten hier auftauchen?
Der Flughafen Zürich hat aufgrund einer vom Bundesrat bewilligten Gebührenneuordnung die Dienstleistungspreise für Airlines erhöht. Dagegen hat die Swiss vor Bundesverwaltungsgericht Beschwerde eingereicht. Wie schätzen Sie die Chancen ein?
Es würde mich überraschen, wenn das Gericht den Swiss-Argumenten folgt, denn das Bazl hat bei seiner Verfügung die Spielräume innerhalb der neuen Gebührenverordnung möglichst zugunsten der Airlines ausgelegt.
Trotzdem hilft die neue Verordnung dem dank Monopolsituation gut verdienenden Flughafen. Die Airlines sind dagegen einem scharfen Wettbewerb ausgesetzt. Macht das Sinn?
Der Bundesrat hat vor zwei Jahren die Aufteilung der Einnahmen und Kosten zwischen den Landesflughäfen und den Fluggesellschaften in einer Verordnung geregelt. Heute konstatieren wir: Die Verordnung trägt möglicherweise der inzwischen sehr schwierigen Situation der Airlines nicht ganz Rechnung. Angesichts des neuen, zusätzlichen Wettbewerbsdrucks stellt sich tatsächlich die Frage, ob der Kostenteiler etwas justiert werden muss.
Interview: Birgit Voigt
NZZ am Sonntag, 19.01.2014, Seite 27