Zehn Jahre sind inzwischen vergangen, geändert hat sich aber nichts: im Konzept des Flughafens Zürich verankert. Nach wie vor landen bei Bise und Nebel jeweils in den Morgen und Abendstunden Jets auf der Piste 34. Dies, obwohl viel unternommen wurde, um die Südanflüge zu bekämpfen. Vor allem von Seiten des VFSN. Podien, Info-Anlässe, Mahnwachen, Brückenbesetzungen und Grossdemonstrationen wurden durchgeführt. Man hat diskutiert, debattiert und gestritten.
Aus Sicht der vom Lärm geplagten Bewohner im Süden des Flughafens fällt die Bilanz trotzdem vernichtend aus. Zwar sind immer noch Wut und Wille vorhanden. Das hat die Demonstration gegen die drohenden Südstarts gezeigt, an der am 21. September in Zürich (gut gezählte) 3500 Personen teilnahmen. Im Vergleich zu früheren Demonstrationen ist das aber bescheiden: 2005 marschierten fast 5000 Personen im Kampf gegen die Südanflüge durch die Stadt.
Die Proteststimmen im Süden sind weniger und leiser geworden. Zwar hört man das beim VFSN nicht gerne: Aber selbst langjährige «Schneiser» geben zu, dass sie resigniert haben. Noch 2004 hatte VFSN Präsident Thomas Morf in einem Interview mit der «Zürichsee Zeitung» gesagt, dass die Südanflüge «uns noch mindestens für die nächsten fünf Jahre beschäftigen werden». Im Nachhinein betrachtet war Morf zu optimistisch.
Der Flughafen wird von den «Schneisern» als Hauptverursacher der heutigen Situation dargestellt. Zu Unrecht, denn versagt hat vor allem die Politik. Sie kapitulierte vor den deutschen Forderungen nach Sperrzeiten und Überflugsbeschränkungen. Vor zehn Jahren behaupteten Politiker noch vollmundig, die Schweiz werde die Deutschen vor europäischen Gerichten zur Räson bringen. Heute werden nicht einmal mehr echte Verhandlungen geführt. Der neue «Staatsvertrag», der Verbindlichkeit und Sicherheit bringen sollte, ist in Berliner Schubladen verschwunden. Daran sind aber nicht nur die Deutschen schuld. Bund, Kantone, Regionen und Gemeinden sind in der Fluglärmfrage zerstritten. Jeder kämpft gegen jeden: der Osten gegen den Süden, der Norden gegen den Osten, der Aargau gegen Zürich. Und in Bundesbern wird der Fluglärmstreit sowieso als Zürcher Problem angesehen. Ein entschlossenes Auftreten gegenüber Deutschland ist so unmöglich.
Auch die Demografie trägt ihren Teil dazu bei, dass der Widerstand im Süden nachlässt. Die Zürichseeregion hat sich in den letzten zehn Jahren verändert. Die Region erlebte einen Immobilienboom, tausende Neuzuzüger strömten an den See. Im Gegensatz zu den arrivierten «Schneisern», deren heile Welt 2003 von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt wurde, sind die Flugzeuge für die «Neubürger» der Normalzustand. Sie kennen nichts anderes.
Es ist ein frustrierendes Fazit für alle, die sich über den Fluglärm aufregen. Aber Politik, Zeit und Demografie haben mitgeholfen, dass aus dem Provisorium eine Realität wurde. Zehn Jahre Südanflüge das ist eine Lektion in politischem Versagen. Mit Blick auf die Zukunft verheisst das nichts Gutes. Mit den Südstarts geradeaus droht nämlich eine neue Abflugvariante, die dem Süden sogar noch mehr Lärm bringen könnte.
Martin Steiger
ZSZ, 31.10.2013, Seite 1
Im Süden macht sich Ernüchterung breit
Das Feuer des Widerstands symbolisiert durch das Mahnmal «Südschneise» in Gockhausen lodert nach wie vor. Doch die lange Zeit des vergeblichen Anrennens hat bei Gegnern der Süd anflüge Spuren hinterlassen. Vor zehn Jahren wurde das umstrittene Anflugregime eingeführt. Aus dem Provisorium wurde ein Faktum.
THOMAS SCHÄR
Südstart Gegner sind Frühaufsteher: Kurz vor sechs Uhr hat sich gestern in Gockhausen eine grosse Menschenmenge zu einer Gedenkveranstaltung der traurigen Art versammelt. Der Anlass: «10 Jahre unzulässige Südanflüge». Seit 3655 Tagen wird die Zürichseeregion frühmorgens von sich im Anflug auf den Flughafen Zürich befindlichen Passagiermaschinen beschallt und deren Bewohner unsanft aus dem Schlaf gerissen.
Mobilisierungseffekt lässt nach
Der Verein «Flugschneise Süd Nein (VFSN)» als wichtigste Interessenvertreterin der Schneiser führt genau Buch über die Anzahl Tage, die seit Beginn der Südanflüge am 30. Oktober 2003 verstrichen sind. Diese seien gemäss Bundesgericht zwar legal, aber gleichwohl unrechtmässig, sagt Thomas Morf, Mann der ersten Stunde. Er hat es geschafft, aus der heterogenen Gruppierung eine in der Öffentlichkeit dauerpräsente und breit abgestützte Protestbewegung zu formen. Die Aufbruchstimmung und der kämpferische Elan der ersten Jahre sind mindestens beim Präsidenten (noch) nicht verloren gegangen. Die geplanten Südstarts straight hätten Ende 2012,An fang 2013 zu einem starken Wachstum der Mitgliederzahl beim VFSN geführt, «und dies auch in Gegenden, die heute noch keinen Fluglärm haben». Allerdings musste auch Morf jüngst zur Kenntnis nehmen, dass bei der Schneiser Demo von Ende September nur 3500 (nach eigenen Schätzungen) statt der erhofften 5000 Teilnehmer anwesend waren. Der Mobilisierungseffekt war schon grösser.
