Dem Schutzverband ist ein Coup geglückt: Im Streit um das Lärmgebührenmodell gewinnt er vor Bundesverwaltungsgericht gegen den Flughafen Zürich und das Bundesamt für Zivilluftfahrt. Die Hauptbetroffene des Entscheids ist die Airline Swiss.
Andreas Schürer
Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) und der Flughafen Zürich müssen über die Bücher. In einem Urteil vom 30. Oktober hat das Bundesverwaltungsgericht das revidierte Lärmgebührenmodell zurückgewiesen. Zum einen kritisiert es, dass das Bundesamt für Umwelt (Bafu) nur ungenügend in den Genehmigungsentscheid des Bazl einbezogen worden sei. Zum andern bezweifelt das Gericht, dass das am 1. Mai vorläufig in Kraft getretene Lärmgebührenmodell eine ausreichende Lenkungswirkung erziele – so, wie es das Bundesgericht in seinem Entscheid vom 22. Dezember 2010 gefordert hatte.
Nicht überzeugend ist für das Bundesverwaltungsgericht konkret die Lenkungswirkung des neuen Modells in Bezug auf die Tagesrandstunden von 6 bis 7 Uhr und von 21 bis 22 Uhr sowie die Nachtstunden von 22 Uhr bis Betriebsschluss. In dem Urteil heisst es: «In Übereinstimmung mit dem BAFUist anzunehmen, dass hohe Lärmzuschläge erhoben werden müssen, um die Fluggesellschaften zu veranlassen, die Zahl der Flüge von den kritischen Zeiten in die Tagesstunden zu verlagern.» Nicht erstellt sei, dass die vorgesehenen Lärmzuschläge, die mehrheitlich lediglich einige hundert Franken betrügen, die vom Bundesgericht verlangte Lenkungswirkung entfalteten.
Wenig Spielraum
Unmittelbare Auswirkungen hat der Entscheid nicht. Das revidierte Lärmgebührenmodell bleibt in Kraft, bis das Bazl eine neue Verfügung erlassen hat. Bis es so weit ist, könnte es dauern – denn im BAZList die Konsternation gross. Der Sprecher Urs Holderegger sagt: «Die Umsetzung wird uns intensiv beschäftigen. Anpassungen am komplexen Gebührenmodell müssen sorgfältig vollzogen werden, damit nicht das Hub-System in Zürich gefährdet wird.»
Tatsächlich lässt der Hub-Betrieb wenig Spielraum. Systemimmanent ist, dass die Langstreckenflugzeuge unter anderem am Morgen früh landen und am Abend spät abfliegen. Nach der Ankunft der Langstreckenjets in der Tagesrandstunde am Morgen werden die für den Hub-Betrieb wichtigen Transferpassagiere weiterbefördert, vor dem Abflug in der Nachtstunde am späten Abend werden sie sozusagen in Zürich versammelt. Klar ist, dass die Langstreckenflugzeuge nicht die leisesten sind. Und: Die Rechnung für gezielte Gebührenerhöhungen für Flüge in den Tagesrand- und Nachtstunden hätte vor allem die Swiss zu begleichen, da sie den Hub-Betrieb sicherstellt.
Bei der Swiss ist das Entsetzen entsprechend gross. Die Sprecherin Susanne Mühlemann bezeichnet den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts als «völlig unverständlich». Für die Swiss bedeute dies einmal mehr höhere Kosten. «Unsere Wettbewerbsfähigkeit wird damit zum wiederholten Male beschränkt», sagt Mühlemann. Für den Hub-Betrieb in Zürich sei dies nicht förderlich. Unfair sei die geforderte Gebührenerhöhung nicht zuletzt, da die Swiss laufend in die Modernisierung der Flotte investiere, etwa mit der Beschaffung der Bombardier-C-Series oder der sechs Boeing 777. Juristische Schritte gegen den Entscheid werden laut Mühlemann geprüft.
Schutzverband jubiliert
Zurückhaltender äussert sich der Flughafen Zürich. Die Sprecherin Sonja Zöchling meint: «Zum Schwarzmalen ist es zu früh. Zuerst müssen wir nun abwarten, wie die geforderte Anpassung konkret ausgestaltet wird.» Gestützt sieht sie die Position des Flughafens insofern, als die Gebühren zu den Tagesstunden vom Bundesverwaltungsgericht nicht gerügt worden seien. Mit dem im Mai in Kraft getretenen Modell würden denn auch neu 75 statt nur 10 Prozent der Flugzeuge mit Gebühren belastet. Zudem zahlten die Airlines für keinen Flugzeugtyp weniger als mit dem alten Modell.
Der Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen hält diese Argumentation für eine Vernebelungstaktik. Für Thomas Hardegger, SP-Nationalrat, Gemeindepräsident von Rümlang und Schutzverband-Präsident, ist das Lärmgebührenmodell eine Mogelpackung. Es töne zwar nach einer massiven Verschärfung, dass seit Mai bedeutend mehr Flugzeuge gebührenpflichtig seien. Da aber die Landekosten pro Lärmklasse enorm tief angesetzt worden seien, entfalte das Modell keine Lenkungswirkung. Dass das Bundesverwaltungsgericht der Einsprache des Schutzverbands gefolgt sei, halte er für richtungsweisend. Das BAZLsei nun gefordert, das Modell so zu überarbeiten, dass Flüge in den Rand- und Nachtstunden «so richtig einschenken».
Ein Hintertürchen, das für viel Gesprächsstoff sorgen wird, lässt das Bundesverwaltungsgericht offen. Die Aussage des BAZL, dass eine weitergehende Erhöhung der Gebühren den Hub-Betrieb gefährde, qualifiziert es zwar als Behauptung, die in keiner Weise untermauert werde. Sollte es aber tatsächlich so sein, wäre laut dem Urteil «zu untersuchen, ob die für die Funktion des Flughafens Zürich als Drehscheibe des internationalen Luftverkehrs entscheidenden Flüge von solchen Lärmzuschlägen ganz oder teilweise ausgenommen werden könnten».