Andreas Schürer
Der innerschweizerischen Flughafenplanung droht wegen des langwierigen Streits mit Deutschland die Blockade. Kurz vor Weihnachten dachte Peter Müller, Direktor des Bundesamts für Zivilluftfahrt (Bazl), in einem Interview mit der NZZ laut über mögliche Auswege nach. Müller brachte eine Etappierung des Sachplans Infrastruktur Luftfahrt (SIL) für den Flughafen Zürich ins Spiel. Die Idee: In einem ersten Schritt könnten laut dem Bazl-Direktor «vordringliche Anliegen des Flughafens, zu denen bereits eine Anhörung durchgeführt wurde, im Jahr 2013 ins Ziel gebracht werden».
Denkbar sei, zum Beispiel Schnellabrollwege und zusätzliche Standplätze in einem ersten SIL-Objektblatt raumplanerisch zu sichern. Mit der Definition von An- und Abflugrouten werde jedenfalls zugewartet, bis Deutschland das Ratifikationsverfahren für den Staatsvertrag wieder aufnehme. Nach der von Verkehrsminister Peter Ramsauer angeordneten Sistierung liegt das Abkommen in Berlin auf der langen Bank. Vor den Bundestagswahlen im Herbst 2013 ist eine erneute Wende nicht zu erwarten.
Pistenausbau sichern
Müllers Pläne kommen in Zürich unterschiedlich gut an. Ruedi Lais (sp., Wallisellen), Präsident der kantonsrätlichen Kommission für Energie, Verkehr und Umwelt, kritisiert die angedachte Etappierung: «Das Instrument SIL wird weiter abgewertet, wenn damit keine Gesamtstrategie mehr festgelegt wird.» Keine Probleme sieht dagegen Stefan Krebs (svp., Pfäffikon), Präsident der Kommission für Planung und Bau. Wichtig sei, dass der Kanton Zürich auch ohne definitiven SIL möglichst bald den Richtplan Flughafen verabschiede. Da in diesem Richtplan alle gegenwärtig zur Diskussion stehenden An- und Abflugverfahren enthalten seien, könne dieses Ziel vielleicht schon dieses Jahr erreicht werden. Für die Flughafengemeinden sei zentral, dass sie endlich Rechtssicherheit erhielten.
Auf Rechts- und Planungssicherheit drängt auch die Flughafen Zürich AG. Wenn sich der Prozess in Deutschland tatsächlich verzögere, sei eine Etappierung des SIL aber sinnvoll, sagt die Sprecherin Sonja Zöchling. Auf diese Weise könne alles, was zwischen Bund und Kanton raumplanerisch schon koordiniert sei, abschliessend entschieden werden.
Pikant: Als «vordringliche Anliegen des Flughafens» nennt Zöchling nicht nur die Schaffung von rund einem Dutzend neuer Standplätze in der Zone West und Schnellabrollwege – sondern auch die Verlängerungen der Pisten 28 und 32. Sie müssten im Falle einer Etappierung schon im Flughafenperimeter des ersten SIL-Objektblatts enthalten sein, fordert Zöchling. Dadurch könne erreicht werden, dass keine zweckfremden Bauten Dritter in diesem Perimeter erstellt würden – und dass die Ausbauvorhaben grundsätzlich bewilligt werden könnten.
Einen Grund für einen Marschhalt bezüglich des Pistenausbaus sieht Zöchling nicht. Sie verweist darauf, dass die Pistenverlängerungen nicht nur für die Umsetzung des Staatsvertrags nötig seien, sondern auch generell zur Stabilisierung des Betriebs und zur Reduktion der Komplexität beitrügen.
In Bern hat der Pistenausbau auch hohe Priorität. Das Bazl hielt schon im Oktober 2012 fest, dass das Ostkonzept, das Landungen aus Osten und Starts nach Norden vorsieht, aus Sicherheitsgründen optimiert werden müsse – unabhängig vom Schicksal des Abkommens mit Deutschland. Unter Optimierung versteht das Bazl die Entflechtung der An- und Abflüge, Verlängerungen der Landepiste 28 und der Startpiste 32, Schnellabrollwege für die Piste 28 sowie eine Umrollung der Piste 28.
FDP kritisiert Etappierung
Nicht glücklich über die Verzögerung des SIL-Prozesses ist die FDP-Kantonsrätin Gabriela Winkler (Oberglatt). Mutige Regierungen in Bern und Zürich würden ihrer Meinung nach nicht zaudern und etappieren, sondern weiter planen wie vorgesehen und dieses Jahr noch das SIL-Objektblatt verabschieden. Winkler meint: «In Deutschland wird sich nichts bewegen, wenn wir ängstlich versuchen, den Status quo einzufrieren.» Werde der SIL aber tatsächlich etappiert, sei für den Flughafen eine gewisse Schadensbegrenzung anzustreben, sagt Winkler. Das bestehende System müsse in diesem Fall optimiert werden können.
Allerdings: Einen Pistenausbau versteht sie darunter nicht: «Bis jetzt hat mir niemand glaubwürdig aufzeigen können, dass dies volkswirtschaftlich und für die Aufrechterhaltung der internationalen Anbindung der Schweiz notwendig ist.» Immerhin habe das heutige Pistensystem die Steigerung von 141 auf 196 Destinationen in den letzten acht Jahren verkraftet.
Mit ihrem Widerstand gegen Pistenverlängerungen ist Winkler in der FDP klar in der Minderheit. Die Etappierungspläne des Bazl kritisiert aber auch Alex Gantner (fdp., Maur), Mitglied der Kommission für Energie, Verkehr und Umwelt. Die Schweiz müsse den SIL nun eigenständig durchziehen und dürfe sich von Deutschland kein anderes Tempo diktieren lassen.