Morf räumt ein, dass die Lage gegenüber 2003 für den VFSN unverändert sei: «Bundesrat und Bazl missachten weiterhin gültige Gesetze, ignorieren Entscheide des Bundesgerichts und verzögern Massnahmen zugunsten der betroffenen Bevölkerung». Einen erneuten Boykott der Bundessteuern wie vor wenigen Jahren oder eine ähnliche Aktion als Akt des zivilen Ungehorsams will Morf für die Zukunft nicht ausschliessen.
Zumikons Gemeindepräsident Hermann Zangger wünscht sich, «dass sich die Bevölkerung in Form von «Massenprotesten» intensiver zur Wehr setzen würde». Die rechtlichen Mittel gegen die Südanflüge seien ausgeschöpft, trotzdem werde die Gemeinde, als Mitglied des Fluglärmforums Süd, mit diesem zusammen ausloten, wie man sich auch weiterhin gegen die Südanflüge wehren könne. Diesbezüglich bezeichnet Zangger die Lage als stabil, «allerdings auf einer unangenehmen Ebene». Das Südanflugregime werde gemäss den Bestimmungen grossmehrheitlich eingehalten. Einzelne «Abweichler», vor allem zu Nachtzeiten, seien aber feststellbar. Im Fokus stehen für Zangger zurzeit ohnehin vielmehr die drohenden Südstarts straight. Diese gelte es jetzt in erster Linie unbedingt zu verhindern, «denn der Lärmpegel wird um einiges höher sein als bei den Landungen». Aber auch da seien die Behörden auf die Mithilfe und die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen.
«Brauchen vernünftige Lösung»
Eine tendenzielle Verschlechterung der Situation in der Fluglärmfrage stellt Wädenswils Stadtpräsident Philipp Kutter für die Region fest, aus zwei Gründen: Erstens würden die drohenden Südstarts straight die Lärmsituation im dicht besiedelten Süden verschärfen, zweitens sei leider immer noch keine rasche Rückkehr zur Nord Ausrichtung in Sicht. Kutter befürchtet, dass eine Rückkehr zum System ganz ohne Südanflüge leider kaum möglich sein wird: «Doch wir brauchen eine vernünftige Lösung.»
Jetzt, wo die Bundestagswahlen in Berlin vorbei seien, müsse der Bundesrat einen neuen Anlauf mit Deutschland nehmen, fordert Kutter. Zudem sollten Flughafen und Bund endlich ernst machen mit dem gekrümmten Nordanflug. Wie Zangger sieht auch Kutter das Fluglärmforum Süd, das die Gemeinden und Städte im Süden des Flughafens vertritt, als die für die Stadt Wädenswil weiterhin sinnvollste Plattform zur Bündelung des Protestes, sowohl gegen Südanflüge als auch und in Zukunft wohl vermehrt gegen die Südstarts straight.
Ordentliches Verfahren
Für das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) handelte es sich bei der Genehmigung der Südanflüge um ein ordentliches Verfahren. Sowohl das Bundesverwaltungsgericht wie in zweiter Instanz das Bundesgericht haben das Verfahren auch materiell als rechtmässig eingestuft. «Notrecht» kam nicht zur Anwendung», betont BAZL Sprecher Urs Holderegger. Dass aus überwiegenden öffentlichen Interessen den Beschwerden die aufschiebende Wirkung entzogen werden musste, habe nichts mit «Notrecht» zu tun, sondern stelle eine Möglichkeit dar, die das Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren vorsehe und von der oft Gebrauch gemacht werden müsse.
Ob es die Südanflüge auch in zehn Jahren noch braucht, dazu will sich Holderegger nicht festlegen: «Seit 2013 prüft eine Arbeitsgruppe, ob ein gekrümmter, satellitengestützter Nordanflug, der das deutsche Hoheitsgebiet nicht tangiert, realisierbar ist.» Damit könnten die Südanflüge auf den Flughafen während der deutschen Sperrzeit allenfalls teilweise ersetzt werden.
Am Flughafen Zürich kommen je nach Tageszeit drei unterschiedliche Konzepte zur Anwendung: Nordkonzept, Ostkonzept und Südkonzept. Bezüglich Komplexität und Kapazität stelle das Südkonzept das schlechteste Konzept dar, meint die Mediensprecherin der Flughafen Zürich AG, Jasmin Bodmer, auf Anfrage der «ZSZ». Dazu gibt es jedoch laut Bodmer in den Morgenstunden keine Alternativen: «Das Nordkonzept ist nicht möglich aufgrund der einseitigen deutschen Verordnung, und das Ostkonzept ist nicht möglich, weil die Piste im heutigen Zustand zu kurz ist für Langstreckenflüge.»
Pistensystem ist limitiert
Die Gefahr eines überdimensionierten Luftfahrt Drehkreuzes, wie ihn etwa Richard Hirt, Präsident des Fluglärmforums Süd, für den Flughafen befürchtet, erkennt Bodmer nicht. Im Rahmen ihrer Konzession habe die Flughafenbetreiberin den Auftrag, die Nachfrage nach Direktverbindungen zu den wichtigsten Metropolen der Welt zu befriedigen. Der Flughafen Zürich solle sich deshalb im Rahmen seiner Möglichkeiten weiterentwickeln können: «Das Pistensystem ist aber limitiert, der Flughafen Zürich wird nicht endlos wachsen.»
ZSZ, 31.10.2013, Seite 2