Andreas Schürer
In dieser Geschichte sind zwei Begriffe zentral, die das Zeug zum Unwort des Jahres haben: Fensterschliessmotörchen und Dachziegelklammerungssektor. Sie stehen für das umstrittene Schutzkonzept Süd, das seit rund drei Jahren zu reden gibt. Am Anfang stand ein Bundesgerichtsurteil vom 22. Dezember 2010, das die Südschneiser als Weihnachtsgeschenk auffassten: Der Flughafen wurde verpflichtet, die betroffene Bevölkerung wirksam gegen den Lärm der morgendlichen Südanflüge zu schützen. Im Jahr 2011 reichte der Flughafen dann seinen Vorschlag ein, bald darauf gehörten die zwei Wortungetüme zum Standardvokabular der Südschneiser. Die Fensterschliessmotörchen sollen vor dem ersten Anflug kurz nach sechs Uhr morgens automatisch und leise anspringen und ein Aufwachen verhindern. Der Dachziegelklammerungssektor definiert das Gebiet, in dem Betroffene Anspruch auf die Motörchen haben. Kriterium ist nicht der Lärm, sondern die Wirbelschleppen der Flugzeuge im Landeanflug. Die Devise lautet: Ein Motörchen erhält, wer in einem Haus wohnt, in dem die Dachziegel ohne Befestigung heruntergewirbelt würden. Konkret umfasst das Gebiet rund 1300 Liegenschaften in Opfikon, Zürich, Wallisellen und Dübendorf.
Konzept muss ergänzt werden
Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) hat das Konzept nun genehmigt, wie es am Freitag mitteilte. Es verpflichtet den Flughafen allerdings auch, innert zweier Jahre ein weitergehendes Schutzkonzept auszuarbeiten. Darin sollen akustische Kriterien gelten und Erkenntnisse aus der Lärmforschung berücksichtigt werden. Laut dem Sprecher Urs Holderegger gewährleistet dieses Vorgehen, dass die stark Betroffenen rasch und wirksam einen Schutz erhalten und dass in einem zweiten Schritt weitere Massnahmen getroffen werden müssen. Statt Motörchen könnten Betroffene aus dem Dachziegelklammerungssektor auch Schalldämpflüfter beziehen. Diese sorgen dafür, dass das Schlafzimmer trotz geschlossenem Fenster mit Aussenluft versorgt wird.
Einsprache zeichnet sich ab
Thomas Morf, Präsident des Vereins Flugschneise Süd – Nein (VFSN), bezeichnet das Schutzkonzept kurzerhand als Frechheit. Die Umsetzung sei möglichst kostengünstig ausgestaltet, der Wille des Bundesgerichts werde missachtet. Für die Definition des Gebiets, in dem Schutzmassnahmen nötig seien, müsse die Stunde von sechs bis sieben Uhr als Nachtstunde gewertet werden, entsprechend seien tiefere Grenzwerte anzuwenden. So ergebe sich ein Gebiet bis nach Meilen. Den Dachziegelklammerungssektor herbeizuziehen, sei minimalistisch. Der VFSN werde sicher für Einsprachen besorgt sein. Unzufrieden ist auch das Fluglärmforum Süd, die Plattform der Gemeinden. Via Twitter monierte es: «Wenn das Bazl meint, Motörchen an den Fenstern stellten die Südanflugschneise ruhig, irren die Herren in Bern.» Morf zweifelt das Funktionieren der Motörchen grundsätzlich an: «Wahrscheinlich sind sie so laut, dass man dann ihretwegen aufwacht.»
Dies verneint Sonja Zöchling, Sprecherin des Flughafens. Es gebe Prototypen auf dem Markt, die sehr leise funktionierten. Ins Leere ziele auch die Kritik am gewählten Dachziegelklammerungssektor. Da im Süden keine geltenden Grenzwerte überschritten würden und unklar sei, welche Beurteilungskriterien zur Anwendung gelangen sollten, fehle es an klaren Vorgaben für die Umsetzung von Schutzmassnahmen. Der Flughafen habe darum einen bereits bestehenden Perimeter gewählt, der mit verschiedenen möglichen Beurteilungskriterien gut korreliere.
Bis jetzt hat der Flughafen für Schallschutzmassnahmen und Rückvergütungen für solche rund 160 Millionen Franken ausgegeben. Der Fluglärmfonds ist mit rund einer halben Milliarde Franken gefüllt. Damit müssen aber auch Entschädigungszahlungen abgedeckt werden, wie Zöchling sagt. Wie hoch die Kosten für das Schutzkonzept Süd ausfielen, sei offen. Zu unklar sei noch, wer welche Massnahmen wünsche.
siehe auch:
BAZL genehmigt Lärmschutzkonzept Süd für den Flughafen Zürich (BAZL)
BAZL genehmigt Lärmschutzkonzept Süd (VFSN)