Jetzt sind definitiv die Deutschen am Zug (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Die SVP und die Grünen haben sich vergeblich verbündet: Der Zürcher Kantonsrat akzeptiert den Fluglärm-Staatsvertrag mit Deutschland. Anders ist die Stimmung in Südbaden: Der Ruf nach Verschärfungen ist laut.

Andreas Schürer

Für die einen ist es um Schaumschlägerei gegangen, für die andern um ein bis nach Berlin hörbares Zähnefletschen: Der Kantonsrat debattierte am Montag über eine parlamentarische Initiative der SVP, mit der das Luftverkehrsabkommen mit Deutschland ins Visier genommen werden sollte. Der Erstunterzeichner, Claudio Zanetti (svp., Zollikon), verlangte, dass der Regierungsrat gegen den im Juni vom Nationalrat genehmigten Staatsvertrag das Kantonsreferendum ergreifen müsse.

Das Problem: Für die Einreichung eines solchen Referendums müssten sieben Kantone mitmachen – und am 10. Oktober läuft die Referendumsfrist bereits ab. Jean-Philippe Pinto (cvp., Volketswil) sagte deshalb: «Machogehabe ist nun fehl am Platz – der Kanton Zürich würde sich lächerlich machen.» Andere sprachen von zähneknirschender Zustimmung zum Kompromiss, die nötig sei, was Christian Lucek (svp., Dänikon) zur Aussage bewog: «Zähneknirschen wird in Berlin nicht bemerkt. Wir müssen die Zähne zeigen.» Statt die Faust im Sack zu machen, müsse ein Zeichen der Stärke gesetzt werden.

Allianz aus SVP und Grünen
Der Kantonsrat liess sich nicht zu solch angriffiger Pose motivieren: Mit 98 zu 71 Stimmen lehnte er die parlamentarische Initiative ab. Neben der SVP stimmte nur die Fraktion der Grünen mit AL und CSP zu, allerdings aus andern Gründen. Für Robert Brunner (gp., Steinmaur) ist der Staatsvertrag nicht vereinbar mit dem Zürcher Flughafengesetz und dem darin verankerten Fluglärm-Index (ZFI). Die Verlagerung von Fluglärm in die Schweiz würde unter anderem zu neuen Abflugrouten über den Bezirk Bülach und das Weinland führen, sagte Brunner. Auf diese Weise werde der Richtwert im ZFI künftig noch stärker als heute überschritten. Die ablehnende Haltung des Rats zum Vorstoss Zanettis antizipierend, schloss Brunner: «Meine Hoffnung liegt nun bei den süddeutschen Freunden – ich wünsche gutes Gelingen.»

Die guten Gedanken des Grünen mögen ihm unbenommen sein – sollten sie Wirkungen entfalten, könnte dies aber für Zürich fatal sein. Südbaden kämpft geschlossen für eine Beschränkung der jährlichen Anflüge auf 80 000. Im Staatsvertrag ist eine solche Plafonierung nicht enthalten. Dafür werden die Zeitfenster, die Südbaden Ruhe garantieren, ausgedehnt – ab 18 Uhr dürfte der Flughafen Zürich nicht mehr von Norden angeflogen werden. Weil dies Süddeutschland nicht genügt und dort starken Protest provoziert hatte, legte der Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) den Ratifikationsprozess auf Eis. Mit Spannung wird erwartet, wann und wie er nach den Bundestagswahlen vom kommenden Wochenende wieder aufgenommen wird.

Eine klare Vorstellung vom weiteren Umgang mit dem Staatsvertrag hat Gisela Splett, Lärmschutzbeauftragte der Baden-Württembergischen Landesregierung. «Es braucht Nachverhandlungen», sagt sie auf Anfrage. Die Regierung in Stuttgart fühle sich an den einstimmigen Beschluss des Landtags gebunden, in dem der vorliegende Vertrag als nicht ratifizierbar bezeichnet worden sei. Die Sorge sei gross, dass sich die Belastung in Südbaden verschlechtere, weil die Zahl der Bewegungen nicht plafoniert werde und die Flughöhen gesenkt würden. Nach der Bundestagswahl werde es in diesem Dossier wohl noch einige Zeit ruhig bleiben, sagt Splett. Doch dann müsse das Bundesverkehrsministerium das Heft endlich in die Hand nehmen.

«Schuss ins eigene Knie»
Auf den zähen Widerstand in Südbaden verwies im Zürcher Kantonsrat auch der Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker (svp.). Der Staatsvertrag mache ihm keine Freude, gerade mit Blick auf noch weiter gehende Forderungen aus Süddeutschland sei diesem aber wohl oder übel zuzustimmen. Die parlamentarische Initiative seiner Partei bezeichnete Stocker als «Schuss ins eigene Knie». Erstens sei ihm schleierhaft, welche sieben andern Kantone das Referendum mittragen sollten. Und zweitens sei eine Abstimmung auf nationaler Ebene gar nicht anzustreben. Der Sonderstellung des Kantons Zürich in der Diskussion über den Flughafen gelte es Sorge zu tragen. Eine allfällige Niederlage in der Abstimmung über den Staatsvertrag würde Zürich isolieren, meinte Stocker. Lorenz Habicher (svp., Zürich) bezeichnete dies postwendend als Position der Schwäche: «Wir müssen für unsere Rechte einstehen.»

In der Debatte zuvor hatten alle Parteien ausser der SVP und der GP ähnlich wie Stocker argumentiert. Für Jörg Kündig (fdp., Gossau) ist der Preis für den Staatsvertrag hoch, eine bessere Lösung sei aber nicht in Sicht. SP und GLP nutzten die Debatte, um den Widerstand gegen Pistenverlängerungen zu bekräftigen. Und CVP-Sprecher Jean-Philippe Pinto schaffte es, trotz Ablehnung des SVP-Vorstosses wenigstens ansatzweise Zähne zu zeigen: «Der Ball liegt jetzt bei Deutschland. Nachverhandlungen darf es nicht geben.»

NZZ, 17.09.2013


Kommentar VFSN: Für den Staatsvertrag sein, aber eine Pistenverlängerung ablehnen, das geht gar nicht!