Trotzdem bekämpft der Verein Flugschneise Süd – Nein (VFSN) den Kompromiss. Präsident Thomas Morf kritisiert die Zusatzbelastung für die Schweiz als inakzeptabel.
Interview: Andreas Schürer
Herr Morf, der Süden steht als Gewinner des Kompromisses mit Deutschland da, er soll stark entlastet werden. Trotzdem laufen Sie gegen den Staatsvertrag Sturm. Können Sie nicht mehr anders, als den Flughafen zu bekämpfen?
Ach was, aber unser Credo ist, dass möglichst wenig Menschen mit Fluglärm belastet werden sollen. Das hätte aber auf deutscher Seite Vernunft vorausgesetzt. Doch in Süddeutschland haben leider einige Politiker ihre Karriere mit dem Fluglärmstreit verknüpft und sich durchgesetzt. Für uns ist der Staatsvertrag katastrophal. Die Schweizer Bevölkerung muss rund 25 000 zusätzliche Anflüge im Jahr in Kauf nehmen, die zudem verhältnismässig tief erfolgen.
Eine Zusatzbelastung war schon vor den schwierigen Verhandlungen absehbar.
Das sagen Sie. Mich erstaunt das schlechte Resultat aber nicht. Die Schweizer Delegation ist von der Prognose ausgegangen, dass die Zahl der Flugbewegungen bis ins Jahr 2020 von etwa 270\'000 auf 350\'000 zunimmt. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, dass dies nicht zutrifft: Das Passagierwachstum wird über grössere Flugzeuge und bessere Auslastung absorbiert, die Bewegungszahlen stagnieren. Wer mit von der Aviatik-Lobby gelieferten falschen Prognosen in Verhandlungen steigt, kann nicht anders als scheitern – den Preis dafür darf aber nicht die Bevölkerung zahlen.
Die Prognose ist nicht entscheidend – für das heutige Verkehrsaufkommen muss ein Betriebsreglement definiert werden. Für den Süden ist das Resultat positiv. Da wirkt es doch trotzig, wenn Sie weiterhin protestieren.
Moment, jetzt müssen wir bei den Fakten bleiben. Ab sechs Uhr belärmen uns die Flugzeuge nach wie vor.
Sie fliegen aber nicht mehr über Süden an, sondern über den Aargau im gekröpften Nordanflug.
Das steht politisch noch in den Sternen. Auch der Flughafen hat das erst sehr zurückhaltend kommuniziert und die Einführung auf das Jahr 2020 datiert. Wenn man den gekröpften Nordanflug wirklich wollte, könnte man ihn in maximal zwei Jahren einführen. Ich bin skeptisch, ob sich für uns am Morgen etwas ändern wird.
Der Flughafen hat festgehalten, dass die Einführung des gekröpften Nordanflugs auf den vereinbarten Termin im Jahr 2020 technisch machbar ist.
Nach den Erfahrungen der letzten zehn Jahre, glaube ich nur noch, was ich am Himmel nicht mehr höre. Zudem geht es nicht nur um die Morgenstunden. Wenn auf dem Hörnli leichte Bise herrscht, wird auch abends über Süden angeflogen. Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb gross, dass ein beträchtlicher Teil der zusätzlichen 25\'000 Anflüge über unsere Region durchgeführt würde. Dazu kommt, dass auch die Südstarts «straight» über das Pfannenstielgebiet noch im Sachplan Infrastruktur Luftfahrt, dem SIL, enthalten sind. Diese Starts sind zwei- bis dreimal so laut wie die Landungen.
Da bauen Sie ein Schreckgespenst auf, das in der Realität weniger schauderhaft ist: Im SIL sind die geraden Südstarts nur bei Nebel und Bise vorgesehen.
Das ist nur halbwegs richtig. Der SIL hat zwei Teile, einen verbindlichen und einen erklärenden. Im verbindlichen Teil steht, dass Südstarts «straight» erlaubt sind. Die Einschränkungen werden nur im erklärenden Teil aufgeführt; doch der ist das Papier nicht wert, auf dem das steht.
Deutschlands Forderungen waren weitgehend, der Staatsvertrag ist ein Kompromiss. Was hätte denn konkret noch mehr herausgeholt werden sollen?
Den grossen Fehler hat die Schweizer Luftfahrtindustrie in den letzten Jahren begangen. Sie hat den Einsatz zeitgemässer Technologien verschlafen, die weltweit eingesetzt werden. Anflugverfahren wie der Continuous Descent Approach, bei dem das Flugzeug steiler und quasi im Leerlauf anfliegt, reduzieren die Lärmbelastung drastisch. Wenn der Flughafen, die Airlines und der Bund solche Innovationen vorangetrieben hätten, wäre die ganze Lärm-Thematik entschärft worden.
Wie nehmen Sie die Stimmung im Süden wahr – haben Sie Reaktionen von Leuten, die Ihre Position für stur halten?
Nein, der Tenor der Reaktionen ist: Die Haltung ist mutig, aber richtig. Viele befürchten, dass der Staatsvertrag auf nationaler Ebene durchkommt, weil so ein lästiges politisches Problem ad acta gelegt werden kann. Aber die Auswirkungen für die Zürcher Bevölkerung sind verheerend. Wir akzeptieren dies nicht, weil wir im Gegensatz zu anderen Bürgerorganisationen neben der regionalen auch die Gesamtsituation betrachten. Wir kämpfen gegen unverhältnismässige Zusatzbelastungen, unabhängig davon, wen es trifft.
