Grenzen der Fluglärmverteilung (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
In der Umsetzung des Fluglärm-Staatsvertrags soll am Flughafen Zürich das Ostkonzept forciert werden. Das geht aus einem Bericht des Bundesamts für Zivilluftfahrt hervor. Zudem wird der gekröpfte in gekrümmter Nordanflug umgetauft.

Andreas Schürer

Der Bericht hat einen trockenen Namen, enthält aber eine überraschend klare Botschaft. Am Dienstag hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) zum Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) das Dokument «Anpassung des Objektblatt-Entwurfs aufgrund des Staatsvertrags mit Deutschland» in die Konsultation gegeben. Die Kernaussage lautet: Mit Blick auf den Flughafenbetrieb und die Zahl der Lärmbetroffenen wäre es am sinnvollsten, während der deutschen Sperrzeiten nur auf das Ostkonzept mit Anflügen aus Osten und Starts nach Norden zu setzen. Da dies jedoch für den Osten eine zu starke Belastung brächte, müsse diese Region morgens entlastet werden. Am Abend gibt es laut dem Bazl aber keine Alternative zum Ostkonzept, wenn das vorhandene Verkehrsaufkommen abgewickelt werde solle. Somit zeigt sich: Der von Bundesrätin Doris Leuthard angestrebte Lastenausgleich zwischen den Regionen dürfte schwer zu erreichen sein. Der Bericht zeigt die Grenzen der Verteilung deutlich auf.   

Krümmung des «Gekröpften»

Verwirrung stiftete das Bazl in seinem Dokument mit einer Umbenennung des gekröpften in gekrümmter Nordanflug; die Abkürzung heisst neu zudem nicht mehr GNA, sondern CNA (curved northern approach). Die PR-Massnahme, die das vieldiskutierte Anflugverfahren wohl vom Murks-Image befreien und auch verbal in den Bereich des Machbaren verschieben soll, führte in ersten Reaktionen schon zu Abgesängen auf den «Gekröpften» – diese sind vorerst jedoch erst in Bezug auf die offizielle Sprachregelung angebracht.

In seinem Bericht vergleicht das Bazl fünf Konzepte und sechs Varianten, wobei Erstere sozusagen die Zutaten darstellen, aus denen das Menu gekocht wird, nämlich die künftigen Betriebsvarianten unter Berücksichtigung des Staatsvertrags (siehe Grafik). Ab dem Jahr 2020 muss dieser umgesetzt werden, sofern ihn die Parlamente beider Länder ratifizieren. Der Vertrag sieht eine Ausdehnung der Sperrzeiten des süddeutschen Luftraums für Anflüge auf Zürich vor. Neu darf abends ab 18 Uhr nicht mehr von Norden auf der Piste 14 gelandet werden, morgens gilt die Sperrzeit werktags von 6 bis 6 Uhr 30 und an Wochenenden und deutschen Feiertagen zwischen 6 und 9 Uhr.

Im Vergleich der Konzepte zieht das Bazl drei Hauptmodelle heran: das Ost-, das Nord- und das Südkonzept. Spezifikationen des Nordkonzepts sind das Modell «CNA» mit gekröpften Nordanflügen via Westen oder Osten und das Modell «Straight», das Südstarts geradeaus vorsieht. Die Gewichtung des Bazl fällt klar aus: «Beim Ostkonzept sind am wenigsten Personen über dem Immissionsgrenzwert betroffen, und es ist vergleichsweise wenig komplex.»

Auch eine hohe Kapazität und eine tiefe Komplexität werden dem Modell «Straight 16» zugeschrieben. Aufgrund der dichten Besiedelung des vom Südstart geradeaus betroffenen Gebiets sei dieses Modell jedoch «kritisch», heisst es in dem Bericht. Nicht ausgeschlossen sei jedoch, dass dieses Konzept später einmal in Erwägung gezogen werde, wenn eine neue Generation von Flugzeugen bedeutend weniger Lärm erzeuge.

Den gekröpften Anflügen von Westen oder Osten auf die Piste 14 räumt das Bazl allen Unkenrufen zum Trotz Realisierungschancen ein, dämpft aber zu grosse Erwartungen. Aufgrund des heutigen Kenntnisstandes sei davon auszugehen, dass diese Anflüge betreffend sowohl Kapazität als auch Komplexität Nachteile aufweisen würden. Als Erstes sei nun eine Machbarkeitsstudie zu erstellen.

Aus dieser Gewichtung ergibt sich: Das Ostkonzept (Variante 1) drängt sich während der Sperrzeiten auf. Als Kompromiss stellt das Bazl die Varianten 2, 3 und 4 zur Diskussion, bei denen morgens verschiedene Kombinationen aus dem CNA- und dem Südkonzept zur Anwendung kommen. Ablehnend äussert sich das Bazl zu den Varianten 5 und 6, die auf Rotation beziehungsweise auf das Südkonzept setzen. Die Zahl der Lärmbetroffenen und die Komplexität seien bei diesen Varianten zu gross.

Umstrittener Pistenausbau

Eine Forcierung des Ostkonzepts würde Verlängerungen der Pisten 28 und 32 nötig machen. Der Bazl-Sprecher Urs Haldimann räumt ein, dass diese im Staatsvertrag nicht explizit erwähnt seien. Man sei aber bei den Verhandlungen davon ausgegangen, dass die Umsetzung des Vertrags einen Ausbau des Pistensystems verlange; deshalb sei auch die lange Übergangsfrist bis 2020 vereinbart worden. Das letzte Wort wird der Kanton Zürich haben. Haldimann sagt, der Bund habe keine Handhabe, eine Zürcher Ablehnung zu übergehen: «Die Zürcher müssen entscheiden, was für einen Flughafen sie wollen.» Klar sei aber, dass ohne Pistenverlängerungen der Flughafen nicht so weiterbetrieben werden könnte wie heute: «Es müssten Flüge gestrichen werden.»

Die Kantone Zürich, Aargau, Schaffhausen, Thurgau, St. Gallen und Schwyz, die Flughafen Zürich AG sowie die Flugsicherung Skyguide können sich bis 15. November zum Bericht äussern. Danach wird das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) entscheiden, welche Optionen in das SIL-Objektblatt aufgenommen werden. Voraussichtlich in der ersten Hälfte 2013 könnten sich die betroffenen Kreise nochmals äussern. Das SIL-Objektblatt will der Bundesrat laut Bazl bis Ende 2013 genehmigen. Unabhängig von diesem Verfahren will der Bundesrat Ende des laufenden Jahres den eidgenössischen Räten die Botschaft zum Staatsvertrag mit Deutschland vorlegen. Die Vernehmlassung dazu dauert noch bis zum 25. Oktober.

NZZ, 10.10.2012




Die wichtigsten Grafiken aus:
SIL-Prozess: Anpassung des Objektblatt-Entwurfs aufgrund des Staatsvertrags mit Deutschland (PDF, 139 MB)

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