Die Kritik der Swiss am Kanton und am Flughafen ist für Regierungsrat Ernst Stocker (svp.) nicht nachvollziehbar. Mit dem Wegzug zu drohen, sei in der Schweiz zudem kontraproduktiv. Von der Regierung in Stuttgart ist Stocker enttäuscht.
Interview: Andreas Schürer
Herr Stocker, der Swiss-CEO Harry Hohmeister hat sich über mangelnde Unterstützung der Politik im rauen Konkurrenzkampf beklagt (NZZ 17. 5. 13). Lässt der Kanton den Hub-Carrier am Flughafen Zürich sträflich im Stich?
Nein, das muss ich entschieden in Abrede stellen. Der Kanton schaut hauptsächlich dem Standort Zürich – und dieser ist im internationalen Vergleich sehr gut positioniert. Wenn es dem Standort Zürich und der Schweiz gutgeht, profitiert auch die Swiss. Die Äusserungen Hohmeisters haben mich erstaunt. Die Swiss verhandelt derzeit mit dem Flughafen über die Gebühren. Für das Gedeihen eines Geschäfts ist es nie gut, wenn es öffentlich ausgetragen wird.
Trotzdem: Unternehmen wie die Turkish Airlines drängen mit grossen staatlichen Subventionen auf mehr Marktanteile. Der Swiss-Mutterkonzern Lufthansa ist arg in Bedrängnis. Das muss dem Volkswirtschaftsdirektor, der um die gute Anbindung der Schweiz an die Welt fürchtet, doch zu denken geben.
Selbstverständlich geben mir diese Marktverzerrungen zu denken. Zwar hat auch der Kanton Zürich der Swiss vor über zehn Jahren auf die Beine geholfen. Dass wir nun aber eine Fluggesellschaft dauerhaft direkt unterstützen, wie das im Mittleren Osten gang und gäbe ist, kommt für mich nicht infrage. Es ist auch nicht nötig: Die Swiss konnte bisher hier in Zürich gutes Geld verdienen. Der Flughafen, der hohe Qualität bietet und dafür auch immer wieder Preise gewinnt, trägt dazu bei. Diese Qualität ist aber nicht gratis.
Was kann der Kanton tun, um die Rahmenbedingungen für die Swiss positiv zu beeinflussen?
Die Swiss hat ein zentrales Interesse: dass sie fliegen und Geld verdienen kann. Wir sind bestrebt, dass die An- und Abflugwellen so gestaltbar sind, dass es praktikabel ist – selbstverständlich unter der Einschränkung, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden und dass die Belastung der Bevölkerung möglichst gering ist. Der Flughafen liegt in dem am dichtestbesiedelten Gebiet der Schweiz.
Hohmeister droht wieder mit Verlagerungen der Passagierströme nach Wien. Was würde das laut Ihren Szenarien für Zürich bedeuten?
Zuerst muss ich sagen: Drohungen kommen in diesem Land nie gut an. Die Swiss ist wichtig als Hub-Carrier, und sie macht einen guten Job. Aber Zürich ist auch für andere Fluggesellschaften interessant.
Ketzerisch gefragt: Könnte auch eine andere Airline die Hub-Funktion übernehmen?
Das würde wohl schwierig. Sollte das eintreffen, was Hohmeister androhte, würde das aber nicht die verkehrstechnische Isolation der Schweiz bedeuten. Wie gesagt: Zürich ist gut aufgestellt, und die Schweiz ist dank der verhältnismässig guten Wirtschaftslage ein interessanter Markt für Fluggesellschaften.
Auslöser der Drohungen der Swiss ist der Gebührenstreit mit dem Flughafen. Ist es nicht am Kanton als grösstem Aktionär des Flughafens, dafür zu sorgen, dass die Airlines nicht noch mehr belastet werden?
Wir sind an diesen Verhandlungen nicht direkt beteiligt. Im Moment sehen wir keinen Grund einzugreifen. Klar ist aber, dass der Flughafen, wie wir, ein Interesse daran hat, dass die Swiss in Zürich akzeptable Bedingungen vorfindet. Darum bin ich zuversichtlich, dass eine Lösung gefunden wird, die alle einigermassen zufriedenstellt.
Aber eine gewisse Gebührenerhöhung halten Sie für gerechtfertigt?