In der Konsequenz dieser Argumentation müssten Sie auch gegen die Pistenverlängerungen sein. Vor allem dem Osten droht eine massive Mehrbelastung, wenn abends ab 18 Uhr hauptsächlich auf die Piste 28 gelandet wird.
Achtung, die Starts müssen auch berücksichtigt werden. Mit dem Nord-Ost-Konzept, also mit Landungen aus Osten und Starts nach Norden, wird ganz Schwamendingen von den Starts entlastet. Insgesamt sind so bedeutend weniger Menschen betroffen als beispielsweise mit dem Südkonzept.
Pistenverlängerungen braucht es also?
Ja, sie sind nötig, weil wir schon heute viele Anflüge erdulden müssen, die wegen der kurzen Piste 28 zusätzlich über den Süden geführt werden. Wenn die von übrigen Regionen geforderte Verteilung fair sein soll, müssen alle Pisten in etwa die gleiche Stabilität des Flugregimes gewährleisten.
Sie riskieren viel mit Ihrer extremen Position: Ohne Staatsvertrag drohen einseitige Verschärfungen Deutschlands, die einschneidendere Folgen haben dürften – wohl auch für den Süden.
Ich weiss nun wirklich nicht, was man gegenüber diesem Staatsvertrag noch verschärfen könnte.
Fixe Beschränkungen der jährlichen Bewegungen über Süddeutschland bei Beibehaltung der Sperrzeiten zum Beispiel.
Nein, fixe Bewegungsbeschränkungen wird es nicht geben. Deutschland weiss genau, dass dies eine Diskriminierung wäre. Fakt ist zudem, dass über 70 Prozent aller Flugzeuge, die in Zürich verkehren, in deutscher Hand sind. Darum begreife ich nicht, warum wir Schweizer Bücklinge machen sollen.
Es ist letztlich irrelevant, ob die Swiss in Schweizer, deutscher oder chinesischer Hand ist; entscheidend ist doch die wichtige Funktion, die sie für die Schweiz wahrnimmt.
Über die Wichtigkeit kann man streiten. Für das, was die Schweizer Bevölkerung und Wirtschaft braucht, würden 60 Prozent des heutigen Verkehrsaufkommens genügen. Was auf dem Flughafen Zürich läuft, wird von der Lufthansa bestimmt, ausgerichtet auf ihr Triple-Hub-Konzept mit den Flughäfen München, Frankfurt und Zürich. Ich sehe nicht ein, warum die Schweizer Bevölkerung für das Gedeihen dieses deutschen Konstrukts bluten soll.
Jetzt wird es abenteuerlich. Der Flughafen ist kein deutsches Konstrukt, sondern eine nationale Infrastruktur von grösster Bedeutung – vor allem auch für die heimische Wirtschaft.
Der Flughafen hat eine wichtige Funktion für die Schweiz, das stimmt. Aber er ist nicht der Wirtschaftsmotor. Es ist genau umgekehrt. Wenn es der Wirtschaft und der Bevölkerung gutgeht, fliegen die Leute auch mehr. Wenn die Wirtschaft wie zuletzt hustet, bekommt die Luftfahrtindustrie eine veritable Grippe. Wäre es anders, könnte Europa ja mit Vielfliegerprogrammen die Konjunktur beleben, statt schmerzhafte Sparpakete zu schnüren.
Info NZZ:
Staatsvertrag mit längeren Sperrzeiten
asü. Der Süden des Flughafens steht als Sieger des Staatsvertrags da, den Verkehrsministerin Doris Leuthard Anfang Juli zusammen mit ihrem deutschen Amtskollegen Peter Ramsauer ausgehandelt hat. Trotzdem bleibt die Bürgerorganisation Flugschneise Süd – Nein misstrauisch (siehe Interview).
Der Staatsvertrag, den die Parlamente Deutschlands und der Schweiz noch ratifizieren müssen, sieht eine Verschärfung der heutigen Anflugbeschränkungen über die Schwarzwald-Region vor. Heute gelten folgende Sperrzeiten für Nordanflüge über deutsches Staatsgebiet: Werktags von 6 bis 7 und ab 21 Uhr, an Wochenenden von 6 bis 9 und ab 20 Uhr. Neu sollen Nordanflüge werktags zwar bereits ab 6 Uhr 30 möglich sein, dafür nur bis 18 Uhr. An Wochenenden darf auch künftig erst ab 9 Uhr über Süddeutschland angeflogen werden und wie unter der Woche nur bis 18 Uhr.
Der Flughafen Zürich legte Mitte Juli dar, wie er den Vertrag umsetzen will. Am Morgen soll während der Sperrzeit der gekröpfte Nordanflug den Südanflug ersetzen. Ab 18 Uhr soll dann von Osten angeflogen werden; bei schlechter Sicht von Süden. Um den Betrieb stabiler gestalten zu können, soll die Ost-Piste 28 um 450 Meter verlängert werden.
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