Der umstrittene Staatsvertrag wird kommen, jede Mitarbeit an einer politischen Lösung ist Augenwischerei. Auf diesen Punkt lässt sich die Haltung des Vorstandes der Bürgerinitiative gegen Flugverkehrsbelastung im Kreis Waldshut bringen, die heute über den Medienverteiler laufen soll, flankiert von einer kreisweiten Flugblattaktion. „Die Bürgerinitiative ist entbehrlich geworden." Ihre Aktivitäten seien „einzustellen", mit diesen nüchternen Sätzen schließt das dreiseitige Papier, das die Lage kühl analysiert und sich in Teilen wie eine bittere Abrechnung mit den politischen Entscheidungsträgern in Stuttgart und Berlin liest.
Damit könnte schon in wenigen Wochen ein Verein seine Bücher schließen, der rund 15 Jahre lang als Sprachrohr vieler besorgter Bürger im Kreis Waldshut und darüber hinaus galt. Mitte Oktober wird der in Spitzenzeiten rund 200-köpfige Verein in einer außerordentlichen Versammlung darüber befinden, ob er der Empfehlung des Vorstandes folgt und sich auflöst.
„Wir haben uns das nicht leicht gemacht," sagt der langjährige Vorsitzende Rolf Weckesser gegenüber dieser Zeitung. Die Analysen Weckessers und seines Stellvertreters, des Lauchringer Arztes Helmut Uhl, hatten in der Vergangenheit immer wieder Transparenz in den für Außenstehende nur schwer zu durchschauenden Fluglärmstreit mit der Schweiz gebracht.
Aus der BI gingen dabei starke Signale hervor, darunter die von nahezu allen Mandatsträgern und Amtsinhabern der Region unterzeichnete „Stuttgarter Erklärung". Zu den größten Erfolgen zählt es, dass sie daran mitwirkten, die Ratifizierung des Staatsvertrages im Bundestag aufzuhalten. Dass das Papier bislang nicht eingestampft wurde, werten sie zugleich als Misserfolg.
„Wenn der Vertrag kommt, ist das verheerend für den südbadischen Raum", urteilt Rolf Weckesser. Das Abkommen, das die Schweiz bereits durchs Parlament gebracht hat und an dem auch CSU-Minister Ramsauer nichts mehr ändern will, sei ein „Freibrief" für den Zürcher Flughafen über Südbaden: Die Zahl der An- und Abflüge über Süddeutschland werde entgegen aller Versprechen nicht begrenzt, Anflüge während der Schutzzeiten (frühmorgens und spätabends) werden je nach Topografie ab 1700 Metern über Grund erlaubt, außerhalb der Schutzzeiten sind diese unbegrenzt möglich, und der Raum Konstanz wird künftig verstärkt in die An- und Abflugregelungen des Zürcher Flughafens eingebunden.
Die BI Waldshut hatte auf diese Folgen in der Vergangenheit mehrfach hingewiesen. Weckesser sieht darin den Preis auf deutscher Seite, dass die Villenviertel im Zürcher Süden künftig keine Flüge ertragen müssen.
„Widerstand zwecklos", resümiert die BI in ihrer Mitteilung und meint Belege dafür zu haben, dass die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel kein Interesse an einem anderen Staatsvertrag hat. Im Stich gelassen fühlt sich die BI auch von dem grün und schwarz besetzten Regierungspräsidium Freiburg. Die Behörde sei verpflichtet, die Schweiz auf der Grundlage der Espoo-Konvention dazu zu bewegen, Zahlen über die Folgen der geplanten Änderungen am 12 Kilometer von der Grenze entfernten Flughafen auf den Tisch zu legen, so der BI-Vorsitzende. Dieser Prozess werde jedoch verschleppt und die grün-rote Landesregierung schaue dem tatenlos zu.
Falsche Zahlen, „fadenscheinige Begründungen" und „schöne Statistiken" seien fester Bestandteil der für die Ratifizierung des Staatsvertrages verwendeten Argumente. „Das von allen beteiligten politischen Kräften vorgebrachte ‚Mantra\' „Bürgerbeteiligung" ist als Lippenbekenntnis entlarvt."
Das Misstrauen der BI gegenüber politischen Verlautbarungen sitzt tief. So hatte die Bürgerinitiative in den vergangenen Wochen mit ihren Wahlempfehlungen manche Kritik und vereinzelt auch manchen Aufschrei provoziert. Mit ihrem Urteil hielten die meisten Politiker in Wahlzeiten wie diesen dennoch hinterm Berg. Während die BI der Ansicht ist, der Staatsvertrag hätte noch vor dem Urnengang versenkt werden müssen, um einen glaubwürdigen Schlussstrich zu ziehen, hielten Abgeordnete wie Andreas Jung (CDU) aus Konstanz dagegen. Er hatte wie alle anderen Abgeordneten in Bund und Land von SPD, FDP und Grünen die Stuttgarter Erklärung unterschrieben und den massiven Widerstand aus der Region im Bundestag eingebracht. Das werde auch nach der Wahl so bleiben, versichert Jung stellvertretend für alle. Insbesondere gegen den Widerstand der Südwest-CDU als voraussichtlich wieder stärkster Landesgruppe werde es keine Ratifizierung des vorliegenden Vertrages geben, stellte er unlängst wieder klar.
Rolf Weckesser will dennoch bei seiner Meinung bleiben: „Der Staatsvertrag wird kommen," sagt er. Von einer Kapitulation könne freilich keine Rede sein, so der Bundeswehr-Oberst im Ruhestand. „Man muss den Tatsachen ins Auge sehen." Kritik werde es auch weiterhin geben. Der Region zwischen Hochrhein, Schwarzwald und Bodensee gibt er nach einer möglichen Ratifizierung des Abkommens noch drei Jahre relative Ruhe. „Dann wird es kräftig brummen, vor allem im Kreis Konstanz" lautet seine Prophezeihung.