Im Luftverkehr drohen Engpässe (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Eine neue Studie zeigt, dass der Schweizer Luftverkehr an Kapazitätsgrenzen stösst und international an Wettbewerbsfähigkeit verliert. Bundesrätin Doris Leuthard will Gegensteuer geben. Im Ringen um den Staatsvertrag setzt sie auf ruhige Töne.

Andreas Schürer

Nach der heftigen Kritik an der Schweizer Lesart des Fluglärm-Staatsvertrags aus Süddeutschland und Berlin setzt Bundesrätin Doris Leuthard auf Deeskalation. Am 5. Schweizerischen Luftfahrtkongress hat sie am Dienstag auf dem Gelände des Flughafens Bern eingeräumt, die Schweiz habe in der Vergangenheit Süddeutschland bezüglich der Anflüge auf Zürich zeitweise «nicht korrekt behandelt». Sie sei sich bewusst, dass das Vertrauen wieder aufgebaut werden müsse – deshalb sei Deutschland über die gemeinsame Flugverkehrskommission in die Umsetzung des Staatsvertrags eingebunden. Dass wieder ein Streit über die Zahl der Nordanflüge entbrannt ist, bedauert Leuthard. Bewegungen zu zählen, entspreche einem veralteten Bild der Luftfahrt. Zentral sei, dass es in allen Regionen Ruhezeiten gebe und ein sicherer Betrieb möglich sei, der ein moderates Wachstum zulasse. Vor einer Nichtratifikation des Staatsvertrags durch das Schweizer Parlament warnte die Verkehrsministerin; weitergehende einseitige Massnahmen Deutschlands wären juristisch schwer abzuwehren.

«Deutscher Kompromiss»
Die Aviatikbranche teilt diese Einschätzung. Für den CEO der Flughafen Zürich AG, Thomas Kern, ist der Staatsvertrag zwar ein «deutscher Kompromiss zwischen dem einseitig verordneten Istzustand und dem Wunsch der Deutschen nach einer Verschärfung», wie er an der Economiesuisse-Veranstaltung sagte. Im Sinne der Rechtssicherheit sei die Ratifizierung aber zu begrüssen. Swiss-CEO Harry Hohmeister stimmte zu – ausser in einem Punkt. Der Staatsvertrag sei kein «deutscher», sondern ein echter Kompromiss: «Beide Seiten wollten 10 zu 0 gewinnen, nun ist es 1 zu 1 ausgegangen.»

Auch unabhängig von den Wirren um den Staatsvertrag hängen Wolken am Schweizer Luftverkehrshimmel. Leuthard stellte am Kongress auf dem Gelände des Flughafens Bern eine vom Münchner Planungsbüro Intraplan erstellte Studie vor, die viele Fragen aufwirft. Die Schweizer Zivilluftfahrt weise zwar in den Kategorien Effizienz und Qualität der Dienstleistungen einen überdurchschnittlichen Standard auf. Die Umweltschutzauflagen seien aber vergleichsweise streng und die Lärm-Entschädigungs-Verpflichtungen hoch. Politisch besonders brisant ist die Aussage in der Studie, dass die Schweizer Luftfahrt bei der Infrastruktur an Kapazitätsgrenzen stosse. Die meisten in dem Monitoring untersuchten ausländischen Flughäfen verfügten über ein Parallelpistensystem. Am Flughafen Zürich ist ein solches aus politischen Gründen ausser Rang und Traktanden gefallen. In der Studie heisst es denn auch wenig überraschend: «Zürich ist bei der Infrastruktur klar benachteiligt. Angesichts der zahlreichen Ausbauvorhaben europäischer Flughäfen und des Verkehrswachstums wird dieser Nachteil immer gravierender.» Auch am Flughafen Genf seien Kapazitätsengpässe vorhanden, heisst es in der Studie. Der einzige Landesflughafen mit Spielraum sei jener in Basel-Mülhausen. Dieser sei aber nicht als interkontinentaler Hub konzipiert.

Die Verkehrsministerin Leuthard sieht angesichts der drohenden Engpässe Bedarf nach einer Grundsatzdiskussion: «Wir müssen uns überlegen, ob wir in 20 Jahren auch noch einen Flughafen mit Hub-Funktion wollen oder nicht.» Es gelte nach Lösungen zu suchen, wie auf den Schweizer Flughäfen ein Kapazitätsausbau bewerkstelligt werden könne, zumal die Luftfahrtmobilität der Schweizer fast doppelt so gross sei wie jene der Deutschen. Antworten gab Leuthard keine – aber sie bekannte sich grundsätzlich zur Wichtigkeit der Luftfahrt: «Der Standort Schweiz braucht eine optimale Anbindung an die Welt.» Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Schweizer Luftfahrt sei gross, direkt oder indirekt schaffe sie rund 180 000 Arbeitsplätze.

Druck aus dem Osten
Doch nicht nur die Schweiz steht vor Grundsatzdiskussionen, ganz Europa sieht sich grossem Druck ausgesetzt. Für Peter Müller, Direktor des Bundesamts für Zivilluftfahrt, steht nicht weniger als das europäische Geschäftsmodell in der Luftfahrt auf dem Spiel. Im Vergleich zu Modellen im Nahen und im Fernen Osten sei es geprägt durch Lärmsensibilität, wenig Subventionen und wenig Protektionismus. Die europäische Position sei ehrenwert, manövriere die hiesige Luftfahrt aber ins Hintertreffen. Swiss-CEO Hohmeister brachte die Befürchtungen der Branche so auf den Punkt: «Wenn die Rahmenbedingungen nicht besser werden, wandern die Hubs in den Nahen Osten ab – und wir fliegen nur noch mit.»

NZZ, 06.11.2012


Kommentar VFSN: Wir danken Harry Hohmeister für den konstruktiven Lösungsvorschlag. Den Hub Zürich in den Nahen Osten zu verlagern ist eine brillante Idee.  Bitte sofort umsetzen!