Das Dock B wurde ausgebaut, das Sicherheitszentrum wurde neu erstellt – das sind Beispiele für Investitionen, die den Komfort erheblich verbessern. Je nach Ausgang der politischen Debatte stehen zudem mit den Pistenverlängerungen grosse Investitionen an, die der Flughafen selbstverständlich aus dem eigenen Sack zahlen müsste. Im Übrigen gibt es für die Swiss auch eine Entlastung, da der Bund den Flughafen angewiesen hat, den Lärm-Fünfliber zu sistieren oder erheblich zu reduzieren.
Der Swiss-Chef hat den oft geäusserten Vorwurf aufgenommen, der Flughafen entwickle sich immer mehr zum Shoppingcenter. Nochmals: Der Kanton ist der grösste Aktionär. Ist es Aufgabe des Kantons, am Flughafen eine Konkurrenz zum Glattzentrum aufzubauen?
Der Flughafen ist keine direkte Konkurrenz zum Glattzentrum, aber es stimmt, er ist auch ein Einkaufszentrum. Das ist aber auf vielen Flughäfen der Welt so, und der Trend geht überall weiter in die Richtung, dass sie zu eigenen Destinationen entwickelt werden. Sie sind nun einmal sehr gut erschlossen – und so spielt der gleiche Effekt wie bei Bahnhöfen. Gehen Sie einmal an einem Sonntag in den Hauptbahnhof Zürich!
Also ist der Vorwurf von Hohmeister polemisch?
Ich kann ihn nicht nachvollziehen. Hohmeister sollte auch ein Interesse daran haben, dass der Flughafen attraktiv ist. Sicher ist, und das weiss er auch, dass die Airlines über die Gebühren nichts an die Läden zahlen müssen. Dazu kommt: Der Anteil der Umsätze im Non-Aviation-Bereich ist konstant. 2012 betrug er in Zürich 37 Prozent des Gesamtumsatzes, 2008 waren es 38 Prozent.
Als börsenkotierte Firma strebt der Flughafen zwangsläufig nach Wachstum. Mit dem Mega-Immobilienprojekt Circle geht er auch Risiken ein. Müsste der Kanton den Flughafen nicht bremsen?
Der Kanton ist sicher nicht die treibende Kraft hinter dem Circle. Unser Einfluss ist aber beschränkt: Wir sind zwar grösster Aktionär, haben aber nur eine Sperrminorität bei zentralen aviatischen Geschäften wie zum Beispiel Pistenausbauten. Beim Circle ist aber auch dem Flughafen klar, dass die Risiken beschränkt bleiben müssen. Die Flächen müssen vor dem Baubeginn mindestens zu 50 Prozent vermietet sein.
Wachsen muss der Flughafen vor allem im nichtaviatischen Bereich. War die Konstruktion als AG ein Fehler?
Nein, es ist eine gute Konstruktion. Bei wesentlichen aviatischen Entscheiden haben wir eine Sperrminorität – und sonst soll der Flughafen unternehmerisch betrieben werden können.
Im aviatischen Bereich herrscht Unsicherheit. Die Ratifikation des Staatsvertrags mit Deutschland ist blockiert, nun ist auch in der Schweiz die Diskussion über das künftige Flugregime ins Stocken geraten. Der Bund will den Sachplan etappieren: Bevor die Flugrouten definiert werden, sollen kleinere Projekte wie Schnellabrollwege gesichert werden. Ist das sinnvoll?
Wir befürworten dies. Angesichts der heutigen Unsicherheiten kann der Sachplan wohl nicht als Ganzes ins Trockene gebracht werden. Schnellabrollwege und Umrollungen kann man aber gut vorziehen.
In Deutschland wird der Staatsvertrag vor den Bundestagswahlen im Herbst sicher nicht mehr aufs Tapet kommen. Herrscht auch zwischen Zürich und Stuttgart Eiszeit?
Die wirtschaftlichen Verknüpfungen zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz sind sehr eng. Baden-Württemberg hat mit der Schweiz etwa ein gleich grosses Handelsvolumen wie mit den USA. Angesichts dieser Tatsache erstaunen mich die fehlende Kompromissbereitschaft Stuttgarts und die vehemente Bekämpfung des Staatsvertrags. Ich bin sehr enttäuscht, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann hier in Zürich noch sagte, der Staatsvertrag müsse ein fairer Kompromiss sein – und nun greift er ihn wieder frontal an. Diese Kehrtwende ist für mich nicht nachvollziehbar, das habe ich ihm auch persönlich gesagt.