Europas Airlines im Gegenwind (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
Nach Iberia, Lufthansa und Air France baut nun auch die skandinavische SAS massiv Personal ab. Die arabischen Fluggesellschaften hingegen gewinnen Marktanteile und machen auch in Europa Boden gut.

Das Personal der SAS hat keine Alternative: Entweder es akzeptiert den drastischen Sparplan, der gestern präsentiert wurde, oder die skandinavische Airline muss Konkurs anmelden. 800 Jobs werden gestrichen, die Löhne um bis zu 17 Prozent gesenkt und die Renten gekürzt. SAS-Chef Rickard Gustafson verzichtet auf ein Fünftel seines Gehalts. Die nordischen Regierungen wollen keine Krone mehr in die seit langem defizitäre Airline stecken. Über ein Jahr lang wurde ein Käufer gesucht. Vergeblich. Schliesslich kam noch der Konkurs der Spanair hinzu, an der die skandinavische Airline beteiligt war. Er kostete die SAS 25 Millionen Euro.

Innerhalb Europas ist die SAS kein Einzelfall:

  • Ende letzter Woche gab die spanische Iberia den Abbau von 4500 Stellen bekannt. Die Flotte wird um 25 Maschinen verkleinert, unrentable Strecken werden gestrichen, die Löhne sollen gesenkt werden.
     
  • Im Juni kündigte Air France an, bis Ende 2013 würden rund 5100 Stellen gestrichen. Der Mutterkonzern Air France-KLM hatte 2011 über 800 Millionen Euro Verlust gemacht.
     
  • Im Mai gab der Lufthansa-Konzern bekannt, in den nächsten Jahren würden 3500 von knapp 17\'000 Verwaltungsjobs gestrichen.

«Die Redimensionierung der Kapazitäten vieler europäischer Airlines ist eine natürliche Folge der europäischen Wirtschaftsentwicklung», sagt Andreas Wittmer, Direktor des Center for Aviation Competence an der Universität St. Gallen. Viele Fluggesellschaften hätten schlicht nicht konkurrenzfähige Kostenstrukturen. «Die Swiss hat eindeutig einen Konkurrenzvorteil, weil sie am Anfang bescheiden gestartet ist.» Doch auch sie kämpfe mit den hohen Kerosinkosten.

Kein Gewinn in 60 Jahren

Die Branche ist sehr volatil und reagiert rasch auf externe Faktoren, wie Wittmer erklärt. Als Ganzes habe die Luftfahrtindustrie noch nie Geld verdient. «Rechnet man die Gewinne und Verluste aller Airlines der letzten 60 Jahre zusammen, resultiert laut dem Branchenverband Iata im besten Fall eine schwarze Null.»

Die neusten Iata-Zahlen zeigen, wie mager die Gewinnbasis ist. Für 2012 sagt der Verband eine «rasiermesserdünne» Marge von 0,6 Prozent voraus, die im nächsten Jahr auf 1,1 Prozent steigen dürfte. Doch die globale Verteilung ist ungleichmässig: Mehr als die Hälfte der 2012 erwarteten 4,1 Milliarden Dollar an Gewinn wird aus Asien stammen. Ebenfalls positiv ist die Bilanz der Amerikaner und der arabischen Airlines. Der erwartete Verlust der Europäer hingegen hat sich seit der Prognose vom Sommer auf 1,2 Milliarden verdoppelt.

Airlines fliegen viel zu billig

Wer innerhalb Europas mit dem Flugzeug unterwegs ist, hat nicht das Gefühl, dass es an Passagieren fehlt. Tatsächlich sind viele Maschinen, darunter jene der Swiss, sogar besser gefüllt als auch schon. Doch der Ertrag hält mit der Entwicklung nicht Schritt, die Preise erodieren. Mit anderen Worten: Viele Airlines fliegen viel zu billig. «Kunden erwarten heute primär einen tiefen Preis», sagt Aviatik-Experte Wittmer. «Dieses Preisbewusstsein ist für viele Fluggesellschaften verheerend.»

Zudem haben die Europäer Rahmenbedingungen, die sie benachteiligen: Fluggesellschaften, die in der EU starten und landen, müssen seit Anfang Jahr für ihre Luftverschmutzung Zertifikate kaufen. Europäer zahlen also bei jedem Flug. In Deutschland kommt noch eine Luftverkehrssteuer hinzu. Aussereuropäer müssen diese Zusatzkosten nur bei wenigen Flügen leisten. China, die USA, Indien und Russland haben bisher sogar jegliche Beteiligung ihrer Fluggesellschaften am Handel mit Verschmutzungsrechten abgelehnt.

Gestern wurde bekannt, dass die EU-Kommission vorschlägt, die Erhebung der Abgabe bis November 2013 teilweise auszusetzen. Sie soll vorerst nicht mehr auf Flügen erhoben werden, die ausserhalb der EU starten oder landen.

Erfolgreiche arabische Airlines

Während europäische Airlines Sparprogramm um Sparprogramm ankündigen, kommt aus dem Nahen und Mittleren Osten eine Erfolgsmeldung nach der andern. Wenige Stunden nach der Hiobsbotschaft aus Skandinavien kündigte Emirates eine Verdoppelung des Halbjahresgewinns auf fast eine halbe Milliarde Dollar an. Die Flotte wurde um 13 Flieger aufgestockt.

Die arabischen Airlines haben laut Iata in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres Marktanteile gewonnen. Im Passagierverkehr legten sie 17 Prozent zu, bei der Fracht 14 Prozent. In den letzten zehn Jahren steigerten sie ihren Anteil am weltweiten Luftverkehr von 4,8 auf 11,5 Prozent. Die arabischen Airlines profitieren von staatlicher Unterstützung und billigem Treibstoff. Aber sie sind auch gut im Verhandeln. Allen voran gilt das für Etihad aus Abu Dhabi: Seit Anfang Jahr ist die Airline grösster Aktionär von Air Berlin, seit Anfang Oktober kooperieren die beiden mit Air France-KLM. Was das mittel- und langfristig in Europa auslöst, ist unklar.

Drehscheiben am Golf

Doch ob Etihad, Emirates oder Qatar – die Konzepte gleichen sich wie ein Ei dem andern. Die Fluggesellschaften wollen europäische Passagiere dazu bringen, auf dem Weg nach Asien, Afrika oder Australien ihre Drehschreiben zu nutzen. Diese Strategie geht vor allem dort auf, wo Direktflüge ungleich teurer sind oder gar nicht angeboten werden.

Mit einigem Erfolg verfolgt auch Turkish Airlines diese Strategie. Das Unternehmen, das zuletzt mehrere Preise erhielt, jagt der Lufthansa immer mehr Passagiere ab. Laut der «Financial Times Deutschland» diskutieren die beiden Airlines über eine Kreuzbeteiligung.

Tages-Anzeiger, 13.11.2012




Kommentar VFSN: Einmal mehr ist der "Wirtschaftsmotor" drauf und dran die Volkswirtschaft eines Staates (bzw. mehrerer Staaten) ins Elend zu reissen...