Auch die Grünen sehen keinen Grund für Verzögerungen des SIL. Kantonsrat Robert Brunner (Steinmaur) meint lakonisch: «Offenbar soll die Wurstelei weitergehen.» Die Aussage von Bazl-Direktor Müller, im Fluglärmstreit mit Deutschland sollten nun keine An- und Abflugkonzepte auf Vorrat geschaffen werden, sei an den Haaren herbeigezogen: «Alle Varianten, ob straight oder gekrümmt, sind bekannt – jeder, der einen Computer bedienen kann, findet die Auslegeordnung im Internet.»
Offensichtlich wolle das Bazl das Terrain ebnen für die Pläne des Flughafens, dieses Jahr noch ein Gesuch für die Pistenverlängerungen einzureichen. Für Martin Geilinger (gp., Winterthur) ist dieses Szenario gar nicht so dramatisch. Er hält es für wichtig, dass die Frage der Pistenverlängerungen bald geklärt wird. Da der Kanton Zürich diesbezüglich das letzte Wort habe, dürfe er nicht wie die Maus vor der Schlange erstarren – sondern müsse nun die Gelegenheit nutzen, einen klaren Rahmen zu setzen.
Josef Wiederkehr (cvp., Dietikon) hält das für gut tönende, aber unrealistische Worte. Solange der Staatsvertrag in der Schwebe liege, müsse sich die Schweiz sämtliche Optionen offenhalten. Unterstützt werden die Pläne des Bazl auch von Orlando Wyss (svp., Dübendorf): «Die Etappierung des SIL ist in Ordnung.»
Richard Hirt, ehemaliger CVP-Kantonsrat, Gemeindepräsident von Fällanden und Präsident des Fluglärmforums Süd, äussert sich pragmatisch: «Verzögerungen des SIL sind wir seit über zehn Jahren gewohnt.» Und er fügt hinzu: «Dass aber kein Gesamtkonzept erkennbar ist, schürt Misstrauen.»
Komplexe Planung mit langfristigen Folgen
Die Eckwerte für die langfristige Entwicklung des Flughafens Zürich werden in einem Instrument mit einem sperrigen Namen geregelt: im Objektblatt des Sachplans Infrastruktur Luftfahrt (SIL). Ursprünglich war geplant, dass der Bundesrat das Objektblatt dieses Jahr verabschieden würde. Wegen des ungewissen Schicksals des Staatsvertrags mit Deutschland erwägt nun aber das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl), den SIL-Prozess zu etappieren – die Festlegung der möglichen An- und Abflugverfahren würde nach diesem Szenario auf unbestimmte Zeit verschoben.
Einmal in Kraft, wird das SIL-Objektblatt den Rahmen für den Betrieb und die Infrastruktur des Flughafens für die folgenden 20 bis 25 Jahre behördenverbindlich festlegen. Neben den An- und Abflugregimen definiert der SIL auch den Flughafenperimeter, der das Areal für Bauten und Anlagen begrenzt, die nur oder überwiegend dem Betrieb des Flughafens dienen. Umfasst der Perimeter beispielsweise auch Verlängerungen der Pisten 28 und 32, wären einen solchen Ausbau verhindernde zweckfremde Bauten Dritter verunmöglicht. Ein zentrales Element im SIL ist auch die Abgrenzungslinie. Mit ihr wird das Gebiet definiert, in dem der Fluglärm erheblich stört – und in dem keine neuen Siedlungsgebiete entstehen sollen.
Abzustimmen ist das SIL-Objektblatt inklusive des Flughafenperimeters und der Abgrenzungslinie mit dem kantonalen Richtplan zum Flughafen, der gegenwärtig von der zuständigen Kantonsratskommission behandelt wird. Da diese Abstimmung jedoch erst abgeschlossen werden kann, wenn die Festlegungen im SIL-Objektblatt und der Verlauf der Fluglärmbelastungskurven endgültig sind, verzögert sich auch das Richtplan-Geschäft auf Kantonalzürcher Stufe. Ziel der Sach- und Richtplanung ist, für die Bevölkerung und den Flughafen Rechts- und Planungssicherheit zu schaffen.
Gestartet wurde das SIL-Verfahren im November 2004, ein erster Koordinationsprozess dauerte bis 2009. Beteiligt waren die Kantone Zürich, Aargau, Schaffhausen, Thurgau, St. Gallen, Schwyz und Zug, der Flughafen, die Flugsicherungsfirma Skyguide sowie diverse Bundesstellen. Im Schlussbericht des Koordinationsprozesses vom Februar 2010 wurden von ursprünglich 19 Betriebsvarianten 3 zur weiteren Verwendung empfohlen: E DVO, E Opt und J Opt. Alle sechs Varianten, die den Bau einer Parallelpiste bedingten, wurden verworfen.
Die kaum umsetzbare Variante E Opt schöpft das Optimierungspotenzial aus, wenn es keine deutschen Luftraumbeschränkungen gäbe: Sie verwendet von 6 bis 21 Uhr das Nordkonzept, von 21 Uhr bis 23 Uhr das Ostkonzept. Bei Nebel und Bise ist der Südstart geradeaus zugelassen. Die Variante E DVO bildet den Status quo mit den deutschen Sperrzeiten ab, lässt aber bei Nebel und Bise auch den Südstart geradeaus und zudem den gekröpften Nordanflug zu. Die Variante J Opt sieht eine Kombination von Nord- und Ostbetrieb vor.
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