Die Diskussion über die Fluglärmverteilung in der Schweiz läuft in die falsche Richtung. Der Cheflotsin Doris Leuthard droht die Kontrolle über den Radar zu entgleiten. Offensiv beteuert die Verkehrsministerin, dass sie in der Umsetzung des Staatsvertrags mit Deutschland einen «fairen Lastenausgleich» anstrebe. Aufhorchen lässt, dass die Bundesrätin ihre Sprachregelung angepasst hat: Neben der Sicherheit und der Kapazität des Flughafens Zürich ist für sie nicht mehr die «Lärmbelastung» die entscheidende dritte Grösse, sondern die «Lärmbetroffenheit». Mit anderen Worten: Die objektiv messbare Belastung scheint in ihrer Gesamtbeurteilung im Vergleich zur subjektiv empfundenen Betroffenheit an Gewicht zu verlieren. Der Schwamendinger, der belastet ist, soll nicht auf Kosten des Frauenfelders geschont werden, der sich betroffen fühlt.
Aus der Gesamtsicht heraus entscheiden
Diese Stossrichtung der Verkehrsministerin ist falsch und weckt unerfüllbare Hoffnungen auf einen freundeidgenössischen Kompromiss, der in diesem Dossier keinen Sinn ergibt. Der Lärm muss, wie es die Umweltschutzgesetzgebung verlangt, bestmöglich kanalisiert werden. Die Opfersymmetrie, die von den Kantonen Aargau, Thurgau und Schaffhausen lauthals gefordert wird, bedeutet letztlich eine Opferkumulierung. Niemandem käme aber zum Beispiel in der Tiefenlager-Diskussion ernsthaft die Forderung in den Sinn, dass jeder den Atommüll im eigenen Garten vergraben muss – nur damit ja alle betroffen sind.
Die markigen Positionen der Regierungsräte aus dem Aargau, dem Thurgau und Schaffhausen sind mit Blick auf ihre Wähler nicht zu vermeiden; Leuthard aber darf aus einer vernünftigen Gesamtsicht heraus ein Machtwort nicht scheuen – auch wenn sie die Wellness-Rhetorik anpassen und zum Beispiel Regierungsräte aus ihrem Heimatkanton kalt duschen muss. Eine harsche Replik aus Bern erfordert etwa die Begründung des Aargauer Baudirektors Peter C. Beyeler, warum das Ziel, möglichst wenig Menschen mit Fluglärm zu belasten, für ihn nicht massgebend sei: Für den Einzelnen spiele es keine Rolle, ob er eine Last alleine oder mit vielen anderen gemeinsam trage, sagte er gegenüber der NZZ. Aus der Sicht des Einzelnen mag das richtig sein; wenn die Verkehrsministerin die Lastenverteilung aufgrund solcher Argumente aus dem Schlupfloch jedoch in ihr Vokabular aufnimmt, dann droht die emotionale Fluglärm-Diskussion weiter zu zerfleddern – aus dem Fokus rückt dafür das anzustrebende Ziel, den Betrieb am Flughafen Zürich so zu gestalten, dass er möglichst sicher ist, die bestehenden Kapazitäten ausschöpft und objektiv messbar so wenig Menschen wie möglich belastet.
Gleiche Massstäbe ansetzen
Was haben die Schweizer nicht über die Deutschen geflucht. Gemeinsam prangerten die Regierungen Zürichs und der Nachbarkantone im Frühling die sture Haltung Deutschlands an. Geeint forderte die Schweiz, dass die von beiden Staaten in Auftrag gegebene Lärmanalyse in den Staatsvertrags-Verhandlungen entscheidendes Gewicht erhalten müsse. In Südbaden höre man die Flugzeuge nicht, man sehe sie bloss, lautete das Ceterum censeo der schweizerischen Abwehrtaktik. Leuthard redete sich an einer CVP-Veranstaltung in Zürich derart in Rage, dass sie süddeutsche Fluglärm-Politiker als Taliban bezeichnete.
Und nun? Das Muster des Streits mit Deutschland findet sich eins zu eins in der Schweiz wieder. Die Vernunft gebietet, die Lärmbelastung als Massstab zu nehmen, die Emotionen haben aber freien Auslauf. Anders sind Äusserungen der Nachbarkantone nicht zu erklären, sie nähmen zusätzliche Belastungen nur in Kauf, wenn auch der dichtbesiedelte Süden seinen Teil abbekomme.
Solchen unsachlichen Verteil-Forderungen muss Bern rasch Einhalt gebieten. Der oft gehörte Einwand, in der föderalistischen Schweiz könne nicht wie in einer Diktatur eine Kanalisierung nach der reinen Lehre durchgesetzt werden, sticht nicht. Auch in der Schweiz müssen unbequeme Entscheide möglich sein; in der Tiefenlager-Frage zum Beispiel haben Standortkantone gegenwärtig nicht einmal ein Vetorecht. Kein Tyrann sein zu wollen, ist eine billige Kaschierung von Führungsschwäche. Und nicht zuletzt würde die Verteilung dazu führen, dass der Bund Zürich im Flughafen-Dossier entmündigen müsste. Im hauptbetroffenen Kanton wären nämlich keine Abstimmungen mehr zu gewinnen, wenn alle unzufrieden wären. Bern müsste folglich zum Beispiel Pistenverlängerungen verordnen – reichlich unföderal.
siehe auch:
Ruf nach „Opfersymmetrie“ am Fluglärmgipfel (VFSN)
Lauter Ruf nach Opfersymmetrie im Fluglärmstreit (NZZ)